Obamas außenpolitische Beraterin: "Öffentlich mit Fehlern abrechnen"

Samantha Power, außenpolitische Beraterin des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama spricht im Interview über Fehler und notwendige Veränderungen der US-Außenpolitik

Will ins Weiße Haus: Barack Obama Bild: rtr

taz: Time hat Sie zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt erklärt. Was machen Sie mit all dem Einfluss?

Samantha Power: Versuchen, Obama zum Wahlsieg zu verhelfen. Ich war 2004 in der Liste, dann bin ich zugunsten von John Stewart wieder rausgeflogen... Man wird, auch wenn das ein bisschen arg hochtrabend klingt, meinen tatsächlichen Einfluss daran messen können, ob es gelingt, das Nachdenken über die menschlichen Folgen politischer Entscheidungen zum Bestandteil von US-Außenpolitik zu machen.

Was soll das heißen?

In meinem Buch über den Umgang der USA mit Völkermorden* schreibe ich, warum wir den Massenmord in Ruanda zuließen - aber wenn man die Strukturen und Mechanismen der US-Außenpolitik betrachtet, versteht man auch, wie wir im Irak gelandet sind. Beide Themen eint, dass die Auswirkungen auf die betroffenen Menschen bei der Entscheidungsfindung ausgeblendet wurden. All meine Arbeit hat zum Ziel, das zu ändern. Und derzeit scheint mir der effizienteste Weg, grundlegende Veränderungen in den USA zu erreichen, Obama zum Präsidenten zu machen.

Aber warum sollte ein neuer Präsident etwas ändern können, wenn es tatsächlich um Mechanismen und Strukturen geht?

Sie müssen die Strukturen verstehen um sie ändern zu können. Zunächst müssen Sie anerkennen, dass alle Regierungen der Welt, alle Demokratien zumal, nationale Interessen verfolgen. Sie definieren diese Interessen in Bezug auf nationale Sicherheit und wirtschaftliche Interessen. Daran wird sich nichts ändern. Aber jemand wie Obama, dessen Großmutter bis heute in armen Verhältnissen in Kenia lebt, weiß, dass langfristige Sicherheitsinteressen nicht mehr national sind. Wir alle haben ein Interesse daran, das Morden in Darfur zu stoppen, und an weltweitem Frieden und Stabilität. Wenn man das wirklich verstanden hat, muss man außerdem noch international jene kritische Masse an Unterstützung erreichen, um etwas zu tun. In Europa gibt es zum Beispiel große Unterstützung für Entwickungshilfe und Institution Building - aber zu wenig für effektive Krisenintervention.

Seit einigen Jahren schon hält ein Großteil der öffentlichen Meinung Europas die US-Außenpolitik eher für ein Teil des Problems als der Lösung, etwa im Bereich der Menschenrechte. Glauben Sie, dass die USA überhaupt in der Lage sein könnten, ihre Außenpolitik an Menschenrechten auszurichten?

Nein, und das habe ich auch nicht vorgeschlagen. Eine Regierung wird gewählt, um die Interessen ihrer Bürger zu vertreten. Aber Menschenrechtsfragen außen vor zu lassen, zu foltern, andere Länder ohne Plan und internationale Unterstützung zu überfallen, Geheimoperationen durchzuführen und Menschen umzubringen - all das ist ein Niveau von Unmenschlichkeit in der Außenpolitik, das seinerseits die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten in Gefahr bringt. Wenn ich Bin Laden wäre und aufschreiben sollte, wie ich mir die Reaktionen der USA wünsche, würde ich es ungefähr so notieren.

Auch in absehbarer Zukunft werden die USA im Kampf um Rohstoffe ihre Außenpolitik auf Konkurrenz mit Russland und China einstellen. Wird dem nicht immer Priorität gegenüber Menschenrechtsbedenken gegeben werden?

Nur eine der drei Supermächte ist eine Demokratie. Nur eine hat ein Parlament, eine Presse und eine Zivilgesellschaft, die sich gegen verantwortungslose oder zerstörerische Politik einsetzt. Kurzfristig verschafft das China und Russland einen wirtschaftlichen Vorteil, wie man ja auch bereits in Birma oder Sudan sieht. Die Bush-Regierung würde liebend gern mit Sudans Regierug Geschäfte machen, kann das aber nicht, weil der Kongress das wegen Darfur nicht zulassen würde. Es stimmt zwar, dass in den vergangenen Jahren viel vom System der Checks and Balances in den USA zu Bruch gegangen ist. Aber den Unterschied gibt es noch.

Sprechen wir über den kommenden Präsidenten Barack Obama und seine Außenministerin Samantha Power...

Das werde ich niemals sein.

Nationale Sicherheitsberaterin?

Nope. Eine der Lektionen, die man von der Bush-Regierung lernen kann ist, dass man in Positionen mit so großem Einfluss wirklich erfahrene Persönlichkeiten braucht. Ich bin Journalistin und Professorin, habe niemals eine verantwortliche Führungsposition innegehabt, und wenn Sie mich besser kennen würden, wüssten Sie auch, warum das keine gute Idee wäre.... Im Ernst: Wenn Obama im Januar 2009 das Amt übernimmt, muss er alle drei Sphären außenpolitischen Einflusses der USA wiederherstellen. Hard Power, Legitimität und Kompetenz. Sie strahlen keine Kompetenz aus, wenn Sie eine Journalistin zur neuen Außenministerin machen. Das ist so wie die Heimatschutzbehörde unter Michael Brown bei der Katrina-Katastrophe: Es nutzt nichts, seine besten Freunde auf Posten zu heben.

