Muslimbruderschaft in Kairo: Achter "Wegbereiter" gewählt

In Kairo hat die älteste Muslimbruderschaft einen neuen Führer gewählt. Der konservative Badie will die ideologische Arbeit ausbauen und dafür in der Tagespolitik zurückstecken.

Der achte Führer der ägyptischen Muslim-Bruderschaft: Mohammad Badie. Bild: ap

KAIRO taz | Nach monatelangen internen Querelen wurde in Kairo der achte „Murschid“, der „Wegbereiter“ der ägyptischen Muslimbrüder gewählt. Seine Ziele sind mehr ideologische Öffentlichkeitsarbeit und dafür weniger Beteiligung an der Tagespolitik. Die Muslimbruderschaft, 1928 gegründet, ist die weltweit älteste Islamistenbewegung. Ihr Einfluss geht weit über Ägypten hinaus und hat auch Auswirkungen auf die palästinensische Hamas.

Der neue Führer Muhammad Badie, der bisher in der Öffentlichkeit wenig in Erscheinung getreten ist, wird dem erzkonservativen Flügel der Gruppierung zugerechnet. Er möchte die Sozial- und Erziehungsarbeit der Organisation stärken und ist mehr verwurzelt mit der Tradition des politischen Isolationismus seiner Organisation, in der es vor allem um den Erhalt der ideologischen Reinheit geht.

Der pragmatische Gang durch die Institutionen, wie die Beteiligung am Parlament, spielt für ihn eine untergeordnete Rolle. Mit seiner Wahl haben die jungen Reformer der Muslimbrüder eine Niederlage erlitten. Sie wollen die Organisation in eine moderne politische Partei nach türkischem Vorbild umwandeln.

Das ägyptische Regime unter Präsident Hosni Mubarak will Badie nicht herausfordern. „Die Muslimbruderschaft hat sich nie als Feind der Regierung gesehen“, erklärte Badie denn auch in seiner ersten Pressekonferenz am Wochenende. „Die Muslimbrüder bleiben dem Prinzip verhaftet, die politische Landschaft graduell in ihrem Interesse zu verändern, auf eine friedliche Art, die nicht der Verfassung widerspricht und auf der Basis von Dialog und Überzeugungsarbeit“, beschrieb er seine Taktik. „Alle Arten von Gewalt, sei es von Seiten der Regierung, Organisationen, institutionell oder individuell, sind zu verurteilen“, sagt er.

Seit 1954 offiziell verboten, haben die Muslimbrüder unter Mubarak einen halblegalen Status zurück erhalten. Sie dürfen als unabhängige Kandidaten zu den Parlamentswahlen antreten. Bei der letzten Wahl erzielten sie ihr bisher erfolgreichstes Ergebnis. Sie kontrollieren ein Fünftel des 454 Sitze im Parlament und sind damit die mit Abstand größte Oppositionsbewegung, wenngleich die meisten Beobachter davon ausgehen, dass sie diesen Erfolg bei den nächsten Wahlen nicht wiederholen können.

Der neue Chef der Muslimbrüder passt gut zu einem seit Jahren ungeschriebenen Gesetz zwischen Regierung und Islamisten: Die Islamisten stellen nicht die Machtfrage und gefährden nicht das Regime, dafür wird ihnen aber Straße und Gesellschaft überlassen. Gleichzeitig kann Mubarak die Islamisten durch ihren halblegalen Status international immer wieder als eine Art Schreckgespenst darstellen. Nach dem Motto: „Wenn ihr die nicht wollt, dann müsst ihr mit mir vorliebnehmen“.

Der neue oberste Islamist Badie wurde 1943 in der Nildelta-Stadt Mahalla El-Kubra geboren. In den 60er Jahren saß er mit tausenden anderer Muslimbrüder neun Jahre lang im Gefängnis ein. Der Professor für Veterinärmedizin an der Universität Beni Suef im südlichen Oberägypten, wurde das erste Mal 1996 in das Führungskomitee der Muslimbrüder gewählt. Zwei Jahre später leitete er das Portfolio der ideologischen Erziehung der Organisation und war auch verantwortlich dafür, neue Mitglieder nach von ihm gestellten Aufnahmekriterien überprüfen zu lassen. Nur ein einziges Mal begleidete er im Veterinärberufsverband ein öffentliches Amt. Er war nie zu Kommunal- oder Parlamentswahlen angetreten. In ägyptischen Medienkreisen ist er bis zu seiner jetzigen Wahl eine unbekannte Größe gewesen.

Badie folgt dem populären Mahdi Akef, der als erster Murschid in der Geschichte der Organisation nicht im Amt verstorben, sondern zurückgetreten war. Er hatte damit dagegen protestiert, dass die Konservativen es geschafft hatten, einige der Reformer aus dem Politbüro, dem Führungsgremium der Muslimbruderschaft zu verdrängen. Akef hat in seiner Amtszeit immer wieder offen gegen das Regime von Mubarak gewettert.

Mit der jetzigen Wahl sind die internen Streitigkeiten nicht ausgeräumt. Badie wird es nicht einfach haben an der Spitze der Islamisten. Er genießt nicht dieselbe Legitimität wie seine Vorgänger, die alle aus der ersten Stunde der Organisation stammen und dessen charismatischen Gründer Hassan Al-Banna persönlich kannten. Badie kann sich auch nicht ganz von den politischen Aktivitäten der Muslimbrüder verabschieden. Es gilt als Konsens unter ihnen, dass die Beteiligung an den Wahlen auch als Schutzmantel für die ideologische Mission dient.

Badie muss nun wichtige anstehende Fragen beantworten. Etwa mit wie vielen Kandidaten die Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen, die für Oktober anberaumt sind, die Regierungspartei herausfordern will. Und ob die Islamisten einen eigenen Präsidentschaftskandidaten gegen Mubarak aufbauen sollen? Bei all dem droht die Regierung mit Prügel im Hintergrund. Trotz ihres halblegalen Status wurden in den letzten fünf Jahren schätzungsweise 5.000 Muslimbrüder verhaftet, auch aus den Führungskadern.

Und die Muslimbrüder haben noch ein anderes Problem: die eigene islamistische Konkurrenz. Wie es der ägyptische Islamistenexperte Khalil Anani zusammenfasst: „Ein Rückzug der moderaten Muslimbrüder aus der Politik könnte damit einhergehen, dass der freigewordene Raum von radikaleren und militanten Gruppen ausfüllt wird.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.