RAZZIEN GEGEN WOMÖGLICH KOMMENDE AUFSTÄNDE
: Tatort Buchladen

Die Strafverfolgung von autonomen Publikationen

VON HELMUT HÖGE

Passend zu seiner Titelstory über den neuen deutschen Herbst „Terror-Alarm in Deutschland“ veröffentlichte das ehemalige Nachrichtenmagazin Spiegel gerade einen langen Nachdruck der schärfsten Stellen aus dem anonymen Bestseller „Der kommende Aufstand“. In der Vorbemerkung heißt es: „‚Der kommende Aufstand‘ ruft tatsächlich zu Sabotage, Subversion und auch Gewalt auf.“ In der vergangenen Woche war „Der kommende Aufstand“ auch Thema auf einer Veranstaltung der linken Berliner Buchläden „Schwarze Risse“ und „O21“ im Festsaal Kreuzberg.

Es ging um den „Tatort Buchladen“ beziehungsweise um die immer häufigeren polizeilichen Durchsuchungen dieser Läden nach linksradikalen Publikationen, in denen angeblich Gewalt verherrlicht wird. Eine der Buchhändlerinnen zog einen Vergleich zwischen dem auch von FAS und SZ wegen seiner poetischen Sprachkraft hochgelobten Bestseller und den immer wieder beschlagnahmten Ausgaben der Autonomenzeitschrift interim. Sie befand, „Der kommende Aufstand“ – dieses „Manifest des militanten Aussteigertums“ (Spiegel) – sei nicht weniger radikal als die interim, in der die Staatsanwaltschaft Sätze wie diese beanstandete: „Hauptsache, es knallt!“, „Unser Anliegen besteht darin, die deutsche Einheitsfeier zu einem Desaster zu machen!“, „Vom Straßentheater bis zum Grillanzünder, wir können uns da ‚ne Menge vorstellen.“ „Die politisch Verantwortlichen haben Namen, Adressen und oft auch schicke Autos vor der Tür.“

Hinter den Autoren dieser und ähnlicher Sätze sind die Staatsanwälte schon seit mindestens 15 Jahren hinterher – vergeblich. Nun haben sie sich jedoch was Neues ausgedacht: Sie wollen die Buchhändler zur Verantwortung ziehen, die die interim verkaufen – mit demselben Paragrafen 130a Strafgesetzbuch: „Anleitung zu Straftaten mittels Schriften, die verbreitet werden oder mit Worten auf einer Versammlung“.

Und just am Tag der Protestveranstaltung im vollbesetzten Festsaal wurde den Buchhändlern die Anklageschrift zugestellt. Auf dem Podium dort saß unter anderem der einstige taz-Redakteur und heutige Jurist Oliver Tolmein. Er sah in dem staatlichen Vorgehen gegen die linken Buchläden einen weiteren Versuch, linke Strukturen als „Terrorzentralen“ zu zerschlagen. Die Ladenbesitzer sollten dadurch unter Druck gesetzt werden, autonome Publikationen nicht mehr zu verkaufen. Dagegen müsse sich die Linke wehren.

Andererseits sagte jemand auf der Veranstaltung an die Adresse der interim-Herausgeber: „Es gibt Wichtigeres, als Bauanleitungen für Molotow-Cocktails veröffentlichen zu können.“ Zudem würden solche Dinge auch längst „im Netz diskutiert“. Das Internet sei bisher noch unangefochtener, auch wenn einige linke Provider immer mal wieder von Polizeiaktionen betroffen sind. Als Widerstandsaktion gegen weitere Razzien in linken Buchläden wurde dennoch eine „Twitter-Kaskade“ empfohlen. Sie habe sich ganz hervorragend bei schnellen Aktionen gegen „Stuttgart 21“ bewährt, wie einige von dort angereiste Aktivisten berichteten.

Auf die Frage eines ehemaligen taz-Mitarbeiters, ob man über weitere Schritte zum Schutz der linken Buchläden vor staatlichen Eingriffen diskutieren oder generell eine „Militanz-Debatte“ führen wolle, kam keine Antwort. Zuvor war man sich schon fast einig gewesen, dass das „Umfeld“ sich verändert habe, dahin gehend, dass staatliche Repressionsmaßnahmen nur noch von den Betroffenen und einem kleinen Sympathisantenkreis registriert werden. Oder anders gesagt: „Uns ist die linksradikale Debatte verloren gegangen. Wir sollten erst mal versuchen, sie wieder zu führen.“

Daneben war noch von „medialer Selbstverteidigung“ die Rede – wie auch schon bei der taz-Gründung nach dem Deutschen Herbst 1978. Einige sahen einen solchen bereits erneut dräuen. Und warben schon mal mit einem Flugblatt der ebenfalls oft und gerne verbotenen Zeitschrift radikal für den „Aufbau verdeckt organisierter Medien“. Andere beruhigten sie: Noch sei vor Gericht nicht aller Tage Abend. Wieder andere warnten vor opportunistischer Solidarität mit einer Streetfighter-Romantik. Es gäbe Wichtigeres. Auch das hat man in solchen Widerstands-Debatten schon gehört – etwa von den Kreuzberger Grünen in den Achtzigerjahren.