US-Konservative Sarah Palin: Fürstin des Feminismus

Ausgerechnet die republikanische US-Politikerin Sarah Palin präsentiert sich neuerdings als "konservative Frauenrechtlerin" - und könnte damit neue Wähler erschließen.

"Schwestern!": Sarah Palin. Bild: dpa

So häufig wie Sarah Palin nimmt niemand in den USA das Wort "Feminismus" in den Mund. In einer einzigen Ansprache in Washington benutzt die Exgouverneurin von Alaska, republikanische Exkandidatin für die Vizepräsidenz und inoffizielle Chefin der rechten Tea-Party-Bewegung das F-Wort ein volles Dutzend Mal. Als Höhepunkt verlangt Palin "eine neue, konservative feministische Identität". Das Publikum, bestehend aus finanzstarken rechten UnterstützerInnen des Netzwerks Susan B. Anthony List, applaudiert stehend.

Die Susan B. Anthony List unterstützt Frauen in der Politik, die sich gegen Abtreibung aussprechen. In ihrem Jargon heißt das: "Pro-Life" - das impliziert, dass die andere Seite "gegen das Leben" wäre. Sich selbst nennen die anderen freilich: "Pro-Choice" - damit meinen sie das Recht auf eine freie Entscheidung über Schwangerschaft oder nicht, ein Recht, das die feministische Bewegung im Jahr 1973 erkämpft hat. Seinen Namen hat das rechte Netzwerk bei einer amerikanischen Feministin der ersten Stunde entliehen. Susan B. Anthony war eine sozial engagierte Lehrerin des 19. Jahrhundert, die Zeit ihres Lebens sowohl für das Frauenstimmrecht als auch gegen die Sklaverei eintrat. Dass sie sich jemals in der Abtreibungsfrage engagiert hat, ist nicht bekannt. Aber das ist ein Detail, um das sich Sarah Palin gar nicht erst kümmert.

Was Sarah Palin interessiert, ist die Stimmung im rechten politischen Lager in den USA. Und da breitet sich die "Pro-Life"-Tendenz aus. Nach jahrzehntelanger Meinungshoheit von "Pro-Choice" - dem Recht auf Selbstbestimmung - hat sich der Proporz in der öffentlichen Meinung umgekehrt. Im vergangenen Jahr stellen MeinungsforscherInnen (unter anderem von Gallup) fest, dass sich mehr als 50 Prozent der US-AmerikanerInnen als "pro-life" verstehen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie das Recht auf Abtreibung infrage stellen. Wohl aber, dass sie Schwangerschaftsunterbrechungen kritisch sehen. Die feministischen Argumente zur Begründung des Selbstbestimmungsrechtes über den eigenen Körper sind kaum noch hörbar. Vielleicht liegt es daran, dass das Recht auf Geburtenplanung drei Jahrzehnte nach seiner Legalisierung als eine Selbstverständlichkeit erscheint. Möglicherweise spielt auch die in den Bush-Jahren stärker in die Öffentlichkeit getragene Religiosität eine Rolle. Fest steht, dass die Abtreibung heute eines jener gesellschaftlichen Themen ist, die in den USA die politischen Lager trennen.

Als Palin am 14. Mai an das Mikrofon der Susan B. Anthony List im Zentrum von Washington tritt, erinnert ihr Ton stellenweise an ein feministisches Treffen der 70er Jahre. "Schwestern!", ruft Palin zum Auftakt in den Saal - bevor sie die ehemaligen und gegenwärtigen SoldatInnen aufstehen lässt, damit das Publikum ihnen Beifall zolle. Sie hält Lobreden auf Margaret Thatcher und Ronald Reagan, und sie verteidigt das Recht auf Schusswaffentragen. Palin ist Mitglied in der mächtigen National Rifle Association und selber Jägerin. In ihren Kreisen gehören "Pro-Life" und "Waffentragen" offenbar zusammen.

Andere aktuelle Themen erwähnt die Rednerin erst gar nicht. Über die wichtigste Sorge des Moments - die Ölpest, die sich im Golf von Mexiko ausbreitet - verliert sie kein Wort. Erstens war sie schon als Gouverneurin im Ölstaat Alaska den Mineralölkonzernen gegenüber besonders freundlich gesinnt. Und zweitens ist ihre Bewegung darauf spezialisiert, den Staat als "zu stark" zu kritisieren.

Das macht es schwierig, jetzt, wo am Golf von Mexiko ein starker Staat nötig ist, um den Mineralölkonzern BP und die Ölpest einzudämmen.

