„Mich spornt das eher an“

ALIBI ODER MITTENDRIN Der gewalttätige Macho ist weitgehend ein Konstrukt – auch der Medien, sagt Oğuzhan Yazıcı. Für die Bremer CDU tritt der Jurist bei den Bürgerschaftswahlen an, doch als Alibi-Türke sieht er sich nicht. Ein Gespräch über den Pluralismus der Union, ein besseres Jugendstrafrecht und den Rechtsradikalismus der Mitte

■ 33, hat in Marburg, Adelaide und Kiel Jura studiert und in Bremen promoviert. Dort war er Mediator in Strafsachen beim Täter-Opfer-Ausgleich und ist seit 2009 Referendar am Oberlandesgericht, wo er zugleich im Ausbildungs-Personalrat mitarbeitet. Auf der Liste für die Bürgerschaftswahl hat ihn die Partei auf Platz 17 gesetzt, „als ersten CDU-Kandidaten mit Migrationshintergrund“. Der Name Yazıcı – in der Türkei durften die Nachnamen 1934 frei gewählt werden – bedeutet Schreiber, Drucker, Sekretär, „weil mein Großvater der erste im Dorf war, der schreiben konnte“. Er wird mit weichem Zischlaut gesprochen.

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Yazıcı, Sie sind seit fünf Wochen in der Bremer CDU …

Oğuzhan Yazıcı: … das kommt hin …

und sind ihr im Zuge der Listenaufstellung beigetreten. Wie zerstreuen Sie den Verdacht, der Alibi-Türke zu sein?

Durch gute Arbeit und meine Grundüberzeugung.

Ihren Listenplatz schreiben trotzdem viele Ihrem Migrationshintergrund zu. Stört Sie das nicht?

Nein, mich spornt das eher an, wenn sich die Leute fragen: Was befindet sich wohl in diesem Überraschungspaket? Ich will diejenigen, die mich auf meine Herkunft reduzieren, durch sachorientierte Arbeit überzeugen.

Als Migrationspolitiker?

Darauf lasse ich mich nicht beschränken. Ich interessiere mich für eine Reihe von Politikfeldern – vor allem Jugendrecht und Jugendpolitik …

und finden sich, als Muslim, in einer Partei wieder, die sich „christlich“ nennt und in der die Feststellung, der Islam gehöre zu Deutschland, zu Verwerfungen führt?

Wir sind eine pluralistische Partei: Auch der Bundespräsident, den Sie zitieren, ist CDU-Politiker.

Qua Amt ist er überparteilich.

Natürlich. Aber das war er ja nicht immer. Allerdings sollte man den Satz modifizieren. Nicht der Islam gehört zu Deutschland, sondern die Muslime, und zwar nicht nur weil sie seit einem halben Jahrhundert hier leben, sondern weil sich auch das muslimische Menschenbild mit dem christlichen deckt.

Es deckt sich?

Im theologischen Sinne, ja: Die Frage ist, was die Gesellschaften aus der Religion machen. Aus der Religion leitet sich eine Freiheit ab. Jeder Mensch ist frei, beispielsweise Schweinefleisch zu essen oder ein Kopftuch zu tragen. Wir müssen aber einschreiten, wenn ein kleines Kind zum Kopftuch geprügelt wird. Wir müssen darauf achten, was aus einer Religion gemacht wird.

Einige Koran-Passagen …

Ich bin kein Islamwissenschaftler und denke nicht, dass wir uns hier gegenseitig Koran-Verse an den Kopf werfen sollten. Wir alle – Christen, Juden und Muslime – beziehen uns auf den einen Gott. Natürlich gibt es Differenzen. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir uns gegenseitig bekämpfen.

Zumal Religion in der Politik keine Rolle spielen sollte.

Keine allzu große. Allerdings leiten sich aus dem Menschenbild der Religionen Grundwerte ab, die wir sehr wohl in eine vernünftige Politik einfließen lassen können.

Wo das?

Etwa bei der Berechnung der neuen Hartz-IV-Sätze, um nur ein Beispiel zu nennen. Es geht darum, christliche Werte wie den Zusammenhalt und den Schutz der Schwächeren in die Politik einfließen zu lassen.

Mit der CDU?

Die hat kein Monopol darauf. Aber gerade in einer Gesellschaft mit so vielen Strömungen wie unserer ist es wichtig, Wertemaßstäbe klar zu benennen. Und das tut die CDU. Man muss nicht religiös sein, um sich an diesen Werten festzuhalten, und auch kein Christ, um in dieser Partei mitzuarbeiten.

Und woher kommt das Interesse am Jugendrecht?

Ich habe in den letzten Jahren viel in diesem Bereich praktisch gearbeitet. Und ich habe über Jugendkriminalität promoviert. Ich habe mich kritisch mit der Macho-These des Kriminologen Christian Pfeiffer auseinander gesetzt …

die migrantische Gewalt auf eine Macho-Kultur zurückführt.

Ich argumentiere dagegen, dass es oft zur gesellschaftlichen Konstruktion von gewalttätigen Menschen kommt – und es deshalb darum gehen müsste, diese zu dekonstruieren.

Das heißt?

Der gewalttätige Macho ist weitgehend ein Konstrukt, auch der Medien. Dabei wird aber gerne die Täter-Opfer-Ambivalenz übersehen, also, dass die meisten Täter auch die meiste Gewalt zu spüren bekommen.

