Kongolesischer Kriegsalltag: "Wann können wir nach Hause?"

Zwischen hungrigen Flüchtlingen und Opfern vergewaltigender Soldaten - ein Tag im Kriegsalltag von Joseph Ciza, Klinikdirektor in Goma.

Flüchtlinge in der Region um Kibumba, 40 Kilometer nördlich von Goma. Bild: ap

GOMA taz Eine angespannte, aber ruhige Nacht. Früh am Abend wurde am Flughafen geschossen. Wahrscheinlich trafen Plünderer auf eine Patrouille. Der Stadtkommandant, Oberst Padiri, hat den Befehl erteilt, Plünderer ohne Vorwarnung zu erschießen. Vor dem Tor der Universität liegen zwei Leichen in Uniform, damit alle die Botschaft begreifen.

Um acht Uhr früh verlasse ich das Haus. Meine Kinder haben Angst, wenn ich gehe. Mein ältester Sohn, Jean-Felix, sechs Jahre alt, weigert sich zu essen. Er hat Angst, dass die Soldaten uns überfallen. Er fragt: "Wann geht der Krieg zu Ende? Wann kann ich wieder zur Schule?" Auch meine Frau macht sich Sorgen; es ist schwer für sie, uns zu ernähren. Keine frischen Lebensmittel kommen in die Stadt, weil niemand mit seiner Ladung in die Nähe der Armeesperren geraten will. Ein Sack Bohnen kostet 80 US-Dollar [inzwischen sind es 140, d. Red].

Ich fahre mit dem Auto stadtauswärts nach Kanyaruchinya, eine Gesundheitsstation hinter dem Flughafen. Es gibt wenig Verkehr, weil die Leute nicht wollen, dass das Militär ihr Auto oder ihr Motorrad beschlagnahmt. Was für ein Kontrast zum üblichen Stau mit Motorradtaxis, die wie Mücken die Autos umschwärmen.

Kanyaruchinya bricht mein Herz. Es müssen 10.000 Leute sein, die sich um die Gesundheitsstation herum drängen. Sie sind niedergeschlagen, sitzen brav und warten. Am Vortag wurden zwei Kinder zu Tode getrampelt, im Gedränge für eine Handvoll Kekse. Diese Menschen haben seit vier Tagen in strömendem Regen oder gleißender Sonne gewartet, ohne Obdach, ohne Wasser. Kanyaruchinya liegt am Fuße des Vulkans, es gibt keine Bäche oder Quellen, nur schwarzen vulkanischen Felsen.

Ich suche den Lagerleiter. Die Leute kommen aus Kibumba, und seit ihrer Flucht hat niemand ihren Lagerleiter gesehen. Es gibt niemanden, der eine ordentliche Verteilung organisieren kann. Unicef will heute Rationen ausgeben, Mercy Corps einen Tanklaster mit Wasser. Ich kann nur beten, dass Gott die Rationen vervielfacht: sie sind lächerlich klein, und das löst den Massenandrang aus.

Mittags gehen wir ins Krankenhaus. Seit gestern sind 23 Zivilisten mit schweren Kriegswunden angekommen - 15 Männer, fünf Frauen und drei Kinder. Im Notfallzentrum für Opfer sexueller Gewalt kamen sieben Vergewaltigungsopfer an, alle unter achtzehn. Im Stadtteil Katoyi wurden zwei Mädchen bei der versuchten Vergewaltigung von Uniformierten erschossen. Wir können wenig tun - unsere Fahrzeuge sind hinter der Kriegsfront blockiert. Seit Beginn der neuen Kämpfe hat unser Krankenhaus mit 150 Betten 42 verwundete Zivilisten aufgenommen. Ich sehe ein fünfjähriges Mädchen, deren Gesicht und Brust völlig verbrannt ist. Sie ging gerade an einer Gruppe Jugendlicher vorbei, die beim Armeecamp Gewehrkugeln gesammelt hatten und damit spielten. Sie war zufällig am falschen Ort, als das Zeug in die Luft flog.

Nachmittags kommen Bernard Kouchner und David Miliband an. Es gießt in Strömen. Überall sind europäische Soldaten. Wir wissen nicht, wohin die beiden Minister gehen und was sie tun. Aber ihre Ankunft ist ein Hoffnungsschimmer.

Abends hört der Regen auf, ich gehe nach Hause. Ich sehe Leute, die sich von außerhalb in die Stadt schleppen. Mütter breiten zerrissene Tücher auf dem kahlen schwarzen Felsen aus und schmiegen sich an die kleinen hölzernen Hütten, umgeben von ihren hungrigen Kindern. Sie betteln um Essen. Viele von ihnen leben seit April so, ohne Hilfe. Sie überleben, indem sie auf den Feldern von anderen arbeiten und dafür etwas zu essen kriegen. Wenn man mit ihnen spricht, ist ihre einzige Frage: "Wann können wir nach Hause?"

Wir haben zu Hause Reis und Bohnen. Immer das Gleiche, aber wenigstens etwas zu essen. Draußen ist es ruhig. Die Militärpolizei patrouilliert, und wer des Diebstahls verdächtigt wird, wird erschossen. Also bleiben alle in ihren Häusern.

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