Primarschule: Volksentscheid angefochten

Verfassungsexperte bezweifelt die Korrektheit der Abstimmung vom 18. Juli: Die Möglichkeit zweier Ja-Stimmen verzerre das Ergebnis. Klage beim Verfassungsgericht.

Muss, im äußersten Fall, wiederholt werden: Abstimmung beim Volksentscheid zur Primarschule.

Noch bis zum 2. September können die Hamburger den Volksentscheid vom 18. Juli anfechten, bei dem die Gegner der geplanten Primarschule einen Sieg davongetragen hatten. Am gestrigen Freitag haben das insgesamt drei Bürger getan. So hat der Heidelberger Jurist Uwe Lipinski "im Auftrag meiner Mandanten Klage beim Hamburgischen Verfassungsgericht eingereicht".

Er befasse sich nicht zum ersten Mal mit einem Volksentscheid, sagt der Verfassungsexperte - aber er will noch nie "so viele juristische Mängel entdeckt" haben. So hält er es für unzulässig, dass auf den Stimmzetteln doppelt mit "Ja" oder auch doppelt mit "Nein" abgestimmt werden konnte: Die Abstimmenden konnten sowohl für die sechsjährige Primarschule als auch für den Erhalt der vierjährigen Grundschule votieren. Lipinski ist sich sicher, dass ein erheblicher Teil sich für beides aussprach. "Bei einem solchen ,Doppel-Ja-Stimmzettel' kommt kein klarer Volkswille zum Ausdruck", sagt der Jurist, der zum Thema direkte Demokratie promoviert hat. "In Bayern oder in der Schweiz wäre das unter den hier gegebenen Umständen nicht zulässig gewesen."

Bei der Abstimmung mussten die Primarschulgegner ein Quorum erreichen: Ja-Stimmen von 20 Prozent aller Wahlberechtigten. Auch in dieser Hinsicht nennt Lipinski die Hamburger Stimmzettel problematisch: "Der Bürger muss sich nicht entscheiden. Auf diese Weise wird die Erreichung des Quorums extrem erleichtert." Für korrekter hielte er es, wenn über eine Alternative zum Bestehenden abgestimmt werden könnte: Gäbe es beispielsweise derzeit eine 5-jährige Grundschule, hätte es in Kombination mit einer abschließenden Stichfrage Sinn ergeben, beide alternativen Varianten zu bejahen.

Am 18. Juli haben 1,2 Millionen wahlberechtigte HamburgerInnen über die sechsjährige Primarschule abgestimmt. Rund 276.000 waren dagegen, rund 216.000 dafür.

Die schwarz-grüne Koalition hat Volksentscheide für verbindlich erklärt. Das heißt: Die Bürgerschaft muss jetzt ein neues Schulgesetz verabschieden.

Der Zeitplan: Die Schulsenatorin will Mitte September ein neues Gesetz einbringen. Bis Dezember soll ein neuer Schulentwicklungsplan verabschiedet werden. Flächendeckend bleibt die vierjährige Grundschule bestehen.

Die Volksinitiative "Wir wollen lernen" (WWL) hätte laut Lipinski vor der Abstimmung das Verfassungsgericht anrufen und eine Klärung herbeiführen können, habe dies aber nicht getan. "Der Bürger hat diese Möglichkeit erst hinterher." Die Anfechtung diene dazu, für künftige Fälle Rechtssicherheit zu schaffen und die vielen "verfassungsjuristischen Fragezeichen" dieser Abstimmung einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen.

So ein Verfahren dauert in der Regel. Weil die Bürgerschaft aber schon im September das Schulgesetz ändern will, erwägen die Kläger auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Gericht. Sollten die Richter die Ungültigkeit des Volksentscheids erkennen, müsste laut Lipinksi noch mal abgestimmt werden.

Der Klage gegen die 23 Starterschulen, die WWL-Sprecher Walter Scheuerl am Freitag angedroht hat (siehe Text unten), räumt Lipinski wenig Chancen ein. Selbst wenn das Gericht den Volksentscheid zur Primarschule als rechtmäßig anerkennen sollte, könnten Eltern und Schüler "sehr wohl einen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen".

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