Gentrifizierung in St. Pauli: Raus aus dem Haus

Kurt Flehmig lebte in einem der ältesten Häuser in St. Pauli. Jetzt musste er ausziehen. Und mit ihm könnte ein Stück Geschichte aus dem Viertel verschwinden.

Im Schatten des "Empire Riverside": Die "Pension Flehmig" wurde verriegelt und verrammelt. Bild: Ulrike Schmidt

Die "Pension Flehmig" in der Erichstraße ist mit Holzpanelen und Vorhängeschloss verrammelt. Der Briefkasten von Kurt Flehmig, der die Pension im Bernhard-Nocht-Quartier auf St. Pauli seit Mitte der 50er Jahre betrieben hat, hängt an der Bretterwand. Mit einem Zettel und neuer Adresse dran: "Bin erreichbar, Kurt!" Seit das Bezirksamt Mitte am 29. November die Räumung veranlasst hat, wohnt er nicht mehr hier.

Flehmig fischt einen Schlüssel aus dem Briefkasten, sperrt das Vorhängeschloss auf und schiebt die Bretter ein Stück beiseite. "Ich bekam einen Anruf von den Eigentümern", sagt Flehmig auf dem Weg in seine alte Souterrainwohnung. Er solle das Haus sofort verlassen. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hatte im Zuge von Abrissarbeiten auf dem Nachbargrundstück die Statik des 1830 erbauten Hauses geprüft und für einsturzgefährdet befunden. Der 71-Jährige weigerte sich. "Zwei Frauen vom Bauamt kamen und dann holten mich Polizisten raus", sagt Flehmig. "Das sah für die Leute so aus, als ob ich verhaftet wurde."

Dass die Polizei angerückt ist, um Flehmig aus der Pension zu holen, kann Sorina Weiland, Sprecherin des Bezirksamts, nicht bestätigen. Ein Krankenwagen, der eine pflegebedürftige Person aus der Pension befördern sollte, soll die Straße versperrt haben. "Die Polizei kam lediglich, um das Verkehrschaos zu beseitigen", sagt Weiland. "Sie hat, da sie zufällig vor Ort war, Herrn Flehmig aus dem Haus begleitet." Die Polizei wollte sich nicht zum Vorgang äußern.

Die Anwohnerinitiative "No BNQ" will das Bernhard-Nocht-Quartier kaufen und genossenschaftlich nutzen.

"Freundlich übernehmen" heißt das Konzept von "No BNQ", das im Areal "Produktion, Bildung und Wohnen zusammenbringen" soll.

Die erforderlichen 22 Millionen Euro für Kauf und Instandsetzung sollen durch Kredite der stadteigenen Wohnungsbaukreditanstalt finanziert werden.

Gegen dieses Vorhaben spricht, dass das Areal laut Stadtentwicklungsbehörde kein ausgewiesenes Stadtentwicklungsgebiet sei.

Die Investoren Köhler und von Bargen haben auch andere Pläne: Sie wollen die Häuser teils sanieren und modernisieren, teils abreißen und luxuriöse Eigentumswohnungen bauen.

Das Gebäude wurde mittlerweile mit Balken gestützt. Flehmig darf seine Sachen abholen. Aber das Mobiliar aus zwölf Pensionszimmern kann er in seiner Ersatzwohnung in Altona nicht unterbringen. "Die neue Wohnung ist sicher in Ordnung", sagt Flehmig, "doch wie es jetzt weitergeht, weiß ich nicht." Bisher hatte er sich mit der Pension finanziert und um seine Nachbarin gekümmert.

Die Pension hätte Flehmig allerdings ohnehin aufgeben müssen, denn den gewerblichen Mietvertrag habe man bereits Ende September zum Jahresende gekündigt, sagt Andreas von Bargen, einer der neuen Hauseigentümer, die als Investoren das Bernhard-Nocht-Quartier (BNQ) großflächig umgestalten wollen. Auf eine Abfindungszahlung habe man sich nicht einigen können. In seine Wohnung könne Flehmig zurück, wenn es die Statik zulasse.

"Die Restaurierung des Gebäudes wäre sehr teuer", sagt Christoph Schäfer von der Initiative "No BNQ". Da läge die Vermutung nahe, dass der Eigentümer lieber abreißen und neu bauen wolle. "Das geht natürlich leichter, wenn die Bewohner draußen sind." Von Bargen bestätigt, dass er das Haus am liebsten sofort abreißen und wieder aufbauen lassen würde. Das sei günstiger als eine Sanierung. "Aber Größe und Stil des Gebäudes würden beibehalten werden, ebenso die Nutzung als sozialer Wohnungsbau."

Flehmig schiebt die Bretterwand wieder zu. "Ich bin alt und wäre hier sowieso nur noch ein, zwei Jahre geblieben", sagt er. "Aber es geht mir auch um das Viertel. So ein Haus wie meins darf nicht verschwinden."

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