Und wie stellt er Hard Power und Legitimität wieder her?

Obama muss den Haushalt ausgleichen, muss aus dem Irak heraus und muss das Militär für Aufstands- und Terrorbekämpfung besser austatten. Um Legitimität wieder herzustellen, müssen wir Guantánamo schließen, der Folter abschwören, die geheimen Verschleppungen beenden - und öffentlich mit all diesen Fehlentwicklungen abrechnen.

Zwischen den USA und Europa gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Reizworten: Kioto-Protokoll, Internationaler Strafgerichtshof usw. Was können wir erwarten?

Würde Obama am ersten Tag erklären, er wolle dem Kioto-Protokoll beitreten und den Internationalen Strafgerichtshof ratifizieren, würde er damit innenpolitisch nicht durchkommen. Er kann unterschreiben, sich dafür einsetzen, alles mögliche. Aber in beiden Themenbereichen wird der nächste Präsident, wer immer das ist, sich genau überlegen müssen, was er erreichen kann, und dann endlich innenpolitisch führen und den Weg bereiten um weiter zu gehen.

Es ist in den letzten Jahren schwergefallen sich vorzustellen, dass US-Außenpolitik wirklich auch anders sein kann. Sind nicht viele Postulate der Neokonservativen inzwischen so stark im Mainstream verankert, dass sie gar nicht mehr wegzudenken sind?

Ich denke schon, dass Obama eine wirklich ganz andere Politik vertritt. Er fand und findet den Irakkrieg eine idiotische Idee. Er ist der Meinung, dass die US-Regierung natürlich mit ihren Gegnern sprechen muss, angefangen bei Ahmedinedschad. Er hat im Wahlkampf gesagt, dass er keine Atomwaffen gegen Terroristen in Afghanistan einsetzen würde - und wurde dafür sofort attackiert. Von Hillary etwa hieß es, man müsse sich doch alle Optionen offenhalten. Wenn Obama vom Traum einer atomwaffenfreien Welt spricht, dann ist das normalerweise nichts, was ein Demokrat sagen darf. Die Demokraten müssen immer beweisen, wieviel Extra-Testosteron in ihnen steckt, und wieder hieß es, Obama dürfe so nicht reden. Obama will das Embargo gegen Kuba beenden und volle Reisefreiheit herstellen, auch so ein Tabu. Das sind doch wirklich neue Politikvorstellungen - wenngleich er sicherlich zum Teil von diesem Frischlufttsunami profitiert, den jeder auslöst, der nicht George Bush ist.

Was würde sich denn Obama von den Europäern erhoffen, was etwa ihre Rolle im Nahen und Mittleren Osten angeht?

Obama setzt auf Hoffnung, aber er ist kein Idiot. Er geht mit Sicherheit nicht davon aus, dass die Europäer dort ihre Truppen hinschicken. Aber zwischen der unsinnigen Vorstellung, die Europäer könnten irgendwo hingehen, wo die USA nicht hingehen wollen, und der Weigerung, überhaupt je zum Telefon zu greifen, weil ja alles unsere Schuld ist, gibt es noch eine Option. Etwa bei der irakischen Flüchtlingsfrage: Viereinhalb Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Europäer haben alles Recht, auf die Verantwortung der USA für die Misere zu verweisen. Aber Obama hätte auch das Recht zu sagen: Stimmt, ihr habt das nicht geschaffen. Aber ist es nicht in unser beider Interesse, die Region nicht weiter zu destabilisieren? Das ist nur ein Beispiel. Internationale Polizeiausbildung und ähnliche Aufgaben im Rahmen des Peacekeeping wären weitere.

Vor kurzem hat das Buch von John Mearsheimer und Stephen Walt über den Einfluss der Israel-Lobby auf die US-Politik große Diskussionen ausgelöst. Dass die Lobby stark ist, bestreitet niemand - würde sich mit Obama daran etwas ändern?

Die Freundschaft zu Israel ist auch für Obama eine Priorität, und die Idee, dass es nur das Geld oder der Lobby-Einfluss wäre, der die US-Israel-Politik bestimmt, ist falsch. Es ist eine ganze politische Kultur im Außenministerium, dass man in der Region einen Freund braucht. Das ist dummerweise zu Kritiklosigkeit dem Freund gegenüber geworden. Das kann man ändern.

Wer gewinnt die Vorwahlen?

Bitte? Obama natürlich.

Wen würden Sie gern als seinen republikanischen Kontrahenten sehen?

Wen ich gern sähe? Alan Keyes! (lacht) Aber im Ernst: Ich glaube, die Republikaner werden unterschätzt. Sie haben ein Problem, weil alle ihre führenden Kandidaten für den Krieg sind, und die allgemeine Stimmung ist gegen den Krieg. Andererseits haben die Demokraten selten die Gelegenheit verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen. Aber weder die Demokraten noch die Welt können es sich leisten, diese Wahl zu verlieren.

* Samantha Power: A Problem from Hell. America and the Age of Genocide, 2003

INTERVIEW: BERND PICKERT

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.