Kapital-Gespenster und tanzende Tote

KUNST UND WISSENSCHAFT Auf dem inszenierten Kongress „Die Untoten. Life Sciences & Pulp Fiction“ erforschen Philosophen, Wissenschaftler, Praktiker, Theologen und Künstler in der Hamburger Kampnagel-Fabrik die Grauzonen des menschlichen Daseins zwischen Leben und Tod

Unübersichtliche Zonen dazwischen: das Reich der Untoten und Cyborgs

VON ROBERT MATTHIES

Wie weit kann man einen Körper in seine Bestandteile zerlegen, bis er gar kein Körper mehr ist? Wie viel Kapital kann man daraus schlagen? Wie lange kann man ein Leben ausweiten, bis es endlich kein Leben mehr ist? Wie tot ist eigentlich hirntot, wie lebendig ein Auferstandener? Wie untot sind Zombies und tanzen sie anders? Wie wach ist ein Wachkomapatient, wie lebendig ein Schlafender? Und wer bestimmt überhaupt darüber? Das sind nur einige der Fragen, auf die der inszenierte Kongress „Die Untoten. Life Sciences & Pulp Fiction“ bis Samstag im Hamburger Veranstaltungszentrum Antworten sucht.

Die allerdings werden so uneindeutig ausfallen, wie das Thema des Kongresses weitläufig und die Herangehensweisen an das Problem vielfältig sind. Denn hier sollen all die unterschiedlichen Personen und Idiome, Diskussionen und Kontroversen aufeinandertreffen, die über die Grenzen zwischen Leben und Tod, Natur und Kultur, Organischem und Maschinellem, Wissenschaft und Kunst wachen und definieren, wo das Leben beginnt, wo es endet und welche Wesen die sich immer weiter ausweitenden unübersichtlichen Zonen dazwischen, das Reich der Untoten und Cyborgs, des Trans- und Posthumanen bevölkern.

Ausgangspunkt für das von der Kulturstiftung des Bundes ins „Leben“ gerufene und in Kooperation mit Kampnagel und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften organisierte Projekt waren dabei drei Ereignisse, die sich für die künstlerische Leiterin Hannah Hirtzig, die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser, den Medizinethiker und Philosophen Oliver Müller und die Autoren und Filmkritiker Georg Seeßlen und Markus Metz, die den inszenierten Kongress kuratiert haben, im Jahr 1968 zu einer Konstellation verknüpft haben, die all die Fragen um die Untoten radikalisiert hat: die erste erfolgreiche Herztransplantation durch den Chirurgen Christiaan Barnard in Kapstadt, die Festlegung des Hirntods als neues Kriterium für die Feststellung des Todes in deren Folge und die Revolutionierung des Zombiefilms durch George A. Romeros „Night of the Living Dead“.

Nicht nur eine wissenschaftliche-ethische Diskussion also fordert diese Konstellation, sondern eine Konfrontation von Biotechnologie, Medizinethik, Philosophie und Recht mit den ausufernden Bildwelten von Popkultur und Kunst: Ein Aufeinandertreffen von disparaten Erzählungen und Zeichen, Bildern und Codes, ein monströses Archiv des untoten Lebens zwischen, jenseits und quer zu den Reichen des nur Lebendigen und des eindeutig Toten. Spielen wird der Kongress deshalb in den Kulissen eines Zombie-Filmsets, in einem Krankenhaus, auf einem Friedhof, in einem Labor und im Kino.

Das Programm umfasst dabei Vorträge und Gespräche, Lecture-Performances und Video- und Klanginstallationen, Bio-Art-Präsentationen und Ausstellungen. Den Auftakt machen heute Nachmittag etwa die französische Philosophin und Psychologin Vinciane Despret mit einer Präsentation ihrer Feldforschung, in der sie Totengeister in Romanen, TV-Serien und bei Besuchen bei Spiritisten aufspürt. Zeitgleich veranstaltet die englische Künstlerin Zoe Laughlin ihre Performance „The Wonder of Flesh and the Brillance of Blood“ und zeigt, was sich mit Haut, Knochen, Haaren und Fleisch alles anstellen lässt, während nebenan Michael Liss von der Firma Gene Art / Life Technologies mit Christopher Coenen vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung die synthetische Biologie als Ingenieurswissenschaft diskutiert. Wer sich näher mit einem Aspekt des weitläufigen Themas auseinandersetzen will, tut das in einem der vier Workshops, unter anderem zu Maschinenmenschen und Menschenmaschinen.

Wer einfach nur Zombiefilme sehen will, wird natürlich ebenfalls fündig, zehn Filme über und mit Untoten sind an den drei Abenden zu sehen. Und „live“ dabei sein kann man bei der Entstehung eines neuen sogar auch noch. Parallel zum Kongress dreht der kanadische Underground-Agit-Porn-Zombieregisseur Bruce LaBruce seinen neuen Film „Ulrike’s Brain“ über das Hirn von Ulrike Meinhof.

■ Hamburg: Do, 12. 5. bis Sa, 14. 5., je 17 bis 22 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20; Infos und Programm: www.untot.info und www.kampnagel.de