Grausame Kriegsverbrechen im Kongo: Sexueller Terrorismus

In der Demokratischen Republik Kongo üben vor allem ruandische Hutu-Milizen unvorstellbar brutale Gewalt gegen Frauen. Die Welt sieht zu bei diesem Völkermord mit anderen Mitteln

Die UNO zählte allein in der Provinz Südkivu 27.000 sexuelle Übergriffe im Jahr 2006. Bild: reuters

Als sie zur Klinik kam, trug die Frau eine Plastiktüte. In ihrem Dorf hatte sie längere Zeit zwei ihrer kleinen Mädchen vermisst, erzählte sie. Sie ging zum Milizenchef des Dorfes, und fragte ihn, ob er die Kinder gesehen habe. Der lachte sie aus. "Du hast jetzt jeden Tag Fleisch gegessen", erklärte er ihr. "Denkst du, wir haben Ziegen geschlachtet?" Die Knochen schenkte er ihr. Seitdem trägt sie in ihrer Tüte zwei kleine Schädel herum - die Reste ihrer Töchter.

Der Internationale Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen wurde 1981 von lateinamerikanischen Feministinnen ins Leben gerufen. Er geht zurück auf die Ermordung von drei Schwestern, die am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik nach monatelanger Folter vom Geheimdienst ermordet wurden. Der Mut der Schwestern im Kampf gegen den Diktator Trujillo gilt als beispielhaft. Weltweit finden an an diesem Tag Aktionen, Veranstaltungen und Tagungen statt, in denen zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder aufgerufen wird. Daran beteiligen sich über 800 Organisationen in 90 Ländern. Seit 1999 ist der 25. November auch von den Vereinten Nationen als offizieller Gedenktag anerkannt.

Eine andere Frau schlug ihren Wickelrock auf. Blut und Eiter quollen hervor, darunter ihr sechs Monate altes Baby. Es war mehrfach von erwachsenen Männern vergewaltigt worden, sein Unterleib war nur noch eine einzige, fürchterliche Wunde. Das Baby musste sofort in den OP. Es überlebte nicht.

Die Szenen, die sich auf der Station für vergewaltigte Frauen im Panzi-Krankenhaus des ostkongolesischen Bukavu abspielen, übersteigen zuweilen die menschliche Vorstellungskraft. Frauen, denen man nach Mehrfachvergewaltigung in die Vagina geschossen hat, sind keine Seltenheit. Eine Frau wurde vergewaltigt, während ihr Mann gefesselt zusehen musste; dann wurde der Mann bei lebendigem Leibe von den Bewaffneten zerstückelt, und die Frau musste sein Geschlechtsteil essen. "Seit zehn Jahren kann ich nur mit Schlafmitteln schlafen", erzählt Christine Schuler-Deschryver, die im Auftrag der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die Frauenstation von Panzi betreut. "Dies ist kein Krieg, dies ist sexueller Terrorismus."

Die jahrelange Arbeit mit brutal zugerichteten Frauen hat die einst stolz auftretende, hochgewachsene Belgokongolesin an den Rand des psychischen Zusammenbruchs gebracht. Nicht viel anders ergeht es der Engländerin Lyn Lusi in Ostkongos anderer großen Stadt, Goma, die zusammen mit ihrem kongolesischen Ehemann das Docs-Krankenhaus des US-Hilfswerks Heal Africa betreut, wo ebenfalls ständig Vergewaltigungsopfer chirurgisch behandelt werden müssen. Wenn sie mit ihrem glasklaren, unterkühlten Oxford-Englisch das Leid der Frauen beschreibt, offenbart sich eine Mischung aus großer Erschöpfung und Fassungslosigkeit, immer überlagert von den Problemen des Alltags, der nie gesichert ist in der Demokratischen Republik Kongo.

