Der Schrecken des Alltäglichen

Schuld, Sühne und Erinnerung: Vier Jahre lang hat Dennis Albrecht ohne Förderung an seinem Episodenfilm „Das Leben ist keine Autobahn“ gedreht. Heute Abend feiert der Independent-Film im 3001 Premiere

Am Anfang stand ein Gedanke auf einer deutschen Autobahn. Was würde passieren, wenn ich einen Unfall verursacht habe, aber das nicht einmal bemerkt habe, weil ich schlicht müde war? Ein Gedanke, der den Dauerpraktikanten und Film-Autodidakten Dennis Albrecht nicht mehr losgelassen hat. Also hat er einen Kurzfilm gedreht. Aber es gab noch viel mehr zu erzählen, jetzt wo der Gedanke schon zu tausend anderen geführt hatte. Albrecht sah Jarmuschs „Coffee & Cigarettes“ und beschloss, seinen ersten Spielfilm zu drehen. Als Episodenfilm. Denn Geld war nicht vorhanden. Aber Zeit und Durchhaltevermögen.

Und so drehte Albrecht Episode für Episode, schrieb die nächste erst, wenn wieder Geld da war. Er verkaufte sein Auto, zog in eine kleinere Wohnung und lebte nur für seinen Film. Alle drei Monate konnte er eine Folge drehen, aber nur, weil alle Beteiligten einschließlich der SchauspielerInnen unentgeltlich dafür arbeiteten. Die Dreharbeiten waren vor drei Jahren größtenteils abgeschlossen, doch auch die Postproduktion zog sich wegen Geldmangels in die Länge. Ein Jahr später war der Film dann eigentlich fertig – aber Albrecht nicht zufrieden. Also setzte er sich wieder hin, kürzte, schnitt den Film neu, verpasste ihm eine andere Musik und ein neues Ende. Und in diesem Jahr schließlich auch noch zwei neue Episoden.

Nach vier Jahren Arbeit feiert „Das Leben ist keine Autobahn“ nun aber endgültig Premiere. In sieben Episoden erzählt der Film temporeich von der Autobahn, von Unfällen, von Schuld, Sühne, Erinnerungen, Irrfahrten in moralische Sackgassen und der alten Frage nach dem Sinn des Lebens. Ein Vertreter von Ramsch-Waren will sich an einen Unfall erinnern, den er verursacht haben soll. War er beteiligt? Schuldig fühlt er sich, zugleich aber weckt die Ausnahmesituation neue Kräfte. Endlich traut er sich, seine Tochter zu besuchen. Eine launische amerikanische Pop-Diva treibt ihren Fahrer auf der Suche nach dem „Autobahn-Feeling“ zu Höchstgeschwindigkeiten an. Dass sie auf diese Weise sterben will, merkt der Fahrer zu spät. Denn auch er trägt eine tragische Geschichte mit sich herum. Eine junge Frau fährt ihren Vater zu einer Veranstaltung. Eigentlich wollte sie ihm erzählen, dass sie heiratet. Aber nun streiten sie wieder über das alte Thema „War Opa Kriegsverbrecher oder Held?“

Zur Aufführung in Anwesenheit des Regisseurs heute Abend im 3001 muss übrigens niemand Eintritt zahlen. Vielleicht liegt „Das Leben ist keine Autobahn“ Albrecht zu sehr am Herzen, um etwas so Schnödes wie Geld dafür zu verlangen. Aufmerksamkeit bekommt er indes sicher gern. Auch für seinen nächsten Film: Die Doku „Wie man sich eine Autobahn baut“ handelt von den Schwierigkeiten beim Drehen eines Episodenfilms, vom Idealismus des Filmemachers und vom Problem, die Geschichte schließlich zu verkaufen. Wenn Albrecht damit fertig ist, hat er vielleicht endlich wieder Zeit, um sein großes Ziel zu erreichen: ein Remake seines Lieblingsfilms „Blade Runner“. Denn die literarische Vorlage ist ja, wenn man ehrlich ist, wirklich noch nicht optimal umgesetzt. Nein, auch nicht im Director’s Cut. ROBERT MATTHIES

Sa, 15. 11., 20 Uhr, 3001, Schanzenstraße 75 (im Hof)