Hexenjagd auf nigerianische Kinder: Irgendwann glauben sie es selbst

Viele nigerianische Kinder werden wegen angeblicher Hexerei schwer misshandelt. Im Süden des Landes versucht eine Initiative sie zu rehabilitieren.

Kinder in Nigeria geraten schnell in Hexerei-Verdacht. Bild: ap

ESIT EKET taz | "Mitten im Gottesdienst wurde ich plötzlich als Hexe bezeichnet. Meine Eltern glaubten der Prophetin. Zu Hause wurde ich geschlagen und bekam kein Essen mehr. Eines Tages übergoss mich mein Vater mit Benzin aus dem Tank seines Mopeds und zündete mich an. Drei Tagen ließen meine Eltern mich auf dem Boden liegen, ohne meine Wunden zu behandeln. Als mein Vater drohte, es noch einmal zu tun, bin ich weggelaufen."

Zwei Jahre ist das her. Heute ist Gerry zehn Jahre alt. Mit mattem Blick rattert er seine Geschichte herunter. Er erinnert sich an jedes Detail. Inzwischen lebt er in einem Rehabilitationszentrum mit 144 anderen vermeintlichen kleinen Hexen. Etwa ein Drittel sind Jungen, der Rest Mädchen.

Die Polizei sperrte Gerrys Vater wegen versuchten Mordes ein. Während des Gerichtsverfahrens musste sein Sohn aussagen. "Ich habe geweint und den Richter gebeten, meinen Vater freizulassen. Er ist der Einzige in unserer Familie, der Arbeit hat. Wenn er kein Geld verdient, können meine zwei kleinen Schwestern nicht mehr zur Schule gehen. Glücklicherweise hat der Richter meinen Vater gehen lassen."

Gerry zeigt sein durch Brandwunden verunstaltetes Gesicht. "Mein Vater und meine Mutter sind nicht schlecht", beschwört er. "Sie hatten wirklich Angst vor mir. Sie sind nicht schuld. Die Prophetin ist schuld." Ob Prophetin oder Prediger - die selbsternannten Führer der zahlreichen evangelikalen Sekten und Kirchen in Nigeria geben sich wohlklingende Namen.

Ein anderes Kind versucht Gerry einen Eimer auf den Kopf zu setzen und begießt ihn mit Wasser. Der Junge lächelt zum ersten Mal. "Ich weiß, dass es keine Hexen gibt", sagt er. "Aber ich habe damals zugegeben, eine Hexe zu sein, damit die Prügel aufhören." Als er die Kamera der Journalistin sieht, springt er auf und geht. "Ich mag keine Bilder von meinem Gesicht."

Ekemini Abi hat weniger Hemmungen. An beiden Fußgelenken hat das Seil, mit dem sie eine Woche lang an einen Baum gefesselt war, tiefe Narben hinterlassen. "Mein Vater und die Kirchenältesten glaubten, ich sei eine Hexe. Ich zeige meine Beine jedem, damit sie sehen können, wie brutal die Hexenjagd ist." Die 15-Jährige gibt zu, dass auch sie beinahe an die Hexentheorie geglaubt hat. "Immer wieder wurde mir gesagt, dass ein böser Geist in mir wohnt. Ich wurde geschlagen, bekam kein Essen. Irgendwann war ich bereit, alles zuzugeben."

Seit ihrer Therapie ist Ekemini Abi nunmehr völlig sicher, dass es keine Hexen gibt. Damit gehört sie in Nigeria zu einer Minderheit. Hier, im kleinen Ort Esit Eket im ölreichen Süden von Nigeria, hat noch niemand von Harry Potter gehört, und dennoch ist das tägliche Leben voll von Hexen und Geistern. Hexen können im Übrigen sowohl männlich wie weiblich sein.

Die Kinder im Rehabilitationszentrum von Esit Eket klammern sich an jeden Erwachsenen, der zu Besuch kommt. Sie suchen körperlichen Kontakt, Wärme, Zuwendung. Die 11-jährige Deborah hält die Hand der Reporterin fest, während sie ihre Erfahrungen als misshandeltes Hexenkind berichtet. Und kneift sie, als sie flüsternd ihr größtes Geheimnis mitteilt. "Ich will Schauspielerin werden!"

Dem Betreuer Monday Udo ist das peinlich. Der pensionierte Buchhalter erkennt die Verfolgung von Kindern als neues Phänomen. "Im traditionellen Glauben kam es zwar immer wieder vor, dass Erwachsene als vermeintliche Hexen verfolgt wurden, aber noch nie hat man so vielen Kindern Hexerei angehängt", sagt er.

Die Hexenjagd eskalierte, als die Schauspielerin Helen Ukpabio den äußerst populären Film "Das Ende des Bösen" machte. Er erzählt von besessenen Kindern und wie die Liberty-Kirche gegen Bezahlung das Böse vertreibt. Gegründet wurde diese Freikirche von der Schauspielerin selbst. Deswegen ist Monday Udo so entsetzt über den Berufswunsch der kleinen Deborah.

Der Film von Ukpabio fiel auf fruchtbaren Boden. Der größte Teil der Bevölkerung von Esit Eket ist bitterarm, während um sie herum milliardenschweres Öl durch Pipelines strömt. "Die Hexenkinder waren ein Ausweg", so Udo. "Auf einmal wussten Eltern, warum sie keine Arbeit und kein Geld haben oder Aids bekommen. Stiefeltern konnten ihre lästigen Stiefkinder loswerden. Und die Prediger nehmen mehr ein."

Das schlichte Rehabilitationszentrum in Esit Eket existiert aufgrund einer Einzelinitiative seit einigen Jahren und wird mittlerweile vom Bundesstaat Akwa Ibom unterstützt. Letztes Jahr beschloss Akwa Ibom außerdem ein Kinderschutzgesetz, das es es einfacher machen soll, Prediger, Propheten und Eltern juristisch zu belangen.

Auf den Straßen von Esit Eket reden Menschen nicht über Hexerei. Entlang der Hauptstraße werben unzählige Schilder für religiöse Gruppen: die Wunderkirche, die Wohlstandskirche, die apostolische Willkommenskirche. Außenstehenden, Neugierigen, gar Weißen bleiben die Kirchentüren allerdings versperrt.

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