Kongos Ostregion Kivu ist heute die Kriegsregion mit den übelsten Verhältnisse der Welt, es gibt mehr Vertreibungen und Verbrechen als in Darfur. Es hat Jahre gedauert, bis die unmenschliche Gewalt gegen Zivilisten durch Milizen dort international zur Kenntnis genommen wurde. Solange im Kongo Krieg zwischen Warlords auf nationaler Ebene herrschte, jeder mit der Unterstützung einer anderen ausländischen Armee, blieben die Vorgänge in den schwer zugänglichen Wäldern und Bergen von Kivu vergessen.

Seit den Wahlen 2006 aber herrscht im Kongo offiziell Frieden und Demokratie, und so sticht das Chaos in Kivu stärker als Problem hervor. Das Panzi-Krankenhaus von Bukavu ist mehr noch als das Docs-Krankenhaus von Goma eine regelrechte Pilgerstätte für durchjettende Politiker und Journalisten geworden. Es mangelt heute nicht mehr an Reportagen, Dokumentarfilmen, Zeitungsberichten über die sexuelle Gewalt in Kivu. Zum morgigen Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen hagelt es anklagende Presseerklärungen, das Spektrum der Absender reicht von der Gesellschaft für Bedrohte Völker bis zur CDU-Bundestagsabgeordneten Michaela Noll.

Viele Berichte konzentrieren sich auf erschütternde Einzelschicksale, hinter denen der Kongo als das erscheint, was er im europäischen Weltbild schon immer war: das Herz der Finsternis, undurchdringlich und unverständlich. Wenn regelmäßig am Schluss solcher Berichte Frauen aus der Behandlung wieder nach Hause geschickt werden, ist das wie eine Abschiebung zurück in die Hölle, wo die finstere Gewalt sie wieder verschlucken wird. Man kann, so schließt der Medienkonsument, wenig für sie tun außerhalb des Lichts der Krankenstationen.

Dabei ist von brutalster Folter begleitete Vergewaltigung ein relativ neues Phänomen im Kongo. Noch vor zehn Jahren kannte man das nicht. Die vielen als "Mayi-Mayi" bekannten lokalen Milizen Ostkongos, die sich mit Zauberwasser unverwundbar machen und seit den Wirren der 60er-Jahre mit Ritualen und Tabus an alte Geheimbundtraditionen anknüpfen, verboten früher sexuellen Kontakt: Frauen sind unrein, Kinder rein, weshalb ein Krieger keine Frau anschauen soll, Kinder dagegen die besten Kämpfer sein können.

Inzwischen aber nutzt jede Kriegspartei im Ostkongo, ob lokale Stammesmiliz oder nationale Armee, Vergewaltigung als Zeichen der Macht und als Mittel der Einschüchterung. Und die Mehrheit der sexuellen Kriegsverbrechen in Kivu, darüber sind sich alle Untersuchungen einig, werden von Hutu-Milizen aus Ruanda begangen. Sie waren dort 1994 die Haupttäter des Genozids an rund 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, flohen nach dem Zusammenbruch ihres Regimes in den Kongo und kämpften dort jahrelang aufseiten der Regierung gegen ostkongolesische Rebellen. Heute werden sie vom Staat nicht mehr gebraucht, und so errichten sie ihren eigenen Staat im Staate, mit der Kontrolle über Gold- und Zinnminen, Trainingslagern im Wald, Steuererhebung auf Märkten und Straßen und einem eindrucksvollen Waffenarsenal. Politisch als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) organisiert, regieren ihre Führer im kongolesischen Exil mit denselben Terrormethoden, die sie früher in Ruanda anwandten. Ein Großteil ihrer einfachen Kämpfer ist zwar zu jung, um aktiv am Völkermord von 1994 teilgenommen zu haben, aber die Führungsebene kommt noch aus dieser Zeit oder wurde von Völkermordverantwortlichen herangezogen.

Die sexuellen Kriegsverbrechen im Kongo sind somit als Fortsetzung des Völkermords in Ruanda zu verstehen. 60 Prozent der registrierten Vergewaltigungen in der Provinz Südkivu wurden laut Erhebungen von den ruandischen Hutu-Milizen begangen. Es ist eine durchaus an- und abstellbare Strategie, wie der niederländische Wissenschaftler Hans Romkema feststellt, der die Milizen vor Ort erforscht hat. "Die FDLR hat eine Hierarchie. Wenn es einen vernünftigen lokalen Kommandanten gibt, wird Vergewaltigung oft bestraft."

Weil viele FDLR-Kommandanten in Kivu früher auch in Kongos Regierungsarmee gedient haben, verwundert es kaum, dass Kongos Regierung jetzt nichts gegen sie tut. Zudem sind auch Regierungssoldaten für sexuelle Kriegsverbrechen verantwortlich. Die einzige Gruppe Ostkongos, die sich den Kampf gegen die ruandischen Hutu-Milizen auf die Fahnen schreibt, sind die kongolesischen Tutsi-Rebellen des abtrünnigen Armeegenerals Laurent Nkunda. Doch international gilt Nkunda mehr noch als die FDLR als Haupthindernis für den Frieden im Kongo.

Es ist ein Skandal: Die internationale Gemeinschaft, die ihre Untätigkeit während des Völkermords in Ruanda heute gerne öffentlich bedauert, bleibt angesichts der im Kongo aktiven Nachfolger der Völkermörder tatenlos. Die UNO im Kongo setzt weiter auf das Konzept "freiwilliger" Repatriierung der Milizen nach Ruanda. Sie hat damit seit 2001 zwar 6.715 FDLR-Kämpfer aus dem Kongo entfernen können, aber der harte Kern aus 3.000 bis 7,000 Mann bleibt, und je kleiner er wird, desto terroristischer übt er seine Herrschaft aus. Rund die Hälfte der beiden Kivu-Provinzen steht laut Romkema unter direkter oder indirekter Kontrolle der FDLR sowie lokaler Frontmilizen. Und ein mit UN-Sanktionen belegter Führer der Organisation lebt als anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland und klagt derzeit gegen seine Ausweisung.

Die sexuellen Kriegsverbrechen im Ostkongo als politisch-militärische Strategie benennbarer Täter zu verstehen - dies wäre die Grundvoraussetzung dafür, etwas dagegen zu tun. Die Freunde der Völkermörder haben das schneller verstanden als die internationale Gemeinschaft. Einschlägige Kreise, die den Völkermord von 1994 in Ruanda entweder leugnen oder dafür alle Welt verantwortlich machen außer die Täter selbst, verbreiten derzeit Apologien zum sexuellen Terror im Ostkongo. Einer klagt, die USA hätten die UNO dazu gezwungen, Vergewaltigung als Tatbestand vor Kriegsverbrechertribunalen aufzunehmen. Ein anderer versucht, die Frauenhelferin Christine Schuler-Deschryver durch Hinweis auf ihre Teilherkunft aus einer belgischen Siedlerfamilie im Kongo ins Zwielicht zu rücken und dadurch, dass sie und ihr Mann für die deutsche GTZ arbeiten - wo doch Deutschland als Abnehmer von Mineralien aus Ostkongo mitschuldig sei.

Es sind hilflose, aber konzertierte Versuche, die politische Komponente des sexuellen Terrors im Kongo zu diskreditieren. Denn den Völkermordapologeten bleibt nicht viel Zeit. Diesen Monat einigten sich die Regierungen Kongos und Ruandas mit UNO, USA und EU darauf, bis zum 1. Dezember einen Plan zur gewaltsamen Zerschlagung der Milizen im Ostkongo zu entwerfen. Ob danach wirklich etwas geschieht, hängt vom Druck der internationalen Öffentlichkeit ab. Diese muss endlich die Grausamkeiten an Kongos Frauen als lösbares Problem begreifen - und nicht als bedauerliches kulturelles Phänomen.

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