Grenzstreit in Zentralamerika: Alarm wegen 2,7 Quadratkilometern

Nicaragua und Costa Rica nutzen einen absurden Grenzstreit für andere Ziele: als Hintergrundmusik für den Wahlkampf und für die Aufrüstung eines entmilitarisierten Staats.

Nicaraguanische Studenten sind überzeugt: der Fluss San Juan gehört zu Nicaragua. Bild: reuters

Es ist ein winziges Stück feuchtheißer Dschungel an der karibischen Küste, gerade mal 2,7 Quadratkilometer groß. Kein Mensch lebt dort dauerhaft. Und trotzdem streiten sich Nicaragua und Costa Rica seit bald drei Monaten darum, wem dieses Calero genannte Inselchen gehört.

Man könnte die Auseinandersetzung als absurdes Theater mit zwei Kleinstaaten abtun, wenn es nicht eigentlich um ganz andere Dinge ginge: In Nicaragua nutzt Präsident Daniel Ortega das Säbelrasseln für seinen Wahlkampf, in Costa Rica ist es Vorwand für ein Aufrüstungsprogramm. Ab Dienstag muss sich der Internationale Gerichtshof in Den Haag mit dem Streit befassen.

Costa Rica und Nicaragua haben sich schon oft über ihre Grenze gestritten. Immer ging es dabei um den Río San Juan, der vom Nicaraguasee an der Pazifikseite nach Osten zum Atlantik fließt. Nach dem letzten Streit hat der Gerichtshof in Den Haag 2009 entschieden: Der Fluss gehört Nicaragua, die Grenze verläuft entlang des Ufers zu Costa Rica hin.

Das wäre eindeutig, würde der Fluss nicht in einem kleinen Delta ins Meer münden. Zwischen den beiden Armen dieses Deltas liegt die Insel Calero. Welcher Arm markiert die Grenze? Das war beiden Staaten lange egal. Bis am 19. Oktober Nicaragua damit begann, den verschlammten Flusslauf zu säubern, weil selbst kleine Boote nicht mehr durchkamen. Den Aushub kippten die Arbeiter auf die Insel, und dort fällten sie auch ein paar Bäume. Weil der abgelegene Dschungel auch bei Drogenmafias auf dem Transitweg von Süd nach Nord beliebt ist, wurden die Arbeiter von Soldaten geschützt.

Costa Rica schrie Alarm. Präsidentin Laura Chinchilla sprach von einer Invasion und von erheblichen ökologischen Schäden. Nicaraguas Präsident hatte mit den Arbeiten den nach ihm prominentesten Exguerillero betraut: Eden Pastora, der als sandinistischer "Comandante Zero" 1978 mit einer waghalsigen Geiselnahme Ortega aus dem Gefängnis freigepresst hatte und später gegen die Sandinisten kämpfte. Der Veteran gab sich ahnungslos: Er habe vor Beginn der Arbeiten bei Google Maps nachgeschaut. Nach den dort eingezeichneten Grenzen habe er Nicaragua nie verlassen. Der Lateinamerikasprecher von Google entschuldigte sich: Die Grenzen seien nicht immer korrekt eingezeichnet.

Ortega hat nicht umsonst den symbolträchtigen Kämpen in den Dschungel geschickt. Er sollte ihm noch einmal Luft verschaffen. Ende November wird in Nicaragua ein Präsident gewählt und Ortega tritt noch einmal an, obwohl die Verfassung das verbietet. Ein aus Sandinisten zusammengesetztes Gericht hat zwar entschieden, dass in diesem Punkt die Verfassung verfassungswidrig sei, aber ändern konnte Ortega den Paragrafen nicht. Mit Säbelrasseln und Appellen an nationale Gefühle aber lässt sich dieses Problem trefflich überspielen.

In Costa Rica - seit einem kurzen Bürgerkrieg 1948 ohne Armee - wird der Konflikt zur Wiederbewaffnung genutzt. "Da wir nun einmal unseren Nachbarn nicht austauschen können, müssen wir Costa Rica in ein Land verwandeln, das sich verteidigen kann", sagte Sicherheitsminister José María Tijerino. Eine Armee zu fordern traut er sich noch nicht. Aber immerhin wurde eine militarisierte Grenzpolizei eingerichtet, die an die Grenze unterwegs ist. In diesen Tagen werden tausend Rekruten dafür angeworben.

Drei Tage wird nun in Den Haag über den Grenzstreit verhandelt. Bis zu einem Urteil können Monate, wenn nicht Jahre vergehen.

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