Das stand aber doch in der Pfeiffer-Studie drin?

Die Frage ist bloß, welche Schlüsse man daraus zieht. Pfeiffer behauptet, familiäre Gewalterfahrungen wären entscheidend. Ich meine, er entlässt damit nur den Staat aus der Verantwortung.

Wo könnte der denn sinnvoll eingreifen?

Mit Sicherheit nicht durch eine Verschärfung des Strafrechts oder sogenannte Boot-Camps, wie ja gelegentlich gefordert wird. Nein, es gilt immer noch das, was Franz von Liszt bereits vor mehr als hundert Jahren gesagt hat: dass die beste Kriminalpolitik eine gute Sozialpolitik ist.

Also beispielsweise längeres gemeinsames Lernen?

Zum Beispiel. Das Politikfeld der inneren Sicherheit ist ja wie kaum ein zweites mit anderen verzahnt. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass die Kriminalitätsrate von Jugendlichen sinkt, die ja hier Besorgnis erregend hoch ist, müssen wir auch auf anderen Arbeitsfeldern unsere Hausaufgaben machen: Dazu gehört eine vernünftige Sozial- und Bildungspolitik, aber auch eine gute Arbeitsmarktpolitik. Denn für die Identitätsbildung männlicher Jugendlicher spielt nach wie vor die klassische Biografie eines körperlich tätigen Arbeiters eine große Rolle. Die ist aber in der heutigen Welt nur schwer einzulösen. Das empfinden viele junge Männer als „entmännlichend“. Vielfach versuchen sie dann, wenn sie ihren Körper nicht als Arbeiter einsetzen können, das zu kompensieren, indem sie ihn gewaltvoll einsetzen. Dies wird jedoch im gängigen Diskurs oft übersehen und stattdessen sucht man die Ursachen ausschließlich in problematischen kulturellen Mustern. Jugendgewalt ist aber ein ganzheitliches Problem – und sicher nicht nur eines von Migranten.

Und dafür sehen Sie Ansätze in der CDU-Politik?

Nehmen wir das Beispiel Jugendkriminalität. Die Union setzt sich beispielsweise für ein beschleunigtes Jugendstrafverfahren ein – damit die Sanktionen zeitnah den Taten folgen. Die Diskussion im Jugendstrafrecht verschiebt sich auf gefährliche Weise weg von der Resozialisierung hin zur inneren Sicherheit. Da müssen wir gegensteuern, und den Jugendlichen durch eine gute Bildung berufliche Perspektiven bieten.

Beschleunigtes Verfahren klingt doch eher nach effizienterer Repression.

Das kann man so sehen. Ich denke aber, dass man so viel mehr erreicht, als wenn man jugendliche Täter ein Jahr lang unbehelligt herumlaufen lässt.

Entmutigten Jugendlichen stehen am anderen Ende der Skala jene gegenüber, die es geschafft haben – und auswandern.

In den letzten Jahren sind über 8.000 türkischstämmige Akademiker aus Deutschland ausgewandert. Die sind fast alle hier geboren, haben hier die Schule besucht, hier studiert und sind teils vom Staat unterstützt worden. Wir müssen uns in der Tat die Frage stellen, wieso diese Menschen auswandern. Wenn man sich dazu die Diskussion um den Fachkräftemangel vor Augen führt, ist das wirklich ein Stück weit schizophren.

Aber sie fühlen sich nicht angenommen?

Um diese Menschen hier zu behalten, müssen wir dringend dafür sorgen, die intellektuellen Mauern in Deutschland zu durchbrechen.

In Mode ist das Gegenteil.

Der Fall Sarrazin, ja. Dieser Herr Sarrazin repräsentiert als Sozialdemokrat und Ex-Bankvorstand ja das bürgerliche Milieu in Deutschland. An diesem Fall sehen wir, dass sich rechtspopulistisches Gedankengut schon längst in der Mitte der Gesellschaft breitmacht. Wir dürfen sicher nicht vor den hochproblematischen Begriffen von Ehre die Augen verschließen, die manche mit dem Islam verwechseln. Aber genauso wenig vor diesen Tendenzen in der Mehrheitsgesellschaft. Wenn ich ein Beispiel nennen darf?

Aber gerne!

Auf dem Weg hierher stand ich an einer Ampel, neben mir eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Zwei Leute, offenbar Ausländer, gehen bei Rot. Da sagt die Mutter zu ihrem Kind: „Das sind Ausländer. Die kennen die rote Ampel nicht.“

Und Sie?

Ich war erst fassungslos. Dann habe ich sie angesprochen und ihr die Meinung gesagt. Sie hat ja recht, ihrem Kind beizubringen, nicht über Rot zu gehen …

bloß: zusammen mit einer Xenophobie-Lektion!

Als gäbe es ein Gen, durch das Ausländer eher über Rot gehen als Deutsche! So ein Unsinn! Das Schlimme ist: Sie hat das wohl nicht mal bewusst gemacht. Diese unbewussten Strukturen haben sich so weit verfestigt, dass jemand als Tabubrecher gefeiert wird, wenn er sie als Buch veröffentlicht. Aber das ist kein Tabubruch. Das ist einfach rechtsradikales Gedankengut.