Gewalt gegen Frauen: Ein Hauch von Optimismus

Auch in ruhigeren Zeiten werden im Kongo täglich Frauen vergewaltig und nur wenige Täter angezeigt und verurteilt. Gründe gibt es viele - manchmal auch Hoffnung.

Vergewaltigungen sind im Kongo grausamer Alltag: Kongolesin bei Nachuntersuchung. Bild: dpa

In das Büro von Militärstaatsanwalt Jean-Blaise Bwa Mulundu passen gerade mal ein Tisch, zwei Stühle und einige Kartons Kopierpapier. Das baufällige Haus stinkt nach Urin, die Wände schimmeln. Vor der Tür steht ein löchriges Armeezelt: Aus Platzmangel müssen die Vernehmungen im Freien stattfinden, auch heute warten ein Dutzend Personen. Die Zeit können sie sich damit vertreiben, den anderen Verhören zu lauschen. "So ist doch keine Geheimhaltung möglich", klagt Bwa Mulundu. Zielsicher greift er nach einer Akte. "Eben war bereits eine amerikanische Forscherin hier, die sich für die Vergewaltigungen interessiert", erklärt er süffisant. "Deshalb habe ich die Zahlen schon parat."

Den Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen begehen die Vereinten Nationen seit 1999 jedes Jahr am 25. November. Er erinnert an drei Schwestern aus der Dominikanischen Republik, die am 25. November 1960 nach monatelanger Folter ums Leben kamen. Lateinamerikanische Frauengruppen hatten den 25. November 1981 zum internationalen Gedenktag ausgerufen. Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten und sexuelle Kriegsverbrechen sind an diesem Tag im Fokus der Aktivitäten der UNO und anderer Organisationen. Dabei spielt die Demokratische Republik Kongo eine besonders wichtige Rolle, weil dort nach Schätzungen vier Fünftel aller Vergewaltigungen im Krieg weltweit begangen werden.

"Die Gräueltaten sind von einer unvorstellbaren Brutalität, die weit über Vergewaltigung hinausgeht", erklärte die UN-Sonderbeauftragte Yakin Ertürk am 27. Juli 2007 im Kongo. "Vergewaltigung und sexuelle Versklavung sind der Kern dieser Gräuel, die auf die physische und psychische Zerstörung der Frauen zielen." Frauengruppen im Ostkongo machen vor allem die in den Kongo geflohenen Reste ruandischer Hutu-Milizen dafür verantwortlich. Aber auch Kongos Armee und Polizei, lokale bewaffnete Gruppen und Zivilisten schrecken davor nicht zurück.

Dank der internationalen Diskussion darüber sind im Osten Kongos zahlreiche Strukturen entstanden, die den betroffenen Frauen beistehen. Große Krankenhäuser in den Provinzhauptstädten Goma und Bukavu behandeln die Opfer; Frauenteams werden in entlegene Dörfer entsandt, um Vergewaltigungsopfer einer Betreuung zuzuführen. Kongos Staat unterstützt offiziell diese Bemühungen. Immerhin gilt Vergewaltigung nun als Verbrechen, und die Justiz nimmt Anzeigen entgegen.

Dennoch bleibt Vergewaltigung ein Massenphänomen. Offiziell wurden zwischen Januar und September 2008 im Kongo 3.500 sexuelle Übergriffe gezählt; die wahre Zahl liegt bei 100.000, erklärte gestern die Gesellschaft für bedrohte Völker. 60 Prozent der Opfer seien Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren. Aufgrund der verbreiteten Vergewaltigungen seien heute 30 Prozent der Frauen im Ostkongo HIV-positiv.

Seit dem Ausbruch neuer Kämpfe im Ostkongo Ende August steigt die Anzahl sexueller Übergriffe wieder. Im Krankenhaus von Heal Africa in Goma wurde vor dem Konflikt täglich durchschnittlich eine vergewaltigte Frau eingeliefert; heute sind es jeden Tag vier bis fünf, erklärte jetzt der Evangelische Entwicklungsdienst. Am meisten Vergewaltigungen gab es beim Rückzug plündernder Regierungssoldaten aus den Städten Goma und Kanyabayonga. D.J.

Bwa Mulundu weiß, dass auf seinem Amt die Hoffnung ruht, Vergewaltigungen in der Provinz Nord-Kivu im östlichen Kongo wenigstens einzudämmen. Seine Arbeit, die Strafverfolgung der Täter, ist westlichen Geldgebern etwas wert. Und das bedeutet: Vielleicht kann Bwa Mulundu von seinem engen Büro bald in einen international gesponserten Neubau umziehen. Vielleicht erhält er ein Fahrzeug, um Tatorte zu besichtigen, und vielleicht kann er auch bald Prämien für besonders effiziente Arbeit einstreichen. "Dies wurde uns versprochen, aber bislang scheinen sich die internationalen Helfer vor allem selbst zu bereichern."

