Weltsozialforum in Brasilien: Laufsteg für die linken Staatschefs

Angesichts der Finanzkrise soll auf dem Weltsozialforum in Belém ein klares Signal gesetzt werden. Fraglich ist, ob das den sozialen Bewegungen aus ihrer Krise hilft.

2005 beim World Social Forum in Porto Alegre. Da gingen 250.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Neoliberalisierung der Welt zu protestieren. Wie viele werden es diesmal sein? Bild: dpa

Das 9. Weltsozialforum findet vom 27. Januar bis zum 1. Februar in der Amazonas-Metropole Belém statt und steht ganz im Zeichen der Finanz- und Klimakrise. Rund 120.000 TeilnehmerInnen aus etwa 150 Ländern wollen sechs Tage auf mehr als 2.000 Veranstaltungen unter anderem über alternative Politiken, Widerstandsformen, eine neue Weltwirtschaftsordnung und die Auswirkungen des Klimawandels diskutieren. Die zunehmende Bedeutung des WSF macht sich auch daran fest, dass mindestens fünf Staatschefs aus Südamerika ihr Kommen angekündigt haben - als gleichberechtigte Teilnehmer, wie sie versichern. Sie wollen sich an einem Seminar "Lateinamerika und die Herausforderungen der internationalen Krise" beteiligen. FLEE

Das Signal, das von Belém ausgeht - es könnte von enormer Durchschlagskraft sein. Wenn es am Ende des diesjährigen Weltsozialforums (WSF) tatsächlich zum gemeinsamen Beschluss kommt, den 28. März zum globalen Aktionstag gegen den G-20-Weltfinanzgipfel zu erklären, wird wohl niemand mehr das Treffen der sozialen Bewegungen als "einflussloses Happening" abtun. Die Regierungschefs der 20 größten Industriestaaten (G 20) hätten es dann mit einem Gremium zu tun, das weltweit Millionen Menschen zu mobilisieren vermag.

Zum neunten Mal findet ab Dienstag das Treffen der "Bewegung der Bewegungen" statt, dieses Mal in Belém, einer Millionenstadt am Amazonasdelta. "Wir rechnen mit einem ganz konkreten Ergebnis", sagt Hugo Braun von Attac, der in Belém die deutsche Sektion des globalisierungskritischen Netzwerks vertreten wird. Auf einem Treffen Anfang Januar in Paris hatten sich 150 VertreterInnen europäischer Initiativen geeinigt, den Samstag vor dem Weltfinanzgipfel der 20 größten Industrie- und Schwellenländer Anfang April in London für Proteste zu nutzen. "Die Chancen stehen gut, dass der 28. März tatsächlich ein weltweiter Aktionstag wird", sagt Braun. Angesichts der globalen Weltfinanzkrise sei das auch bitter nötig, fügt er hinzu.

Nachdem das Forum 2001 zum ersten Mal im südbrasilianischen Porto Alegre als Gegenveranstaltung zum traditionellen Weltwirtschaftsforum im Schweizerischem Davos stattfand, treffen sich seitdem jedes Jahr zehntausende Globalisierungskritikern, VertreterInnen von Gewerkschaften, Linksparteien, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, um über Alternativen zur Weltwirtschaftsordnung zu diskutieren. Zum ersten WSF kamen 15.000 AktivistInnen, 2005 waren es bereits zehnmal so viele. Dazwischen fand das WSF im indischen Bombay (Mumbai) mit über 100.000 Teilnehmern statt, 2007 kamen 50.000 nach Nairobi in Kenia.

Trotz oder auch wegen der hohen Teilnehmerzahlen krankte das Treffen bereits nach den ersten Malen an einer Beliebigkeit, es wurde nicht selten als "Folklore-Veranstaltung" verspottet.

Das Problem liegt im Selbstverständnis. Beim Vorbereiterkreis entbrannte jedes Jahr aufs Neue ein heftiger Streit über die Frage der Funktion des WSF. Die einen wollten das WSF als politischen Akteur mit klaren Positionen etablieren; bei Allgemeinplätzen wie einer Haltung zum Irakkrieg oder zur Politik der Welthandelsorganisation wäre eine Positionierung auch nicht weiter schwierig gewesen. Doch damit stellte sich die Frage nach der Repräsentation des Forums. Denn ein zentrales WSF-Gremium mit eigenem politischem Mandat würde das basisdemokratisch orientierte Konsensprinzip verlassen.

