Verfassungsreform in Venezuela: Noch zwei Hürden für Chávez

Die Nationalversammlung nickt den Entwurf für Verfassungsreform ab. Schreitet der Oberste Gerichtshof nicht ein, wird im Dezember über die Änderungen von 69 Artikeln abgestimmt.

"Venezuela sagt Nein zur Reform": auf einer Demonstration in Caracas gegen die Reform von Chávez. Bild: reuters

PORTO ALEGRE taz Der Countdown für Venezuelas Verfassungsreform läuft. Geht es nach Präsident Hugo Chávez und seinen bedingungslosen Gefolgsleuten in der Nationalversammlung, dann stimmen die VenezolanerInnen in vier Wochen über die Änderungen von 69 der 350 Artikel ihres Grundgesetzes ab. Zuvor muss sich allerdings noch der Oberste Gerichtshof zu den Einsprüchen gegen das Reformprojekt äußern.

Am Freitag billigte das Parlament mit 161 von 167 Stimmen den Gesamttext. Die 6 Enthaltungen kamen von Abgeordneten der linkssozialdemokratischen Partei Podemos, die das Schnellverfahren wiederholt als verfassungswidrig bezeichnet hatten. Den 33 Änderungsvorschlägen des Staatschefs hatte das Regierungslager über eine Parlamentskommission 36 weitere hinzugefügt, die angeblich "aus dem Volk" kommen.

Kritik kam bisher aus fast allen Lagern, etwa an der geplanten Einschränkung der Grundrechte im Falle eines Ausnahmezustands. Künftig soll dabei das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren und auf Informationsfreiheit unbegrenzt ausgesetzt werden können. Zudem sollen die Autonomie der Zentralbank abgeschafft werden, die tägliche Arbeitszeit nur noch sechs statt acht Stunden betragen oder in der Produktion kollektive Eigentumsformen bevorzugt werden. Kernstück ist die Möglichkeit zur unbegrenzten Wiederwahl des Präsidenten.

Die neue Verfassung werde dem Volk den Weg zu einer neuen Gesellschaftsordnung weisen, sagte der Abgeordente Carlos Escarrá. Für seinen Kollegen, Podemos-Generalsekretär Ismael García, ist die Abstimmung hingegen "eine schwarze Seite in der demokratischen Geschichte Venezuelas". Gegenüber der brasilianischen Tageszeitung O Globo bezeichnete García die Reform als "Staatsstreich": "Früher haben sie Waffen verwendet, heute die Nationalversammlung."

García, der sich als demokratischer Sozialist definiert, fügte hinzu: "Wir haben Chávez in allem begleitet, elfmal haben wir ihn gewählt, aber dabei haben wir immer die Verfassung von 1999 geachtet, die die Menschen einbezieht, anstatt sie auszugrenzen." Seine Maxime: "Die Reformen müssen von der Gesellschaft ausgehen, nicht vom Staat." Für eine weitreichende Verfassungsreform fordert er einen eigenen Konvent. Die meisten VenezolanerInnen seien über die geplanten Änderungen überhaupt nicht im Bilde: "Die Regierung will das Projekt um jeden Preis durchbringen, am frühen Morgen, um eine Reaktion der Bevölkerung zu vermeiden".

Bei der Ankündigung der Kampagne für das "Ja" bei dem Referendum forderte Chávez: "Bereitet euch vor, das wird gut, das wird eine gründliche Reform." Kritik von konservativen Bischöfen wies er zurück: "Wenn Christus leben würde, würde er sie mit Peitschenhieben vertreiben", rief Chávez. "Das Volk ist für diese Reform, für die soziale Gerechtigkeit, für die Prinzipien des echten Christentums, und nicht für die der Pharisäer."

Nach dem Parlamentsvotum setzte der Nationale Wahlrat nahezu einstimmig den 2. Dezember als Termin für das Referendum fest. Einzig deren Mitglied Vicente Díaz trug die Entscheidung nicht mit. Zuvor müsse sich der Oberste Gerichtshof zur Verfassungsmäßigkeit des Projekts äußern, meinte der der Opposition nahe stehende Jurist. "In den neun Grundprinzipien der Verfassung von 1999 wird eindeutig festgelegt, dass Venezuela ein pluralistisches Land mit wechselnden Amtsträgern ist", sagte Díaz. Dies steht im Gegensatz zu den geplanten Änderungen, in denen explizit von einer sozialistischen Gesellschaftsordnung die Rede ist.

So richten sich die Hoffnungen vieler Kritiker auf den Obersten Gerichtshof. Während die Chavistas gestern mit einem Massenauflauf in Caracas die "Ja"-Kampagne starteten, zeigt sich die liberal-konservative Opposition gespalten. Die Studentenbewegung fordert eine Verschiebung der Volksabstimmung und will ansonsten für ein "Nein" mobilisieren. Rechte Hardliner möchten das Referendum boykottieren oder ganz verhindern. Am Samstag kündigte Oscar Pérez vom oppositionellen "Nationalen Widerstandskommando" vor tausenden Demonstranten für den 26. November einen "Marsch ohne Wiederkehr" an: "Wir müssen Energiedrinks, Schokolade, Süßigkeiten und Taschenlampen horten."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.