Proteste in Ägypten: Der Aufstand der Jungen

Erstmals in der Geschichte Ägyptens weichen die Menschen nicht zurück vor einem übermächtigen Staatsapparat. Kippt nun auch Präsident Husni Mubarak?

Alte Macht trifft junge Ägypter: Proteste in Kairo. Bild: dpa

KAIRO taz | Es ist ein Kampf zwischen einem traditionellen arabischen Sicherheitsapparat und einer neuen Generation Araber, die sich nicht mehr einschüchtern lässt. Ihre Waffen sind das Internet, die Blogs, das soziale Netzwerk Facebook, das in der arabischen Welt mehr Leser hat als die Tageszeitungen und der Kurznachrichtendienst Twitter. Was in der tunesischen Revolte zum Einsatz kam, das hat in Ägypten schnell Schule gemacht.

Am Mittwoch haben sich wieder beide Fronten in Kairo aufgebaut. Der Polizeiapparat versuchte sich an der epischen Herausforderung, alle Straßenecken in der 18-Millionen-Stadt zu besetzen. Die Jugendlichen mobilisieren seit den frühen Morgenstunden für ihren nächsten Protesttag. Noch in der Nacht waren sie mit Knüppeleinsatz, Tränengas und Wasserwerfern, vom Tahrir-Platz, dem Platz der Befreiung, im Zentrum Kairos vertrieben worden. In der Nacht zum Mittwoch kamen bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten in Kairo und Suez drei Demonstranten und ein Soldat ums Leben.

Am nächsten Morgen werden via Facebook Tipps ausgetauscht, wie man am besten mit den neuen gepanzerten Wasserwerfern des ägyptischen Sicherheitsapparats umgehen soll. "Nehmt Beutel mit schwarzer Farbe und Sprühdosen mit", heißt es dort. Zunächst müsse der Farbbeutel auf die kleine Windschutzscheibe des gepanzerten Fahrzeuges geworfen werden, den Rest erledigt die Sprühfarbe. Dann sei es ein Leichtes, die Reifen der Fahrzeuge aufzuschlitzen.

Unbeeindruckt von dem brutalen Durchgreifen der Sicherheitskräfte versammelten sich dann auch am Mittwoch in Kairo sowie in den Provinzen Manufija, Nordsinai und Assiut wieder hunderte von Oppositionellen, um gegen Mubarak und die Politik seiner Regierung zu demonstrieren. Landesweit seien 500 bis 860 Demonstranten festgenommen worden, hieß es aus offiziellen Quellen. Die Behörden blockierten den Zugang zum Kurzmitteilungsdienst Twitter. Der ägyptische Blog Bikya Masr berichtete, dass Facebook-Seiten ebenfalls nicht mehr zugänglich seien.

Was auf den Straßen seinen Ausdruck findet, ist eine völlig neue Generation des Widerstands gegen ein seit drei Jahrzehnten herrschendes Regime, mit deren Präsident Husni Mubarak sie geboren und aufgewachsen sind. Als der an die Macht kam, saß Helmut Schmidt noch im Kanzleramt. Sie wollen nicht mehr kuschen wie ihre Väter und Mütter, und sie wollen auch nicht versuchen, es sich mit dem Regime einzurichten.

Es gibt auch nichts mehr einzurichten. Denn das Regime hat nur Arbeitslosigkeit, wachsende Armut und Korruption zu bieten. Jeder Vierte muss mit etwas mehr als einem Euro am Tag auskommen.

Und was ist mit den Islamisten, fragen die Europäer. Damit ist Mubarak jahrzehntelang hausieren gegangen, "als einzige Option und Bollwerk gegen die Muslimbrüder und deren Slogan, Islam ist die Lösung". Doch das haben die Jugendlichen auf Ägyptens Straßen hinter sich gelassen. Hier marschieren sie gemeinsam, junge Muslimbrüder, Linke, Nasseristen und viele aus der Mittelschicht, die sich noch nie für Politik interessiert haben. "Tunesien ist die Lösung", rufen sie.

Viele von ihnen haben diese Woche das erste Mal in ihrem Leben an einer Demonstration teilgenommen. Die traditionellen Oppositionsparteien haben sie abgestreift wie ihre Angst. "Wir sind hier nicht als Muslimbrüder, sondern als Ägypter", erklärten zwei junge Männer. "Es ist uns egal, was unsere Führung aus alten Männern sagt."

Als sich die Polizei am Abend vom Tahrir-Platz zurückgezogen hatte und die Jugendlichen dort spontan ein Volksfest zelebrierten, kamen plötzlich auch die alten Vertreter der Dekorations-Oppositionsparteien vorbei und wollten eine Rede halten. Sie wurden von den Jugendlichen niedergeschrien. "Was wollt ihr hier", riefen sie. "Jahrelang habt ihr nichts geändert und euch mit dem Regime arrangiert, und jetzt wollt ihr euch vor unseren Karren spannen!" Und dann sangen sie im Chor "Wir sind alle gleich", bis die alten Herren zittrig von ihrem Podest stiegen.

Wie es weitergehen wird, bleibt unklar. Vielleicht schafft es die Polizei mit roher Gewalt und Online-Sperren, die Lage ein paar Tage unter Kontrolle zu bekommen. Aber die Jugendlichen, die sich vor die Polizeiketten gestellt und diese erstmals in der ägyptischen Geschichte in die Flucht geschlagen haben, werden nicht einfach wieder nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts geschehen. Für sie alle gibt es eine neue Zeitrechnung: die Zeit vor und nach der tunesischen Revolte.

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