"Pro-Life" - der Lebensschutz - ist da unverfänglicher. Sarah Palin ist ist eine populäre Rednerin in der populistischen Bewegung Tea-Party. Aber in ihrer eigenen Partei, bei den Republikanern, ist sie umstritten, fehlen die Seilschaften. Zudem kann es nicht schaden, als Politikerin, auf die sich die liberalen Medien sonst stürzen, weil sie sich ihre einfachsten Ideen vor einem Interview auf die Handinnenfläche notiert oder weil sie angeblich ihre Brüste vergrößern lässt, mit einer politischen Idee ins Gespräch zu kommen: deshalb der "konservative Feminismus", den sie hier erstmals propagiert.

Wenige Tage nach Palins Auftritt vor der Susan B. Anthony List erringen mehrere republikanische Frauen Anfang Juni bei den Vorwahlen für den Senat historische Erfolge. Unter anderem tragen erklärte Lebensschützerinnen Primary-Siege davon: In Kalifornien qualifiziert sich Carly Fiorina, steinreiche Exmanagerin des Computerherstellers Hewlett-Packard, als Kandidatin für einen Senatssitz. In Nevada kann die Lebensschützerin Sharron Angle in die nächste Runde für den Senat ziehen. Auch in South Carolina siegt mit Nikki Haley eine Frau aus der Seilschaft von Sarah Palin bei den Vorwahlen als Gouverneurskandidatin. Keine der Kandidatinnen hat in ihrem Wahlkampf selbst mit der Geschlechterfrage argumentiert. Darum kümmert sich Sarah Palin. Und damit könnte sie in ihrer Partei ein ganz neues Fach erobern.

In der Republikanischen Partei ist politischer Erfolg von Frauen ungewohnt. Der 111. Kongress der USA - der gegenwärtige - ist zwar mit einer rekordhohen Zahl von Frauen besetzt: insgesamt 96 (davon 78 im Repräsentantenhaus und 18 im Senat). Doch nur 21 dieser Frauen sind Republikanerinnen.

Durch frauenfreundliche Politik ist die 46-jährige Palin in ihrer kurzen, aber steilen politischen Karriere nicht aufgefallen. Sie hat sich weder für gleichen Lohn für gleiche Arbeit engagiert noch für finanzielle Mittel für die Kinderversorgung. Hingegen hat sie die linken Feministinnen vielfach und scharf kritisiert und behauptet, Feministinnen würden junge Frauen zu Abtreibungen drängen oder suggerieren, Mutterschaft und berufliche Karriere seien unvereinbar. Präsident Obama ist für sie schlicht der "abtreibungsfreundlichste Präsident in der Geschichte der USA". Sarah Palin gehört zu jener Sorte von US-PolitikerInnen, die mehr von "Gott" reden als von sozialer Gerechtigkeit. Und die auf den Versammlungen der Tea-Party-Bewegung regelmäßig zwei eigentlich widersprüchliche Positionen vortragen: Einerseits prangern sie das "big government" an - den starken Staat, der sich in das Privatleben seiner BürgerInnen einmischt. Andererseits verlangen sie, genau dieser Staat solle schwangeren Frauen vorschreiben, wie sie mit ihrem eigenen Körper umzugehen haben.

Sarah Palin ist grundsätzlich gegen Schwangerschaftsabbrüche. Auch in solchen Fällen, wo die schwangere Frau noch ein Kind ist und von ihrem Vater vergewaltigt worden ist. Sie ist auch gegen Abtreibungspillen. Und sie will, dass der Aufklärungsunterricht aus dem Lehrplan der Schulen verschwindet. Als ihre eigene Tochter im Alter von 17 ungewollt schwanger wird, fällt der Politikerin nichts Besseres ein, als die (letztlich geplatzte) Hochzeit der Tochter öffentlich anzukündigen. Beinahe gleichzeitig ist Palin selbst schwanger. Ihr fünftes Kind kommt mit Downsyndrom zur Welt. Vor der Susan B. Anthony List erzählt Palin davon, wie "Gott" ihr nach der Ultraschalluntersuchung und während der Schwangerschaft ins Ohr geflüstert habe. Und dass der heute zweijährige Sohn das beste "Ding" sei, das "der Palin-Familie passiert ist". Mehrere Feministinnen in den USA reagieren heftig auf Sarah Palins "konservativen Feminismus".

Sie diskutieren, ob eine wie Palin überhaupt das Recht hat, sich mit dem Attribut "Feministin" zu schmücken.

"Der Fake-Feminismus von Sarah Palin", titelt die New-Yorker Feministin Jessica Valenti einen Meinungsbeitrag in der Washington Post. Eine "feministische Anti-Feministin", empört sich die Bloggerin Amanda Marcotte. Die Kolumnistin Rebecca Traister entgegnet, der Feminismus gehöre niemandem und habe "keine Exklusivrechte".

Und die Autorin Kate Harding erklärt in dem Online-People-Magazin Jezebel, dass die Vereinnahmung des Feminismus durch Palin zugleich eine Anerkennung sei: "Irgendwie müssen wir Recht haben, wenn sie uns nachmacht."

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