Als Militärstaatsanwalt in der Provinzhauptstadt Goma soll er Vergehen von Soldaten ahnden. Im östlichen Kongo ist dies eine enorme Aufgabe. Denn die kongolesische Armee ist zwar militärisch in Teilen nicht funktionsfähig. Dafür richten die unbezahlten und unversorgten Soldaten ihre Waffen oft auf Zivilisten und nehmen sich, was sie wollen: Lebensmittel, Wertgegenstände, aber eben auch Frauen und Mädchen. Ende Oktober ergriff die Armee die Flucht vor anrückenden Rebellen, die erst kurz vor der Stadt ihren Vormarsch stoppten. Die Regierungssoldaten nutzten das Chaos zu Plünderungen, Vergewaltigungen, Morden. Wieder kamen Dutzende vergewaltigte Frauen und Kinder in die Gesundheitsstationen.

"Viele Opfer fühlen sich isoliert, auch weil Familien und Dorfgemeinschaften vergewaltigte Frauen nicht wieder aufnehmen wollen", klagt Ruffine Nsimire, eine Mitarbeiterin von Heal Africa. "Deshalb bieten wir neben der medizinischen Hilfe auch das Erlernen eines Handwerks an. Und wir gehen in die Dörfer, um aufzuklären." Im Hof des Hospitals in Goma herrscht auf den ersten Blick eine entspannte Stimmung: Zwischen den Unterkunftsbaracken wird gekocht und palavert, Kinder spielen. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man diejenigen, die teilnahmslos herumsitzen.

"Wir geben durchaus Fälle an eine Anwaltsorganisation weiter", erklärt Nsimire. "Aber viele Frauen wollen das nicht. Sie bevorzugen es, wenn die Dorfvorstände eine einvernehmliche Schlichtung arrangieren." Die Familien von Vergewaltigten werden dann mit etwas Geld oder Nutztieren entschädigt, eine Praxis, in die gelegentlich auch Offiziere der Armee einwilligen. Immerhin springt dabei zumindest materiell mehr heraus, als die Opfer von der Justiz erwarten können: Zwar werden Beschuldigte neben einer Gefängnisstrafe auch zu Entschädigungszahlungen an ihre Opfer verurteilt. Da aber die meisten Täter genauso mittellos sind wie ihre Opfer, sind diese Urteile das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben werden. Vielen gelingt es ohnehin, sich durch Bestechung freikaufen.

Die Zahl der Vergewaltigungsopfer ist selbst in Monaten, in denen es zu relativ wenigen Kampfhandlungen kommt, erschreckend hoch. Bei einer Umfrage der Universität Berkeley gaben in der Provinz Nord-Kivu 13 Prozent der erwachsenen Befragten an, mindestens einmal sexuell missbraucht worden zu sein. Unter den nicht in die Studie einbezogenen minderjährigen Mädchen, der am stärksten betroffenen Gruppe, dürfte der Anteil noch höher sein. Allein in die Einrichtungen von Heal Africa kamen im Juli 386 Patientinnen. 59 von ihnen gaben an, von Regierungssoldaten bedrängt worden zu sein. Damit war die Armee die größte organisierte Tätergruppe, dicht gefolgt von den verschiedenen Rebellengruppen im Nord-Kivu.

Militärstaatsanwalt Bwa Mulundu kann nur einen Bruchteil der Fälle ahnden: Im gesamten letzten Jahr wurden ihm bloß 26 Fälle von sexueller Gewalt durch Soldaten und Polizisten angezeigt. Zehn Täter wurden verurteilt, alle zur Höchststrafe von 20 Jahren. Die übrigen Anzeigen kamen noch nicht zur Verhandlung oder endeten mit Freisprüchen. Angesprochen auf die merkwürdige Diskrepanz, erhebt der Staatsanwalt einen bösen Vorwurf: "Die Helfer mögen hohe Zahlen, um mehr Mittel zu erhalten. Die NGOs sollen die Opfer hierher schicken. Der einzige Weg im Kampf gegen die sexuelle Gewalt ist eine Anzeige!"

Auch Julien Attakla-Ayinon ist der Meinung, dass die Hilfsorganisationen nicht genügend mit der einheimischen Justiz zusammenarbeiten. "Keiner soll mir erzählen, dass bei dieser großen Zahl niemand Anzeige erstattet", sagt der Mitarbeiter der Menschenrechtsabteilung der UN-Friedensmission. Attakla-Ayinons Ärger über die NGOs fügt sich in das Bild, dass die so genannte "internationale Gemeinschaft" im Kongo insgesamt abgibt: Obwohl die Helfer darin übereinstimmen, auf eine friedlichere Gesellschaft hinzuarbeiten, fällt Kooperation oft schwer.

