Gelungene Integration: Wie die Fremde zur Heimat wird

Entscheidend für die gelungene Integration spanischer Migranten in Hamburg waren die Elternvereine der 1970er Jahre. Ein Modell auch für die aktuelle Debatte?

An ein Leben mit Regenschirm in Hamburg hat sich Vicente Martínez längst gewöhnt. Bild: Anne Passow

Riesig und fremd wirkte Hamburg auf María Alonso, als sie 1982 in die Hansestadt kam. "Das Essen in der Schule hat anders geschmeckt und ich habe kein Wort verstanden. Ich hatte großes Heimweh", erinnert sie sich an ihre erste Zeit in einer katholischen Grundschule. Mit sieben Jahren reiste sie damals aus einem kleinen galizischen Fischerdorf nach Hamburg. Ihre Eltern hatten dort Arbeit in einer Fischfabrik gefunden.

Wie die Familie Alonso kamen in den 1960er und 70er Jahren hunderttausende Spanier in die Bundesrepublik. Fischfabriken, Werften oder die Beiersdorf AG lockten die Gastarbeiter auch in den Norden. Im Gegensatz zu Migranten aus anderen Ländern gelang den Spaniern die Integration so gut, dass die zweite und dritte Generation heute weitgehend in der deutschen Gesellschaft aufgegangen sind.

Der Weg dahin war schwer. Sprachkurse bot die Bundesregierung anfangs nicht an, die Gastarbeiter sollten schließlich nach kurzer Zeit wieder zurückkehren. "Weil ich kein Deutsch verstanden habe, haben mich die Lehrer vor ein Buch gesetzt und mir befohlen, es abzuschreiben. Sie wussten einfach nicht, was sie mit mir machen sollten", erinnert sich zum Beispiel Vicente Martínez, der 1968 als Elfjähriger nach Hamburg kam.

Beginn der Migration: Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und Spanien im März 1960. Zur Hochzeit Anfang der 1970er Jahre lebten rund 287.000 Spanier in der BRD, etwa 4.100 davon lebten in Hamburg.

Politische Situation in Spanien: die Regentschaft Francisco Francos (1939 - 1975) hindert viele Migranten an einer Rückkehr; erst nach Francos Tod gehen viele zurück. 2009 leben noch rund 104.000 Spanier in der BRD, etwa 3.100 in Hamburg.

Rolle der katholischen Kirche: das Franco-Regime will über die Kirche Einfluss auf die Migranten nehmen. Die Kirche löst sich aber in den 60er Jahren von ihrer ultrakonservativen Haltung, stellt soziale Themen in den Mittelpunkt und gibt den spanischen Eltern Rückendeckung bei der Bildung der Elternvereine.

Zusatzunterricht: Die Aulen de Lengua y Cultura (ALCE) werden vom spanischen Staat finanziert und bieten in vielen deutschen Städten muttersprachlichen Ergänzungsunterricht an.

Wie ihm ging es den meisten Kindern spanischer Einwanderer. Sie brachten Fünfen und Sechsen nach Hause, beherrschten das Deutsche nicht wirklich und verlernten das Spanische. Doch dabei blieb es nicht. "Die Eltern haben gesehen, dass da was schief läuft und haben etwas getan", sagt der Historiker Antonio Muñoz Sanchez, der sich für das Dokumentationszentrum der Migrationsgeschichte in Deutschland mit der spanischen Migration beschäftigt hat. So entstehen ab Ende der 60er Jahre die ersten spanischen Elternvereine.

Ihr Ziel: Die Kinder für das deutsche Schulsystem fit zu machen. Die Mütter und Väter schaffen das durch einfache Mittel: Sie organisieren mit Hilfe der katholischen Kirche Hausaufgabenhilfen und Deutschkurse.

Außerdem wollen die Elternvereine die so genannten Nationalklassen abschaffen. Die waren eingeführt worden, als in den 70er Jahren immer mehr Migranten kamen. Einwandererkinder wurden hier getrennt von deutschen Kindern unterrichtet. Und noch etwas organisieren die Eltern: Einen Zusatzunterricht, in dem ihre Kinder die spanische Sprache und Geschichte lernen. Hier können sie auch einen Abschluss machen, mit dem sie in Spanien studieren dürfen.

Auch Vicente Martínez besucht Mitte der 70er Jahre diesen Zusatzunterricht. Er hat damals gerade seinen Hauptschulabschluss gemacht und sich von seinem Vater zu einer Elektrikerausbildung überreden lassen, die er aber abbricht. "Das war einfach nichts für mich", sagt er. Der spanische Unterricht bringt ihn auf andere Gedanken. 1979 macht er das spanische Abitur, mit dem er sich auch an deutschen Hochschulen einschreiben kann. An der Fachhochschule Hamburg studiert er Sozialpädagogik, das Fach, in dem er immer noch arbeitet. "Mein Traumjob" sagt der heute 53-Jährige Familienvater. Er fühlt sich wohl in seiner neuen Heimat Hamburg.

Ist das nun gelungene Integration? Martínez will das nur teilweise unterschreiben. "Von außen betrachtet haben die Spanier die Integration wohl geschafft, innen sieht es anders aus", sagt er. Er erzählt von dem Gefühl, zwischen zwei Kulturen zu stehen und zu keiner so richtig dazuzugehören. Vor allem die zweite Einwanderergeneration kennt diese innere Zerrissenheit.

Auch María Alonso. Für sie war der spanische Zusatzunterricht eine Brücke in ihre neue Heimat: "Dieser Kontakt mit der spanischen Kultur war wichtig für mich, um in Deutschland richtig anzukommen."

Ist genau dieses Zusammenspiel von Wissen über die eigene und die fremde Kultur grundlegend für eine gelungene Integration? "Ja", sagt der Historiker Muñoz: "Bildung ist das A und O. Dabei ist es aber wichtig, die Heimatkultur und die des neuen Landes zu kennen. Das haben die Elternvereine hingekriegt."

María Alonso arbeitet heute in einem Hamburger Kurierunternehmen, hat einen deutschen Partner und eine zehnjährige Tochter, die Spanien nur noch als Urlaubsland kennt. Alonso beobachtet eine Entwicklung: "Meine Eltern hatten damals nur spanische Kontakte. Ich habe zur Hälfte deutsche und spanische Bekannte. Meine Tochter hat fast nur noch deutsche Freunde", erzählt die 36-Jährige.

Vicente Martínez macht ähnliche Beobachtungen. Seine Tochter habe sich erst gegen den spanischen Zusatzunterricht gewehrt. Am Ende hat Martínez sich durchgesetzt. Er ist sicher, dass seiner Tochter die Zweisprachigkeit nützen wird. Die Auseinandersetzung hat ihm verdeutlicht, dass die dritte Einwanderergeneration sich selbst klar als Deutsche sieht. Martínez findet das gut. "Du kannst nicht mit den Füßen hier leben und mit dem Kopf tausende Kilometer weiter südlich", sagt er.

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