Neues Gesetz in Äthiopien: Regierung greift nach Hilfswerken

Ein neues Gesetz soll die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen, die zu mehr als zehn Prozent von ausländischer Hilfe finanziert werden, deutlich einschränken und staatlicher Kontrolle unterlegen.

ADDIS ABEBA taz Es ist früh am Morgen. Am Arat-Kilo-Platz, zwischen dem äthiopischen Präsidentenpalast und der Universität, reißt ein schlaftrunkener Taxiahrer gerade noch rechtzeitig das Lenkrad herum, um nicht mit dem am Straßenrand aufgestellten grünen Truck zu kollidieren. "Mobiles Testzentrum" steht auf der Seite, in amharischen Lettern aufgemalt neben Fotos von optimistisch drein blickenden Jugendlichen. In dem Grüppchen, das sich schon in aller Frühe hier eingefunden hat, schaut niemand so glücklich. "Die Leute kommen meist erst zum Aids- Test, wenn sie schon einen Verdacht haben", weiß Ato Amare, der Chef von OSSA, der "Organisation für soziale Dienste rund um Aids".

Die äthiopische Nichtregierungsorganisation hat vor fast zwanzig Jahren klein angefangen, als Aids in Äthiopien noch kein Thema war. Heute ist sie im ganzen Land präsent, beschäftigt 400 Menschen und 2.500 freiwillige Helfer und macht die Arbeit, die der äthiopische Staat nicht leistet: mobile Testprogramme, vor allem auf dem Land. "Dort gibt es immer noch viel Diskriminierung und Vorurteile, so dass wir Schwellen abbauen müssen, damit die Leute sich testen lassen", erklärt Amare. Auf Druck von OSSA stellt Äthiopiens Regierung immerhin mittlerweile ausreichend anti-retrovirale Aidsmedikaments (ARVs) für Infizierte bereit. Amares Bilanz: "Unsere Zusammenarbeit mit der Regierung ist gut."

Und doch befürchtet er, dass OSSA die erfolgreiche Arbeit bald einstellen muss. Das wäre die Folge eines neuen Gesetzes, das das Kabinett von Äthiopiens Premierminister Meles Zenawi voraussichtlich am 22. Oktober beschließen wird. "Wir hoffen immer noch, dass das Gesetz uns nicht betreffen wird, aber wir sind sehr verunsichert und haben Angst", sagt Amare.

Der dritte und endgültige Entwurf der "Charities and Societies Proclamation" macht allen unabhängigen Gruppen Äthiopiens das Leben schwer. Organisationen, die zu mehr als zehn Prozent ihres Etats aus dem Ausland gefördert werden, gelten dann als ausländische Organisationen und dürfen in Zukunft nicht mehr tun als bedingungslose humanitäre Hilfe. Die Bereiche Menschen- und Bürgerrechte, die Förderung von Versöhnung, nachhaltige Entwicklung oder ethnische Verständigung sind ebenso tabu wie Gleichstellung, Religion, Strafvollzug, Justiz oder die Rechte von Behinderten und Kindern.

"Wir bekommen 100 Prozent unseres Gelds aus dem Ausland", so OSSA-Chef Amare. "Wer zu uns kommt, hat kein Geld. Wo also sollen wir Eigenmittel hernehmen?" Die OSSA-Programme für Mädchen, Anti-AIDS-Clubs für Kinder und Jugendliche und dergleichen mehr stehen also in Zukunft in Frage. Und ganz oben in der OSSA-Charta steht die "Verteidigung von Menschenrechten und der Kampf gegen Stigma und Diskriminierung", was ebenfalls in Zukunft nicht mehr geht.

Unberührt von diesem "Großangriff auf die Zivilgesellschaft", wie Human Rights Watch sagt, sind neben den wenigen unpolitischen humanitären Gruppen praktisch nur Organisationen, die unmittelbar Teil des eng verwobenen Netzes aus Partei und Regierung sind. Darüber, dass die strengen Bestimmungen eingehalten werden, wacht eine neu geschaffene Behörde, gegen deren Entscheidungen kein Einspruch möglich ist - auch nicht vor Gericht. Für Gesetzesverstöße drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Äthiopiens Kulturminister Mohamoud Dirir findet die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen wichtig, sagt er. "Die Regierung kann gar nicht alle Teile des Landes erreichen," sagt er und macht ein freundliches Gesicht. Das Gesetz solle bloß Missbrauch vorbeugen, etwa der Veruntreuung von Geldern. "Manche Organisationen unterstützen die Regierung, andere nutzen unsere Gastfreundschaft aus." Bei Kritik verschärft sich sein Ton. "Unsere Demokratie reicht 5.000 Jahre zurück, uns kann niemand erzählen, wie wir unser Land zu regieren haben."

Das klingt heroischer als die Motive, die Kritiker der Regierung vorwerfen. "Die Oppositionsparteien sind schon kaltgestellt, jetzt ist die Zivilgesellschaft dran", sagt Nigussu Legesse von der Kirchlichen Hilfskommission Äthiopiens. Die Führer der Opposition, bei den Parlamentswahlen 2005 überraschende Sieger, saßen bis vor kurzem im Gefängnis. Vor ihrer Entlassung mussten sie Schuldeingeständnisse unterzeichnen, die ihnen eine neue Kandidatur bei der nächsten Wahl in einem Jahr unmöglich machen. Bei den gerade absolvierten Kommunalwahlen erreichte Zenawis Partei Ergebnisse von über 90 Prozent. Bei Gesprächen, die Premier Meles Zenawi mit dem Dachverband der Nichtregierungsorganisationen über das neue Gesetz führte, machte der Regierungschef aus seiner Unnachgiebigkeit keinen Hehl: Die Kernpunkte des Gesetzes würden nicht verändert. Immerhin dürfen Polizisten nun doch nicht ohne Vorankündigung an Vorstandssitzungen teilnehmen oder Büros grundlos durchsuchen. Solche Ergebnisse sind in Äthiopien schon Anlass zur Freude.

Längst nicht alle sind gegen die Gesetzesinitiative. Vom Patriarchen der äthiopisch-orthodoxen Kirche, seiner Heiligkeit Agune Paulos, ist nicht ein kritisches Wort zu hören. "Dieses Land wurde noch nie so gut regiert wie heute", leitet er das Interview ein. Das Wort Paulos hat Gewicht, weil geschätzt jeder Zweite der 80 Millionen Äthiopier Mitglied seiner Kirche ist. Das neue Gesetz werde die Äthiopier zu mehr Eigeninitiative antreiben, glaubt Paulos: "Es wird dafür sorgen, dass die Leute endlich arbeiten und merken, sie müssen sich selbst helfen."

Seine Kritik am Hilfsgeschäft ist nicht an den Haaren herbei gezogen. 3.717 Hilfsorganisationen sind in Äthiopien registriert; kaum anderswohin fließen mehr internationale Spendengelder. So werden westliche Hilfsorganisationen die Neuregelung wohl zähneknirschend akzeptieren. Viele Organisationen können nicht auf das spendenwirksame Aushängeschild Äthiopien verzichten. Das weiß auch die Regierung.

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