Die Hilfsorganisationen konzentrieren sich auf körperliche, psychische und materielle Hilfe. Die Vergewaltigten zur Anzeige zu drängen, steht auf ihrer Prioritätenliste weit hinten. Ayinon-Atakla versteht diese Bedenken, meint aber, dass trotzdem mehr getan werden müsste. Die Bestrafung der Täter, sinniert der UN-Angehörige aus dem westafrikanischen Benin, würde nicht nur den Opfern zu ihrem Recht verhelfen, sondern auch abschreckend wirken. Doch er weiß selbst, dass es noch ein weiter Weg ist, bis der kongolesische Staat die Gesetze durchsetzt, gerade auch gegen die eigenen Organe.

Der UN-Menschenrechtsabteilung bleibt nur, die Verbrechen zu dokumentieren. Ihre Dossiers geben sie an die zuständigen Staatsanwälte. Doch schnell stößt die UN bei der kongolesischen Justiz an Grenzen. "Wir fordern, dass ein Verfahren eröffnet wird, stellen dem Staatsanwalt auch Transportmittel zur Verfügung. Trotzdem passiert oft wochenlang nichts," erzählt Ayinon-Atakla. "Dann schicken wir einen Brief. So wissen die Beamten wenigstens, dass wir wissen, dass nichts geschieht."

Über die Gründe für die Untätigkeit ist sich Ayinon-Atakla nicht ganz sicher. Ist es schiere Gleichgültigkeit? Eine Kultur der Korruption? Mangelnde Bezahlung, wie die Justizbeamten selbst behaupten? "Das ganze Land funktioniert nicht, deshalb sind wir ja hier." Als Afrikaner ist er sich der feinen Linie zwischen Unterstützung und Fremdbestimmung bewusst. "Ich kann nicht wie ein Kolonialherr auftreten und sagen: Geh an die Arbeit! Es geht immer nur mit sanften Mitteln: Wir drängen, drängen, drängen."

Damit gibt er einen verbreiteten Tenor wieder. Es macht auch keinen Unterschied, ob die Mitarbeiter der internationalen Organisationen selbst Kongolesen sind. Delphin Bulambo etwa ist der stellvertretende Direktor von Rejusco, der von der Europäischen Union finanzierten Agentur zur Reform des Justizwesens. Der Jurist aus der Landeshauptstadt Kinshasa hat schon einige Jahre Erfahrung in diesem Bereich. "Früher haben wir den Justizbeamten einen Aufschlag zu ihrem Gehalt bezahlt, um Korruption unnötig zu machen. Aber das war nicht motivierend", resümiert er. "Jetzt planen wir eine leistungsbezogene Prämie." Beim Blick auf die Rejusco-Residenz wird klar, warum der Militärstaatsanwalt die Aufbauhelfer verdächtigt, in die eigene Tasche zu wirtschaften: Die Villa im besten Viertel von Goma ist außerordentlich geräumig, frisch renoviert, und auf jedem Schreibtisch glänzt ein Laptop. Der Kontrast zur Ruine der Militärstaatsanwaltschaft könnte kaum größer sein. Der Vorwurf des Staatsanwalts, nur leere Versprechungen zu machen, entlockt Bulambo nur einen Seufzer: "Das Problem sind die fehlenden Kontrollmechanismen, die im kongolesischen Gesetz zwar vorgesehen, aber nicht eingerichtet sind. Wir können die Arbeit der Behörden ja nicht selbst überprüfen."

Immerhin, es gibt Optimisten: Die jungen Anwälte Eugène Buzake und Masiala Mulahuko vertreten Opfer von sexueller Gewalt vor Gericht. Ihrer Meinung nach verbessern sich die Dinge allmählich. Als sie 2003 mit ihrer Arbeit begannen, war die Staatsanwaltschaft noch in der Hand der Rebellengruppe, die damals Goma beherrschte. Bei ihrem ersten Fall, einem vergewaltigten jungen Mädchen, mussten sie sogar die Stadt verlassen: Der Täter hatte gute Verbindungen zu den Rebellen und ließ die Anwälte bedrohen. Zur neuen Obrigkeit pflegen sie ein freundliches Verhältnis. Deren Ermittlungsfähigkeiten seien allerdings begrenzt. "Oft fragen die Ermittler uns, wer denn die Täter sind", sagt Buzake. "Sie haben weder die passende Ausbildung noch genügend Mittel, um ernsthaft nachzuforschen."

Es sei aber deutlich, dass die Staatsanwaltschaften sich bemühten und auch die Richter sehr hohe Strafen mit Signalwirkung verhängten, so der junge Anwalt. "Früher wurde sexuelle Gewalt als Kavaliersdelikt betrachtet, vielleicht sogar als etwas Normales. Das ist nun anders, auch durch den internationalen Druck." Seit in fast allen größeren Dörfern Gesundheitszentren eingerichtet worden sind, werden mehr Fälle bekannt. Dies sei auch ein Zeichen, meint Buzake, dass die gesellschaftliche Ächtung der Opfer zurückgehe. "Viele verschweigen noch immer, was ihnen passiert ist. Aber allmählich entsteht aus der Gesellschaft heraus selbst eine soziale Bewegung gegen sexuelle Gewalt, die die Opfer in Schutz nimmt."

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