Tea-Party-Proteste in den USA: Rassismus undercover

Einst trat hier Martin Luther King auf. Nun versuchte die ultrarechte Tea-Party-Bewegung Washingtons Lincoln-Memorial zu okkupieren. Es gelang ihr nur teilweise.

Tea-Party Anhängerinnen auf der Kundgebung in Washington. Bild: rts

WASHINGTON taz | Gott ist die Hauptperson der unüberschaubar großen Menschenmenge, die sich in dem Park versammelt hat. Dicht gefolgt von Moderator Glenn Beck. Hauptberuflich ist Letzterer der rechte Vorredner der USA. In täglich vier (sic!) Stunden in Radio und Fernsehen nennt er Präsident Barack Obama einen "Weißenhasser" und hetzt gegen den "Sozialismus" der Regierung. Doch an diesem Samstag, zwei Monate vor den Midterm-Wahlen, geht es ihm offiziell nicht um Politik. Seinem aus allen Winkeln Amerikas nach Washington angereisten Publikum hat Beck gesagt, es solle keine politischen Transparente mitbringen. Von den Stufen vor dem Lincoln Memorial aus ruft er ins Mikrofon: "Gott kann unseren Glauben zurück zu jenen Werten und Prinzipien führen, die Amerika groß gemacht haben."

Schauplatz und Datum der Veranstaltung sind symbolträchtig. 47 Jahre zuvor hat der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King auf denselben Stufen einen Satz gerufen, den heute Schulkinder in der ganzen Welt lernen: "Ich habe einen Traum." Damals ging es um gleiche Rechte für Afroamerikaner. Dieses Mal sind sowohl Gastgeber als auch die überwiegende Mehrheit der Zuhörer weiß. Sie wollen Amerika nicht verändern. Sie träumen von der Rückkehr zu alten Zuständen. Und sie stammen nicht aus den Vorstädten, sondern aus der Mittelschicht des Landes. Sie bevorzugen die "natürliche" und "gottgewollte" Familie. Sie berufen sich auf die jüdisch-christliche Tradition. Vom "Islam" ist keine Rede. Die Wahl des Datums für die Versammlung nennt Beck eine "göttliche Fügung".

Den Versuch einer politischen Vereinnahmung des schwarzen Bürgerrechtlers weist Beck weit von sich. Er sagt, dass Martin Luther King niemandem gehöre. Beck ist ein Jahr nach der historischen Rede von Martin Luther King zur Welt gekommen. Mit 30 war der Moderator schwerer Alkoholiker. Dann konvertierte er zum Mormonen (und damit auch zum radikalen Abstinenzler), heiratete seine zweite Frau (eine Mormonin); seither gibt er seinen zuvor lediglich politischen Kampfreden einen zunehmend religiösen Anstrich.

"Restoring Honor" - die Ehre wiederherstellen - steht in goldenen Lettern auf dem schwarzen T-Shirt, das viele Menschen tragen. Was an der Ehre kaputt ist? "Ich muss mich konzentrieren", antwortet ein großer junger Mann aus Neu-England: "Ich kann nicht sprechen." Er lauscht einem Kriegsveteranen, der auf Einladung von Beck ein Gebet für die Truppen "zwischen Bagdad und Kandahar" vor der Menschenmenge spricht. "Kein Kommentar", sagt eine mittelalte Frau. Sie ist mehr als 1.000 Kilometer weit aus Minnesota in die Hauptstadt gereist. Jetzt steht sie in ihrem gold-schwarzen "Restoring Honor"-T-Shirt am Rand des Denkmals für die Gefallenen des Vietnamkrieges und sagt der Journalistin: "Woher soll ich wissen, ob Sie positiv oder negativ über uns berichten?"

Die US-Medien haben eine "Tea Party"-Demonstration angekündigt. Eine Versammlung der Bewegung vom rechten Rand der republikanischen Partei, die seit dem Präsidentenwechsel von George W. Bush zu Barack Obama einen rasanten Aufschwung genommen hat. Auch die Ikone der "Tea Party", die ehemalige Gouverneurin von Alaska und ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, Sarah Palin, hat an diesem sonnigen Samstag einen kurzen Auftritt. Vor der Menschenmenge in der Mall, dem Erinnerungspark im Herzen von Washington, wo Denkmäler für die Gründerväter der USA und die Gefallenen der US-amerikanischen Kriege stehen. "Ich bin nicht als Politikerin hier", sagt Palin, "sondern als Mutter eines Veteranen". Von ihrem Sohn ausgehend, kommt sie in Windeseile zu anderen Soldaten. Beschreibt deren "Ehre" im Feld in Irak und Afghanistan. Verluste von Gliedmaßen und Leben. Und "jene Liebe zur Heimat, die Patriotismus heißt".

Bei Versammlungen der Tea Party sind normalerweise hasserfüllte Slogans zu sehen. Ein beliebtes Motiv ist Obama mit Hitlerschnäuzer. Doch an diesem Tag sind solche Sprüche nicht zu finden. Die Teilnehmer haben sich an Becks Weisung gehalten. Die am weitesten gehenden politischen Statements sind kleine Sticker mit einer versteckten Botschaft an den Präsidenten und seine demokratische Partei. "Ich kann den November von meinem Haus aus sehen" steht darauf. Bei den Midterm Elections im November wollen die Republikaner die Mehrheiten in den beiden Kammern des Kongresses zurückerobern.

Viel häufiger als von Politik ist auf den T-Shirts von Religion die Rede. Und von jenen Männern des 18. und 19. Jahrhunderts, die "Amerika" gemacht haben. "Früher war ein Handschlag etwas wert", sagt der Fließbandarbeiter aus einer Fabrik bei St Louis, der mit seinem Bruder angereist ist. Michael Judd (39) ist gewerkschaftlich organisiert. Sagt, dass seine Gewerkschaft "nicht stolz auf ihn wäre, wenn sie wüsste, dass er an diesem Tag in Washington ist". Er hat nach eigener Auskunft sowohl schon mal demokratisch wie auch republikanisch gewählt. Aber sein letzter Lieblingspräsident war ein Republikaner: Ronald Reagan. Dessen gegenwärtigem Amtsnachfolger im Weißen Haus traut der Autoarbeiter einfach nicht. Der mache Politik "gegen das Volk". Zum Beleg zählt der Autoarbeiter die Gesundheitsreform und das Konjunkturpaket auf.

Joseph Kuveikis, auf Unfallopfer spezialisierter Rechtsanwalt aus Atlanta, trägt ein unübersehbares Kreuz um den Hals und ist davon überzeugt, dass das private Business immer effizienter ist als der "langsame und schwache öffentliche Dienst". In Anspielung auf ein Bild mit den Gründervätern hat er ein eigenes T-Shirt kreiert. Es trägt den Titel: "spirit of 10" und zeigt zehn Männer, denen er seherische Fähigkeiten zuschreibt. In der ersten Reihe Glenn Beck.

Rund 100.000 Menschen sind aus allen Ecken der USA angereist. Die Organisatoren wollen an diesem Samstag sogar glauben, dass es eine halbe Million ist. Viele haben tagelange Reisen im Auto oder im Bus auf sich genommen. