Bürgerkrieg in Libyen: Reden will niemand

Die Rebellen stellen Gaddafi ein Ultimatum: Wenn er binnen 72 Stunden zurücktritt, werde er nicht strafrechtlich verfolgt. Die Kämpfe vor allem um Ras Lanuf und Sawija gingen indes weiter.

Kampf um Ras Lanuf: Rebellen flüchten vor einem Angriff aus der Luft. Bild: reuters

TRIPOLIS afp/dpa/rtr/dapd | Nach den libyschen Rebellen hat auch die Regierung in Tripolis ein Verhandlungsangebot an die Opposition dementiert. Derartige Behauptungen seien "dummes Zeug", sagte ein Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, gestern in Tripolis. Die Rebellen stellten Gaddafi ein Ultimatum, während am Dienstag die Kämpfe insbesondere in der Ölstadt Ras Lanuf und Sawija, die angeblich wieder in Regierungshand sein soll, weitergingen.

Der oppositionelle Nationalrat hatte in Bengasi erklärt, dass er Verhandlungen mit Gaddafi ablehne. Gaddafi solle einfach "verschwinden und das Blutbad beenden", sagte ein Sprecher des Gremiums. Der Präsident des Nationalrats, Mustafa Abdel Dschalil, führte aus, eine Gruppe von Anwälten aus Tripolis habe am Montag angeboten, bei Gesprächen mit Gaddafi zu vermitteln, der Rat habe dies jedoch abgelehnt. Dschalil erneuerte jedoch sein Angebot, gaddafi Straffreiheit zu gewähren, wenn er freiwillig das Land verlasse. Der vergangene Woche gegründete Nationalrat versteht sich als alleiniger Vertreter Libyens.

Der Chef des Nationalrats der Rebellen, Mustafa Abdel Dschalil, stellte Gaddafi am Dienstagnachmittag ein Ultimatum: Man werde Gaddafi nicht strafrechtlich verfolgen, wenn er binnen 72 Stunden zurücktrete, sagt Dschalil dem Fernsehsender al-Dschasira.

Das Heer: Mit etwa 50.000 Soldaten ist das Heer die größte der drei Teilstreitkräfte. Viele der etwa 2.000 Kampfpanzer sollen nicht einsatzbereit sein. Hinzu kommen etwa 1000 Schützenpanzer, 945 gepanzerte Mannschaftstransporter und mindestens 424 Flugabwehrraketen. Wegen internationaler Sanktionen gilt die Armee als geschwächt. Um den Aufstieg möglicher Rivalen unter den Heerführern zu verhindern, setzte Gaddafi vor allem auf Sondereinheiten, die aus Angehörigen seines Stammes bestehen und von Verwandten befehligt werden. An den Kämpfen gegen die Rebellen sollen auch afrikanische Söldner beteiligt sein.

Die Luftwaffe: Experten zufolge sind viele der 374 Maschinen, die für Kämpfe eingesetzt werden können, nicht flugtauglich. Ein Großteil der 227 reinen Kampfflugzeuge ist sowjetischer Bauart, aus Frankreich kommen Mirage-Jets. Zu Beginn der Kämpfe desertierten zwei Flugzeugbesatzungen nach Malta. Auf dem Papier ist die Luftwaffe 18.000 Mann stark.

Die Marine: Die Seestreitkräfte einschließlich der Küstenwache sind 8.000 Soldaten stark. Zu den insgesamt 19 Schiffen gehören zwei dieselgetriebene Unterseeboote sowjetischer Bauart. Experten zweifeln seit langem an der Einsatzfähigkeit der aus den 1980er Jahren stammenden Boote.

Chemie-Waffen: Gaddafi soll noch über etwa 9,5 Tonnen Senfgas an einem geheimen Ort in der Wüste verfügen. Allerdings hat er nach Angaben der Organisation für das Verbot chemischer Waffen keine Möglichkeit mehr, dieses einzusetzen. (rtr)

Angriffe auf Rebellen gehen weiter

Im Zuge der Gegenoffensive der libyschen Streitkräfte haben Kampfflugzeuge am Dienstag mindestens fünf Luftangriffe auf Stellungen der Aufständischen in der Nähe des Ölhafens Ras Lanuf geflogen. Dabei sei auch ein Wohngebiet getroffen worden. Tote oder Verletzte habe es offenbar nicht gegeben, sagte ein Reporter der Nachrichtenagentur AP, der die Angriffe beobachtete.

