Der rote Handschuh

KONZEPTKUNST Eine Züricher Werkschau des deutsch-jüdischen Südamerikaners Luis Camnitzer präsentiert das Werk des radikalen Künstlers seltsam unpolitisch

VON EDITH KREBS

In den letzten Jahren hat Daros Latinamerica, eine Abteilung der in Zürich domizilierten Kunstsammlung des Industriellen Stephan Schmidheiny, eine große, rund siebzig Arbeiten umfassende Werkgruppe von Luis Camnitzer zusammengetragen. Camnitzer, 1937 in Lübeck geboren, wuchs in Montevideo, Uruguay, auf, wohin seine jüdischen Eltern geflohen waren.

1964 ließ er sich in New York nieder, wo er den aktuellsten Strömungen der damaligen Kunst – Pop, Minimal und Concept Art – begegnete. Zusammen mit Liliana Porter und José Guillermo Castillo gründete er den New York Graphic Workshop mit dem Ziel, die künstlerische Druckgrafik nach dem Vorbild der frühen lateinamerikanischen Revolutionsgrafik mit politischen Inhalten aufzuladen und kostengünstig an ein großes Publikum zu vertreiben. Nicht nur als Künstler ist Luis Camnitzer in Erscheinung getreten, sondern auch als Kunsttheoretiker und Kurator. So organisierte er 1990 die Ausstellung „Global Conceptualism“ im Queens Museum of Art, New York, die bis dahin wenig beachtete konzeptuelle Strömungen außerhalb der US-amerikanischen Konzeptkunst vorstellte.

Mehrdeutiger Geheimtipp

Als „Geheimtipp im Bereich der konzeptuellen Kunst“ wird Luis Camnitzer im Pressetext von Daros Latinamerica vorgestellt. Sein Werk zeichne sich durch „feinsinnige Hintergründigkeit“, „scharfen Witz“, durch „spielerisch-poetische Qualitäten“ sowie eine „ironisch-metaphorische Mehrdeutigkeit“ aus. Das ist die eine Seite des Künstlers, zweifellos. Die andere Seite, das „starke soziale und politische Engagement“ Camnitzers, wird zwar erwähnt, kommt indessen in der Ausstellung kaum zum Tragen.

So fehlen wichtige Werkgruppen wie die 2002 an der documenta 11 in Kassel gezeigte „From the Uruguayan Torture Series“ (1982), in denen der Künstler auf reale Geschehnisse im Zusammenhang mit der Verfolgung von Mitgliedern der nationalen Befreiungsbewegung der Tupamaros Bezug nimmt. Auch „The Agent Orange Series“ (1985), die das Thema der während des Vietnamkrieges verwendeten Giftbomben bearbeitet, glänzt durch Abwesenheit. Ebenso andere, politisch motivierte Werke, wie etwa „Massacre of Puerto Montt“ (1969) oder „Common Grave“ (1970), die Gewalt und Repression in Lateinamerika behandeln.

Aversion gegen den Markt

Die Züricher Daros-Schau konzentriert sich auf zwei andere Aspekte in Camnitzers Werk. Zu den streng konzeptuellen Arbeiten zählt „This is a mirror you are written sentence“ (1966–68), zwei Jahre nach Camnitzers Umzug nach New York entstanden. Ebenso „Living Room“ von 1969, eine Rauminszenierung mit kopierten, auf den Boden gelegten oder auf die Wand gehefteten Wörtern, zum Beispiel das Wort „Rug“, das die Fläche eines imaginären Teppichs ausspart. Prominent vertreten sind aber vor allem die marktkritischen Arbeiten des Künstlers.

So lässt man die erstmals 1972 realisierten „Original Mural Paintings“ wieder auferstehen – zwei graue Wandmalereien, die eine von einem Flachmaler aufgetragen, die andere vom Künstler selbst. Der Unterschied beider Farbflächen liegt vor allem im Preis: umgerechnet 388 Euro für den vom lokalen Malergeschäft Silvio Höhn ausgeführten Part, satte 16.720 Euro hingegen für das mit Echtheitszertifikat und Unterschrift des Künstlers versehene „Original“.

Ziemlich hinterhältig, aber durchaus charmant präsentiert der Künstler seine Aversion gegen den Kunstmarkt am Beispiel „Plusvalía“ (Mehrwert) von 1979: In einem verglasten Kasten ist links ein roter Wollhandschuh montiert, auf der rechten Seite ein Brief, datiert vom 10. Januar 1979. In diesem bittet Camnitzer verschiedene Künstler, den Handschuh anzuziehen und gleichzeitig den Betrag der Wertsteigerung, die diese Handlung ihrer Ansicht nach erzeugt, auf einer Tabelle einzutragen und zu signieren. Die Schätzungen reichen von minus 30 bis plus 74.640 Euro und erreichen einen Gesamtwert von umgerechnet 156.750 Euro. Da Camnitzer seinen Kollegen in demselben Schreiben verspricht, ihnen im Fall eines Verkaufs den eingetragenen Betrag auszuzahlen, fragt man sich natürlich, wie viel wohl Daros für dieses Objekt bezahlt hat.

Die einseitige Darstellung von Luis Camnitzer in der Zürcher Ausstellung wiegt umso schwerer, als es sein Verdienst ist, die tautologisch und selbstreferenziell angelegte, nordamerikanische Konzeptkunst der 1960er- und 1970er-Jahre mit gesellschaftspolitischen Inhalten kurzzuschließen und so um eine entscheidende Dimension zu erweitern.

Kunstgeschichte wird bei Daros Latinamerica hoffentlich keine geschrieben. Als Privatsammlung darf sie selektiv vorgehen, einzelne Werkgruppen bevorzugen oder vernachlässigen. Wahrgenommen wird diese Einzelausstellung von Luis Camnitzer dennoch international, zumal sie im nächsten Jahr auch in New York und voraussichtlich weiteren Stationen gezeigt wird. Eine repräsentative Werkschau, die auch den politischen Camnitzer einschließt, wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen, tendiert doch auch die offizielle Kunstgeschichtsschreibung dazu, radikale Positionen aus ihrem Gesichtsfeld auszuklammern.

■ Zürich, Luis Camnitzer bei Daros Latinamerica, bis 4. Juli. www.daros-latinamerica.com