Krawalle in Hamburg: Unpolitisches Schanzentheater

Im Hamburger Schanzenviertel kommt es am Abend des 1. Mai zu ritualisierten Krawallen. Schaulustige beteiligen sich an Ausschreitungen, die Polizei setzt Schlagstöcke und Wasserwerfer ein.

"Ohne Dusche, gehn wir nicht nach Haus": Ein Demonstrant erfreut sich am Anblick Hamburger Ordnungshüter. Bild: AP

Die Krawalle am Abend des 1. Mai im Hamburger Schanzenviertel lassen sich wohl am besten durch zwei Äußerungen auf den Punkt bringen: "Ich habe das ganze Jahr meine Steuern gezahlt", sagt da ein Mittdreißiger, "um an diesem Tag den Bullen was auf die Fresse hauen zu können." Im gleichen Tenor gibt eine Endzwanzigerin vor Freunden ihre Motivation preis: "Andere gehen in die Achterbahn, ich am 1. Mai auf die Piazza."

300 Personen waren aus Sicht der Polizei am Abend des 1. Mai an den Krawallen im Hamburger Schanzenviertel beteiligt - inzwischen das Pendant zu Berlin-Kreuzberg. Zwei Müllcontainer brannten aus. 24 Personen wurden in Gewahrsam, 23 festgenommen.

Die Polizei setzte insgesamt 800 Beamte ein. Auch niedersächsische Einheiten, die nach dem Demoeinsatz in Hannover bereits dem Heimweg waren, wurden noch nach Hamburg beordert.

Hamburgs Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) macht die links-autonome Szene für die Randale verantwortlich. (kva)

Tragen sie auch schwarze T-Shirts: Die da sprechen, dürften nicht zur links-autonomen Szene zählen, in der Hamburgs CDU-Innensenator die treibenden Kräfte hinter den Ausschreitungen erkannte. Dennoch: Wenig später schleudert der mit den Steuern seine Bierflasche auf eine Polizeikette. Die "Bullen" setzen Schlagstöcke und Pfefferspray ein.

Schon am frühen Abend sind die Bänke vor den Restaurants auf der erwähnten Piazza besetzt. Dieser Teil des Schanzenviertels ist in den vergangenen Jahren zum Sinnbild geworden für die Gentrifizierung des einst links-alternativen Stadtteils. Hier tummeln sich Medien-, und Werbeschaffende mit Blick auf das gleich gegenüber gelegene Autonome Zentrum "Rote Flora" - für manche der Hort des linksradikalen Chaos. Wer nur zuschauen möchte, setzt sich an diesem Maiabend hinter die Scheiben der Restaurants. Draußen bleibt, wer mitmachen will.

Nach Einbruch der Dämmerung beginnt das Spektakel: Auf der Treppe der Roten Flora basteln vermeintliche Autonome erste Molotow-Cocktails. Die Flora selbst hat ihre Türen "bewusst dichtgemacht" - um weder Kulisse noch Alibi für die zu erwartende Randale zu werden.

Um halb zehn fliegen die ersten Böller, die Polizei greift mit Festnahme-Einheiten durch; sechs Wasserwerfer und bis zu drei Hundertschaften rücken vor. Aus drei Metern Entfernung wirft einer eine Flasche direkt auf eines der Gefährte, ohne darauf zu achten, dass Polizisten direkt neben ihm stehen. Es kommt zu regelrechten Nahkämpfen - Mann gegen Mann, immer wieder in jener Nacht.

Derweil kommt es auf der Piazza zu Musical-Einlagen: "Grün-Weißer Party-look - la, la la", variiert die Menge Schlager oder Fußball-Hymnen. "Ohne Dusche, gehn wir nicht nach Haus", improvisieren andere mit Blick auf die Wasserwerfer. Und: "Ihr habt kein Wasser mehr, ihr habt kein Wasser mehr!"

Dann das Finale: Die Polizei räumt die gesamte Ausgehmeile, ohne die gewalttätige Spreu vom friedlichen Weizen zu trennen. Während die Uniformierten mit ihren Wasserwerfern vorrücken, fangen Touristen und Schaulustige alles mit ihren Foto-Handys ein. Die Menge wird in die Seitenstraßen gedrängt. Einzelne Randalierer werden direkt aus den Wasserwerfern angesprochen: "Sie da, mit dem schwarzen Kapuzenpullover, legen sie die Flasche wieder hin!" Geschieht das, ertönt nach fünf Sekunden: "Saubeeer!" Oder: "Sie da, mit der Vermummung, legen sie die sofort ab, sonst werden sie nass."

Wie über die Entwicklung des Stadtteils insgesamt, sind auch über diese unpolitische Randale nicht alle glücklich: "Wie bescheuert muss man sein, auf der Treppen der Flora vor 100 Leuten Mollies zu bauen", sagt ein erfahrener Autonomer der taz. Er räumt ein, dass die Gewalt nicht von der Polizei ausgegangen sei und dass nicht jeder, der sich schwarz als Antifa-Aktivist kleidet, auch zu den Strukturen gehöre. "Wenn wir in der Vergangenheit oft Grund hatten, die Cops anzugreifen", sagt er, "legitimiert das noch nicht, die Cops ohne Grund anzugreifen."

Im Laufe der nach Nacht kehrt dann langsam wieder Ruhe ein. Die Kehrmaschinen der Stadtreinigung säubern die Straßen, und am Samstagmorgen sind die Ausschreitungen nur noch zu erahnen.

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