Politischer Bildung: Verfassungsschutz macht Schule

Als "Demokratielotsen" sollen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zukünftig Niedersachsens Schüler in Sachen Extremismus aufklären.

Könnte den "Demokratielotsen" in die Schulen begleiten: Der kleine Verfassungsschutz-Adler. Bild: Bundesamt für Verfassungsschutz

Wer im Netz nach dem Stand der politischen Bildung im Flachland Niedersachsen fahndet, stößt auf die Seite www.nlpb.de. Der Informationswert der Seite ist dürftig. Dort steht: "Auf Beschluss der Landesregierung wurde die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung zum 31.12.2004 aufgelöst." Ein Verlust, der zu verschmerzen wäre, wenn der Niedersachse auf diesem Feld keine Nachhilfe nötig hätte.

Dem ist aber mitnichten so. Die Landeszentrale verschwand sang und klanglos im Zuge der Verwaltungsreform. Aus schnödem Geiz. Damit ist die Woiwodschaft von Christian Wulff das einzige Bundesland ohne LPB. Dieser etwas genierliche Umstand ließ Innenminister Uwe Schünemann (CDU) nicht ruhen. Er hat fünf Jahre nachgedacht und vor zwei Tagen einen Ausweg gefunden: Die politische Bildung in Niedersachsen übernimmt künftig der Verfassungsschutz.

Zur Feier des Tages gab es für die Presse Schnittchen, Kaffee und das Faltblatt "Neis". Das Kürzel steht für "Niedersächsische Extremismus-Informationsstelle". "Neis" ist eine neue Abteilung des Verfassungsschutzes, der damit "völlig neue Wege bei der Öffentlichkeitsarbeit geht", so der Minister. Das staunte die Presse Bauklötze, denn bisher legte diese Behörde viel wert darauf, in der Öffentlichkeit nicht erkannt zu werden. Außer in NPD-Kreisen, wo jedes dritte Mitglied im Sold des Verfassungsschutzes und damit dem Verbot der Neonazi-Partei massiv im Wege steht.

Im Jahr 2004 tagte in Frankfurt die Leitung der Bundeszentrale für politische Bildung in Frankfurt und gab daraufhin folgende Erklärung heraus:

Man habe "mit Unverständnis registriert, dass die Landesregierung mit der Schließung der Landeszentrale ein Element aus dem bewährten System der staatlichen politischen Bildung in Deutschland herausbricht".

Nach Auffassung der Teilnehmer "könnte die Entscheidung das Risiko erhöhen, dass sich der Staat aus seiner Verantwortung für die politische Bildung in Deutschland generell zurückzieht und damit unabhängige und überparteiliche politische Bildung preisgibt."

Da sehe man mal wieder, lächelte Schünemann, welch überholtes Bild die Medien von den Staatsschützern hätten. "Die Closed Shop-Idee wandelt sich ", rief er in die Runde, "der Verfassungsschutz hat sich lange genug abgeschottet". Jetzt träte er mit "Neis" ans Licht der Öffentlichkeit, brächte dem Land Aufklärung in Sachen Extremismus. Von rechts wie von links. Vor allem aber von links, denn diese Seite habe sein Ministerium bisher sträflich vernachlässigt. Dann skizzierte er eine Vision seiner Verfassungsschützer, die das Geheimdienstgenre auf den Kopf stellen dürfte. Künftig werden sie als "Demokratielotsen" unterwegs sein, um den Kampf wider die "Feinde der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" mit offenem Visier und gemeinsam mit den Bürger zu führen. Wie die Landeszentrale für politische Bildung soll "Neis""Präventionsarbeit" leisten, das heißt in ganz Niedersachsen Vorträge und Beratungen für Schulen, Kommunen und Verbände anbieten, Projekttage, Symposien und selbstverständlich "auch die Lehrerfortbildung" organisieren. Denn gerade "im 60. Jahr des Grundgesetzes und der Bundesrepublik Deutschland," dekretierte der Minister, sei es wichtig, "den demokratischen Konsens immer wieder neu zu gründen". Andächtig schwiegen die Medienvertreter. Nur einer traute sich zu fragen, wer nun auf all die Links- und Rechtsextremisten aufpasse, wer das Internet kontrolliere und die Ausweise der Moslems vor jedem Moscheegang? Diese Aufgaben, versicherte der Minister, werden selbstverständlich nicht vernachlässigt. Schließlich habe man etliche neue Mitarbeiter eingestellt. Und wie viele arbeiten davon bei "Neis"? Nun, antwortete der Minister und sah zu einem Referenten. Dann sagte er: "Einer." Im Raum wurde es ziemlich still. Schünemann focht das nicht an. Gewohnt souverän führte er weiter aus, man lege bei dieser "Marketinginitiative" für den Verfassungsschutz keinen Wert darauf, möglichst viel Personal anzuhäufen. Außerdem gebe es ja da noch die Abteilung 2, da säßen zehn Mitarbeiter, auf die könne "Neis" jederzeit zurückgreifen. Gäbe es denn wenigstens ein Budget für die neue Verfassungsschutztruppe? "Es wird", sagte der Minister und nickte grimmig, "es wird."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.