Somalia destabilisiert Region: Der neue Irak am Horn von Afrika

Angesichts des eskalierenden Krieges in Somalia verschwimmen die Grenzen zwischen Piraten- und Terrorbekämpfung.

Mutmaßliche Piraten im Golf von Aden. Bild: dpa

BERLIN taz Kurz bevor die Bundesregierung die Ausweitung des Antipirateneinsatzes vor Somalia beschloss, beschimpfte Somalias Regierung internationale Hilfsorganisationen. Er werde Hilfswerke bestrafen, die in der Hauptstadt Mogadischu Hilfsgüter lagerten, statt sie zu verteilen, polterte Mohamud Abdi Garweyne, Minister für humanitäre Angelegenheiten. Für Lagerung statt Versorgung bedürftiger Familien gebe es "keine Sicherheitsgründe".

Die Regierung dieses Ministers kontrolliert derzeit gerade mal ein Drittel der Hauptstadt, und in Kämpfen mit radikalen islamistischen Milizen sind in den letzten zwei Wochen über 200 Menschen getötet und über 67.000 in die Flucht getrieben worden. Das kriegserprobte Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen musste eine Klinik schließen, ein Unicef-Gelände wurde geplündert. Vergeblich bitten lokale Hilfsorganisationen jetzt um Schutz. "Wenn nichts passiert, werden viele sterben", zitiert die UN-Nachrichtenagentur Irin einen Zivilgesellschaftsaktivisten.

Doch in Mogadischu wird niemand geschützt. In den Überlegungen von EU und anderen Flottenstellern im Indischen Ozean über die Ausweitung der Piratenbekämpfung auf hoher See kommt der Krieg in Somalia selbst nicht vor. Wenn die EU-Außenminister über Somalia und die Piraten beraten, fällen sie hinterher zwei getrennte Beschlüsse, die nichts miteinander zu tun haben.

Dabei ist die Zuspitzung des Krieges zwischen militanten Islamisten und der international anerkannten Regierung Somalias längst ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Region geworden, und zwar weit über das Horn von Afrika hinaus. Westliche Geheimdienste berichten von einem Zustrom ausländischer Dschihadisten in die Ränge der islamistischen somalischen Rebellengruppen Shabaab und Hizbul Islam. Somalia sei der neue Irak geworden, heißt es. Unterstützung bekämen sie aus Eritrea und darüber hinaus vom Iran sowie dem Teil der Geschäftswelt Saudi-Arabiens, der die wahhabitische Expansion des "politischen Islam" weltweit fördert. Sudans Regierung sowie Oppositionelle in Äthiopien und diversen Ländern auf der Arabischen Halbinsel zählen zum breiteren Dunstkreis dieser islamistisch geführten Koalition, möglicherweise sogar die eng mit Iran verbündete Regierung der Komoren weiter südlich.

Die Ausdehnung der EU-Marineüberwachungsmission auf ein Seegebiet von 5 Millionen Quadratkilometern bis vor den Seychellen ist zwar nicht als Antwort auf diese Entwicklung gedacht, aber sie sieht so aus. Das Gleiche gilt für die Eröffnung einer neuen französischen Militärbasis in Abu Dhabi am Dienstag und die geplante Erhebung der östlichsten Komoreninsel zum französischen Département. Nicht zu vergessen die 2001 eingerichtete Antiterroroperation "Enduring Freedom", die ja auch die Überwachung des Ozeans vor Somalia gegen Terroristen einbezieht und deren deutsche Marinekomponente faktisch in der Piratenbekämpfung aufgegangen ist.

Die Kriegsgebiete Afghanistans und Pakistans sind da nicht nur geografisch nahe. Im historisch eng zusammenhängenden Dreieck zwischen indischer Halbinsel, arabischer Halbinsel und Ostafrika besteht eine gewollte und zunehmende Unschärfe in der Abgrenzung zwischen Antiterrorkampf und Sicherung der Seehandelswege. Darüber wird nicht offen gesprochen, aber durch die Eskalation des somalischen Bürgerkrieges gewinnt es an Bedeutung.

DOMINIC JOHNSON

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