Juba im Südsudan: Wahlen mit Hunger und Angst

Wahlen im Sudan: Im Süden des vom Bürgerkrieg geplagten Landes ist es das erste Mal, dass die Menschen ihre Stimme abgeben können. Doch nur wenige freuen sich auf die Abstimmung.

Südöstlich von Juba, im Flüchtlingscamp Lologo. Bild: reuters

"Wo geht es denn hier zur Registrierung?" Die junge Frau, die auf ein paar glühenden Holzkohlestückchen einen Topf blubbernden Maisbrei zubereitet, schaut meinen Begleiter Aaron Deng und mich ratlos an. Dann ruft sie einer Freundin auf der anderen Straßenseite zu: "Hast du irgendwas gehört von einer Registrierung?" Deng stöhnt. Die Schule, in der angeblich mehrere Beamte von Sudans Nationaler Wahlkommission (NEC) sitzen sollen, um die Teilnehmer der ersten freien Wahl im Sudan seit 24 Jahren zu registrieren, scheint unauffindbar.

In diesem dicht besiedelten Teil von Juba, der Hauptstadt des autonomen Südens, verlieren wir uns immer mehr in den labyrinthartigen Gassen. Bis David erscheint, ein Freund der Freundin der Köchin am Straßenrand, der sich gestern selbst für die Wahl im April eingeschrieben hat. "Ist das nicht toll, wählen", schwärmt der 19-Jährige, während er uns durch die Gassen führt. Stolz zeigt er uns die Bescheinigung, die seine Registrierung bestätigt. "Jetzt wird der Präsident auch auf mich hören müssen, schließlich werde ich ihn wählen."

Wackliger Friedensprozess

Viele von denen, die in Juba von den Wahlen wissen, schwärmen wie David: Für die meisten ist es das erste Mal, dass sie ihre Stimme abgeben dürfen. Fünf Jahre nach Abschluss eines Friedensabkommens zwischen dem von Islamisten regierten Norden und der südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) geht der wacklige Friedensprozess in seine Endphase. 2011 soll der Südsudan darüber abstimmen, ob er ein eigenständiger Staat werden will. Die Wahl im April ist der letzte Meilenstein.

Doch als David uns schließlich zu dem niedrigen, von gelblichem Staub gefärbten Gebäude führt, ist niemand da, außer einem Mann, der müde von seinem Schreibtisch aufblickt. Vor ihm liegen Formulare und ein verstaubtes Buch. "Nein, wir haben nicht viele Wähler registriert", gibt der Mann sich unverbindlich.

Eine genaue Zahl will er nicht nennen, seinen Namen auch nicht. "Wir brauchen mehr Zeit, um alle Wähler zu erreichen. Viele wissen einfach nicht, dass sie sich registrieren lassen müssen." - "Oder wo", setzt mein Begleiter Aaron im Flüsterton nach. Wir bleiben eine halbe Stunde vor dem verlassenen Gebäude sitzen, dann brechen wir wieder auf. Es sieht nicht so aus, als würde hier heute noch jemand auftauchen. Es ist 11 Uhr, das Thermometer zeigt 35 Grad.

Der Beamte gibt uns ein Flugblatt mit, auf dem steht: "Kommt, lasst uns registrieren gehen!" Darunter blickt eine Gruppe Sudanesen mit strahlendem Lachen in die Kamera. "Vielleicht treffen Sie ja jemanden, dem Sie das weitergeben können", sagt er in ungläubigem Tonfall.

Auch die südsudanesische Regierung in Juba fordert eine Verlängerung der Registrierung, die derzeit in Khartum geprüft wird. Noch ist der Südsudan nur teilautonom, landesweite Entscheidungen werden in der fernen Hauptstadt getroffen. Einen Feiertag von der Dauer einer Woche hat Südsudans Präsident Salva Kiir in seiner Verzweiflung ausgerufen, damit Beamte und Abgeordnete zu Hause für die Registrierung werben können. Er braucht jede Stimme, um der im Süden unangefochten regierenden Volksbefreiungsbewegung (SPLM) ein Gewicht in Khartum und im südsudanesischen Parlament in Juba zu geben. Doch die älteren Südsudanesen, die im zwanzigjährigen Bürgerkrieg trotz allen Elends fest an der Seite von Kiirs Bewegung ausgeharrt haben, verweigern den Regierenden erstmals die Gefolgschaft.

Bier und Schokolade

Dabei ist Juba in den vergangenen Jahren zu einer vorzeigbaren Hauptstadt herangewachsen. Die Straße vom geschäftigen Flughafen ins Zentrum ist asphaltiert, den stetig wachsenden Autostrom müssen Polizisten regeln. Immer mehr Diplomaten siedeln sich in Juba an, auch die Bundesrepublik hat mittlerweile eine Botschaftsaußenstelle hier eröffnet. Es gibt einen Supermarkt namens "Jit", in dem aus Kenia importierte Güter zu haben sind, die vor einem Jahr noch als unerhältlich galten - von Bier über Schokolade bis hin zu Schreibtischstühlen.

"Die Hotelbesitzer sind unglücklich, weil immer mehr Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in feste Häuser ziehen", weiß Stanley, ein Taxifahrer, der vor drei Jahren aus Kenia nach Juba gekommen ist. "Am Anfang haben die Leute hier noch in stickigen Zelten gewohnt." In mit Klimaanlagen versehenen Flachbauten sitzen die verschiedenen Ministerien und das Parlament, Kiirs Präsidentenpalast wird gerade renoviert. Architektonisch ist Juba auf die Unabhängigkeit bestens vorbereitet.

Der wichtigste Wirtschaftszweig der Stadt ist die Hilfsindustrie: Gut anderthalbtausend humanitäre Helfer sind in Juba registriert, mehr als irgendwo sonst im Sudan. "Die meisten Hilfsorganisationen haben sich jahrelang auf Juba konzentriert, um den Aufbau der südsudanesischen Regierung zu unterstützen", erklärt Maya Mailer, die für die britische Hilfsorganisation Oxfam arbeitet. "Erst jetzt gibt es Bewegung in jene Regionen, wo der Bedarf an Hilfe noch genauso groß ist wie vor Jahren." Auf dem Land, sagt selbst Südsudans Regierung, ist die Lage sogar schlimmer als noch im Bürgerkrieg, weil viele Nothelfer abgezogen sind.

Der Mangel an irgendeiner Form von Friedensdividende ist nach Ansicht vieler einer der Hauptgründe dafür, dass die Wählerregistrierung nur so schleppend vorangeht. "Dazu kommt ein besorgniserregender Mangel an Schutz für die Zivilbevölkerung", erklärt Mailer. "In manchen Gegenden ist der Staat überhaupt nicht präsent." Wo Menschen hungern oder vor bewaffneten Banditen fliehen müssen, sind Wahlen keine Priorität.

"Der Südsudan befindet sich in einem perfekten Sturm", glaubt Giovanni Bosco, der Chef der UN-Koordination für humanitäre Hilfe (Ocha). "Wir hatten eine Missernte, weil die Regenfälle im Mai ausgefallen sind, jetzt leiden die Menschen Hunger." Die Regierung kann nichts tun, weil sie in der schlimmsten Budgetkrise ihrer jüngsten Geschichte steckt: 95 Prozent des Haushalts bestreitet sie aus Ölerlösen, und wegen des sinkenden Ölpreises sind die Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte gesunken.

300.000 Flüchtlinge

Am schlimmsten aber ist die wachsende Unsicherheit im Land: 300.000 Südsudanesen sind allein in diesem Jahr geflohen, mehr als 2.500 bei Kämpfen ums Leben gekommen. "Allein bei einem Angriff auf einen Konvoi des Welternährungsprogramms sind mehr als 100 SPLA-Soldaten erschossen worden."

Bosco spricht von einer neuen Qualität der Gewalt: Zwar habe es in den betroffenen Regionen seit jeher ethnische Konflikte gegeben, oft gibt es wochenlange Kämpfe zwischen Kriegern um den vermeintlichen Diebstahl von ein paar Stück Vieh. "Aber jetzt gibt es keine Gefechte mehr, sondern regelrechte Massaker, und viele der Opfer sind Frauen und Kinder." Was hinter der wachsenden Gewalt in Jonglei im Nordosten des Südsudans steckt, ist Gegenstand von Gerüchten. Die Region ist so groß wie Bangladesch und besitzt gerade einmal fünfzig Kilometer Straßen - unasphaltiert.

Über die tatsächlichen Hintergründe der Auseinandersetzung weiß kaum jemand Bescheid. Auf den Korridoren des Parlaments von Juba gibt es einige Abgeordnete, die den ehemaligen Kriegsfeind in Khartum für die Ausrüstung von Milizen und die Anstachelung zum Bürgerkrieg verantwortlich machen. "So haben die das zuletzt in Darfur gemacht, und jetzt wollen sie bei uns zündeln, damit aus der Wahl nichts wird und sie die Ölfelder annektieren können", sagt eine Abgeordnete im Schutz der Anonymität.

Kritiker glauben, dass die SPLM die zweifellos vorhandene Einmischung aus dem Norden aufbauscht, um eigene Probleme zu verdecken. "Fast alle sind unzufrieden mit der SPLA, weil sie korrupt ist oder schlicht weil die derzeitigen Abgeordneten ihren Wahlkreis noch nie besucht haben", weiß die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die auch in entlegenen Gebieten unterwegs ist. "Vor der Unabhängigkeit des Südens wollen sie sich noch nicht mit der Regierung anlegen, aber der Unmut ist riesig."

Oppositionsparteien, in der Öffentlichkeit kaum bekannt, klagen über Unterdrückung. Ein prominenter SPLM-Minister, Samson Kwaje, wurde kürzlich auf einer Wahlkampftour beinahe erschossen - nur knapp konnte er sich in ein Waldstück retten. "Das ist nicht die richtige Art, Probleme zu erörtern", sagte Kwaje später nüchtern. Doch in einem Bürgerkriegsland, wo in jedem Dorf noch Kalaschnikows gelagert werden, könnte aus dem Unmut auch schnell eine Krise werden.

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