Die Super-Psychofalle

Supermärkte sind Orte von Suggestion und Täuschung, behauptet der Verbraucherschützer Armin Valet. Die taz ist mit ihm Einkaufen gegangen

VON JAN FREITAG

Mit Armin Valet zu shoppen, macht keinen Spaß. An allem hat er was herumzumäkeln. Überall wittert der Hamburger Verbraucherschützer Betrug am Kunden, an ihm selbst, an uns. Deshalb hat er zusammen mit seiner Kollegin Silke Schwartau den Ratgeber „Vorsicht Supermarkt!“ verfasst und lädt die taz zum Beweis in einen Koloss des täglichen Einkaufs.

Schon nach dem Drehkreuz zeigt sich: Ich mag mich ja für aufgeklärt halten, weiß von luftgefüllten Kartons, Preiserhöhungen durch Inhaltsreduktion oder ständigen Warenpositionswechseln, um den Kunden länger im Laden zu halten. Aber ich lenke intuitiv nach links. „Das tun alle“, sagt Armin Valet und lächelt: Herdentrieb geht im Uhrzeigersinn. In der Theorie entwerfen Marktplaner unsere Laufwege, messen Herzfrequenzen, studieren Gehrichtungen, analysieren jeden Griff in die Konserven, jeden Blick auf den Zettel, jede Pause. Und ziehen ihre Schlüsse.

Der erste: Zwischen polierten Südfrüchten und knallbunten Paprikas „ist die Bremszone“, enttarnt Valet meine Empfänglichkeit für unterbewusste Reizsteuerung. Weil jeder Einkauf Obst und Gemüse beinhaltet, wird der Weg durch 400 Quadratmeter Supermarktmindestgröße gleich mal gestoppt: Hektik ist der Todfeind des Spontankaufs – und damit von bis zu 60 Prozent aller Waren im Korb.

Noch wirkt mein Wagen leer. Das wird er noch lange, hat er doch die Maße eines Zweisitzsofas, was seinen Inhalt optisch schrumpfen lässt: „Hier passt noch einiges rein!“, lautet die Botschaft. Zitronen zum Beispiel. Dass die unbehandelt heißen, es aber selten sind, ist eine der vielen Kniffe unklarer Etikettierung, denen Valet auf der Spur ist. „Frechheit“, ruft er plötzlich an der Waage: Eine Schale Pilze wiegt 18 Gramm weniger als aufgedruckt. Dabei müsste das Verpackungsgewicht sogar draufgeschlagen werden. „Und das ist auch noch legal“, empört sich Valet: Die Differenz liege im Toleranzbereich. So geht es weiter: unbeschriftete Billiggurken am Regalrand, teure Fruchtexoten prominent neben der Waage, chinesische Äpfel zur Erntezeit. Aus einem Gitter rieselt Wasserdampf aufs Grünzeug. Zur Befeuchtung? „Zum Beeindrucken“, korrigiert Valet.

Auch bei den Milchprodukten sollen Hunderte blauer Lampen den Eindruck klarer Gebirgsluft schaffen. Valet zieht sieben Fläschchen probiotischen Inhalts aus der Truhe. Acht Euro koste der Liter, rechnet er um. Ziemlich happig für Magermilch, Zucker und Bakterien, sagt der Experte. Im Wagen landen Erdbeerjoghurt mit sechs Früchten auf dem Deckel – zwölf Mal mehr als enthalten; Pflanzenmargarine mit messbarem Anteil tierischer Fette; Deutsche Markenbutter aus internationaler Sahne; Schafskäse aus Kuhsaft. Damit wir nicht genau nachlesen, werden wir durch Licht, Sound und Gerüche beeinflusst. „Wie in der Disco“, sagt Valet.

Über den Fleischauslagen schimmert rotes Licht – so atmet noch das fahlste Industriekotelett den Geist der Hausschlachtung. Ein Stillleben aus Fachwerk, Wild und Wiesen ziert die Wurst aus Westfalen, deren Inhalt nichts davon je zu Gesicht bekam, da ist sich Valet sicher. Und dass 32 Prozent Fett in der Mortadella mit Tiergesicht kindgerecht genannt werden, sei so perfide wie die Geschmacksverstärker darin.

Bis zum Nachmittag laufe in solchen Märkten Musik für Senioren, erklärt Valet, der mit seinen 41 Jahren auf den Pop für Berufstätige und Singles am Abend zugeschnitten ist. Unterdessen preist eine Stimme zehn Scheiben von irgendwas für 2,99 an – unglaubliche, versteht sich. Was kostet noch mal wie viel? Egal. Hier ist alles köstlichsagenhafthochwertigfrisch.

Zwischen Schoki und Bonbons erntet die Verbraucherzentrale ihre klarsten Beweise. Die Naschwaren ziehen sich stets bis zur Kassenzone, quasi als Dessert. Armin Valet greift zu Pralinen mit Kirschen, die ganz sicher nicht aus dem Piemont stammen. Ihr Grundpreis steigt bei zunehmender Packungsgröße um bis zu 50 Prozent! Gleiches gilt für Fruchtgummis, die neuerdings „fettfrei“ heißen – so vergisst der Kunde die Unmengen Zucker. Wer Billigsorten will, muss wie überall im Laden in die Knie gehen. Die beliebte Milka dagegen steht auf Augenhöhe, die feine Lindt knapp darüber, zum Greifen nah. Erst an der Kasse ändert sich das: In der „Quengelzone“ regieren die Kinder.

„Ich kaufe nur noch selten im Supermarkt“, sagt der passionierte Radler Valet beim Gehen. Wenn doch, dauere es ewig: Um zu suchen, wie viel Frucht im Quark ist und wie viel Kohlenmonoxid im Thunfisch. Und der schlechteste Kunde, sagt Valet, „klebt an seine Einkaufsliste“. Schlecht heißt hier ausnahmsweise schlau.

Silke Schwartau, Armin Valet: Vorsicht Supermarkt! Rowohlt, 189 S., 10 Euro