Die Vertreter, die sich vom WSF hingegen ein deutliches Signal an die Außenwelt wünschen, richteten parallel zum WSF das sogenannte Forum der "Versammlung der sozialen Bewegungen" ein. Doch auch dieser Apparat entpuppte sich als schwerfällig. So gab es 2005 allein für eine Schlusserklärung über 350 inhaltliche Vorschläge. Das daraus ausgerufene "Manifest von Porto Alegre" stieß bei vielen TeilnehmerInnen auf scharfe Kritik. In den darauffolgenden Jahren beließen es die Initiatoren bei wenigen allgemein gehaltenen Forderungen, die kaum tatsächliche Konsequenzen nach sich zogen. Mit der Finanzkrise könnte sich dieser Streit dieses Mal erübrigen.

In der Tat fühlen sich die meisten ForumsaktivistInnen durch die Weltfinanzkrise bestätigt. "Es ist eine Systemkrise", sagte Leonardo Boff auf dem "Forum über Theologie und Befreiung", das am Sonntag in Belém zu Ende ging. Nun gehe es darum, die auf den Großtreffen seit 2001 entwickelten Alternativen zu propagieren und zu "verhindern, dass der Kapitalismus neu erfunden wird". Alexis Passadakis von Attac Deutschland sieht gar jetzt erst eine tatsächliche Annäherung der weltweiten Bewegungen. "Erstmals bekommt auch der Norden die negativen Auswirkungen der Globalisierung zu spüren und nicht nur der Süden", sagt Passadakis.

"Ich würde auch dieses Mal die Erwartungen nicht zu hoch schrauben - trotz Finanzkrise", widerspricht ihm hingegen Dieter Rucht, Bewegungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin. "Hinz und Kunz kommen beim WSF zusammen", so Rucht, der das WSF seit Jahren wissenschaftlich beobachtet. Es würden Monate und Jahre vergehen, bis sich die TeilnehmerInnen auf einen zentralen Text einigen.

"Die sozialen Bewegungen sind auch in der Krise, weil sie sich zum Teil, vor allem in Brasilien, von den Regierungen kooptieren, einkaufen, schlucken lassen", verteidigt sich Graça Costa vom Vorbereitungskomitee im Belém. Deshalb sei es unrealistisch, von den Aktivisten kohärente Antworten auf die Weltfinanzkrise zu erwarten. Costa, eine typische Vertreterin des WSF-Prinzips der "Horizontalität", hält weniger von vollmundigen Erklärungen oder spektakulären Einzelaktionen als von Kontinuität und dem Bohren dicker Bretter. Das Problem dabei: Erfolge auf dieser Ebene sind kaum messbar und noch weniger medial zu vermitteln.

"In den letzten Jahren hat man sich auf die Ausrichtung der Treffen beschränkt, ohne Vorschläge zur neoliberalen Krise oder den imperialen Kriegen vorzubringen", moniert der Soziologe Emir Sader, Mitglied des Internationalen WSF-Rates und als einflussreicher Altlinker seit jeher ein Befürworter eines engeren Schulterschlusses mit Chávez, Lula & Co.

Und in der Tat steht das Spannungsverhältnis zwischen sozialen Bewegungen und linken Regierungen auf diesem WSF so markant wie nie zuvor auf der Tagesordnung. Seit dem ersten Treffen in Porto Alegre haben gleich reihenweise linke Politiker in Südamerika die Regierung übernommen: wie 2002 der Exgewerkschafter Lula da Silva in Brasilien oder 2005 der Indígena Evo Morales in Bolivien. Lula und Morales nehmen am Donnerstag zusammen mit dem Linkskatholiken Rafael Correa, mittlerweile Staatschef in Ecuador, und dem Befreiungstheologen Fernando Lugo, der in Paraguay die Regierung anführt, an einer Podiumsdiskussion teil. "Immerhin haben jetzt die Regierungen die Initiative und nicht mehr die Firmen", rechtfertigt WSF-Ratsmitglied Cândido Grzybowski die Veranstaltung.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Teilnehmer auf einen globalen Aktionstag geeinigt haben. Auf dem Weltsozialforum 2002 wurde gegen den unmittelbar bevorstehenden Irakkrieg mobilisiert. Wochen später gingen weltweit Millionen auf die Straße. Doch die US-Regierung und ihre "Allianz der Willigen" blieben unbeeindruckt. Das ist nun Geschichte. Leonardo Boff ist dennoch zuversichtlich: "Obama ist auch ein Ergebnis des Sozialforumstraums, nämlich dass auch in Nordamerika eine andere Politik möglich ist."

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