Die Stadt Sawija in der Nähe der Hauptstadt Tripolis wurde nach Augenzeugenberichten bereits von Anhängern von Machthaber Muammar al Gaddafi zurückerobert. Ein Augenzeuge berichtete telefonisch, Panzer und andere Kampffahrzeuge der regierungstreuen Truppen patrouillierten in der Stadt und feuerten willkürlich auf Häuser.

"Die Stadt liegt in Ruinen", sagte der Augenzeuge. "Manche Gebäude sind völlig zerstört und in den Straßen wird auf jeden geschossen. Es gibt viele Verletzte, aber den Krankenhäusern geht das Material aus." Außerdem seien in Sawija alle Strom-, Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen worden.

Libyen will Untersuchung

Die Regierung in Tripolis rief unterdessen offenbar die UN auf, ein Team zur Untersuchung der blutigen Unruhen im Land zu entsenden. Das berichtete ein hoher EU-Beamter, der am späten Montagabend aus Tripolis zurückkehrte. Ob die Anfrage auch direkt an die UN gerichtet wurde, blieb unklar. EU-Sprecher Michael Mann sagte, es sei nicht Aufgabe der EU, Nachrichten von Gaddafis Regime weiterzugeben.

Die regierungstreuen Truppen nutzen vor allem ihre Lufthoheit, um die Aufständischen zu bekämpfen und ihren Marsch auf Tripolis zu stoppen. Über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen, wie sie die Regierungsgegner fordern, herrscht international indes weiterhin Uneinigkeit.

Die Arabische Liga verlangte dafür eine Genehmigung des UN-Sicherheitsrats. Man werde eine solche Maßnahme nicht pauschal unterstützen, sagte Hescham Jussef, Sprecher der Liga, am Montag der Nachrichtenagentur AP. "Wir werden kein unilaterales Vorgehen unterstützen und wir werden keine Einmischung des Auslands in die inneren Angelegenheiten Libyens tolerieren", sagte Jussef.

Die Stadt Sintan 120 Kilometer südwestlich von Tripolis befand sich weiter in der Hand der Aufständischen, wurde aber am Dienstag von Regierungstruppen belagert, wie ein französischer Dokumentarfilmer der AFP sagte. "Die Einwohner erwarteten einen Angriff der Gaddafi-treuen Einheiten heute Nacht, aber er kam nicht." Es gebe im Krankenhaus einige Verletzte. Zudem habe er die Leichen von vier gefesselten Männern gesehen, die nach Angaben der Bewohner von Soldaten Gaddafis mit Kopfschüssen getötet worden waren.

Gaddafi-Truppen sollen Bin Dschawad kontrollieren

Auch am Montag hatte die Luftwaffe Gaddafis wieder Städte und Stellungen der Aufständischen angegriffen. Am Boden gingen die Regierungstruppen mit Panzern gegen die Rebellen vor. Dabei geraten die Regimegegner zunehmend unter Druck. Nach Berichten des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira brachten Regierungstruppen die Stadt Al-Sawija unter ihre Kontrolle - sie liegt rund 50 Kilometer westlich von Tripolis und war in den vergangenen Tagen Schauplatz heftiger Kämpfe mit vielen Toten und Verletzten.

Auch Bin Dschawad in der Mitte der libyschen Küstenlinie soll unter Kontrolle der Gaddafi-Truppen sein. Der nahe gelegene Öl-Hafen Ras Lanuf sei nach wie vor umkämpft. Schwere Gefechte wurden auch aus der drittgrößte libyschen Stadt Misurata - zwischen Tripolis und Gaddafis Geburtsstadt Sirte - gemeldet. Laut al-Dschasira kamen dort allein am Montag mindestens 18 Menschen ums Leben.

Unterdessen werden am Dienstag drei Schiffe der deutschen Marine mit mehr als 400 Flüchtlingen aus Libyen im ägyptischen Alexandria erwartet. Die Fregatten "Brandenburg" und "Rheinland-Pfalz" sowie der Einsatzgruppenversorger "Berlin" hatten am Samstagabend den tunesischen Mittelmeer-Hafen Gabes verlassen. Bei den Flüchtlingen handelt es sich um ägyptische Gastarbeiter, die vor den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen aus Libyen nach Tunesien geflohen waren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.