Hungertote beschämen den Präsidenten: Guatemala ruft Notstand aus

Kein anderes Land in Lateinamerika hat einen höheren Anteil an Unterernährten. Das Vorzeigeprogramm gegen Hunger und Armut verbesserte die Situation nicht.

Essen aus dem Müll: Regierungsprogramm gegen Hunger fruchtete nicht. Bild: reuters

San Salvador taz | Er wollte es nicht, aber er konnte nicht mehr anders: In der Nacht zum Mittwoch hat der guatemaltekische Präsident Álvaro Colom wegen einer Hungersnot den nationalen Notstand erklärt. Nach der offiziellen Statisik sind über zwei Dutzend Kinder verhungert. Das präsidiale Sekretariat für Ernährungssicherheit geht davon aus, das die Zahl wahrscheinlich viel höher“ ist.

Das Gesundheitsministerium sprach am Dienstag von bislang 462 Hungertoten. Trotzdem zauderte der Präsident lange mit der Ausrufung des nationalen Notstands. Er gesteht damit ein, dass das Vorzeigeprogramm seiner Regierung zur Bekämpfung des Hungers und der Armut in eineinhalb Jahren nichts gebracht hat.

Die Erklärung des Notstands „erlaubt es uns, internationale Hilfe in Anspruch zu nehmen und auch in unserem eigenen Haushalt schnell Mittel frei zu machen“, sagte Colom in einer Radio- und Fernsehansprache. „Es gibt genügend Lebensmittel, aber die Betroffenen haben nicht das Geld, um sie zu kaufen.“ Das Problem ist schon lange bekannt. 49 Prozent der Kinder unter fünf Jahren - fast ausschließlich Indígenas der verschiedenen Maya-Völker - sind chronisch unterernährt.

Kein anderes Land in Lateinamerika hat einen höheren Anteil an Unterernährten. Zum strukturellen Problem kam in diesem Jahr eine durch das Klimaphänomen „El Niño“ ausgelöste Dürre im Osten des Landes dazu, die große Teile der Mais- und Bohnenernte der Subsistenzbauern vernichtet hat. Mindestens 60.000 Familien leiden dort Hunger. Die Zahl könnte in den nächsten Wochen auf 300.000 Familien ansteigen.

Schon in der vergangenen Woche hatte Colom die im Land akkreditierten Borschafter um Hilfe gebeten. „Wir brauchen die Erklärung des nationalen Notstands, um auf unsere Mittel für Nothilfe zurückgreifen zu können“, sagte ihm die schwedische Botschafterin Eva Werner, die in Guatemala auch die Interessen der Europäischen Union vertritt.

Genau das aber wollte Colom eigentlich vermeiden, weil dies die Arbeit seiner Frau Sandra Torres in Frage stellt. Die leitet ein soziales Superministerium, deren Vorzeigeprogramm zur Hunger- und Armutsbekämpfung mit großem Werbeaufwand begleitet wird. Kritiker bemängeln, das Programm diene letztlich nur dazu, die Präsidentengattin mit öffentlichkeitswirksamen Lebensmittelverteilungen als Kandidatin für die Nachfolge Coloms aufzubauen.

Colom gab sich bei seiner Fernsehansprache zerknirscht. Der Notstand sei „beschämend für das Land“. Letztlich sei der Hunger eine Folge der sozialen Unterschiede. Die Regierung aber hat bislang nichts getan, um diese Unterschiede auszugleichen. Guatemala hat mit neun Prozent Steueraufkommen gemessen am Bruttoinlandsprodukt die niedrigeste Quote in Lateinamerika.

Colom hatte im Wahlkampf versprochen, diese Quote mit einer Steuerreform auf 18 Prozent zu verdoppeln, um damit Sozialprogramme zu finanzieren. In eineinhalb Jahren aber hat er nichts dafür getan. Wollte er es, müsste er sich mit den mächtigen Unternehmern des Landes anlegen. Doch auch da zaudert der Sozialdemokrat.

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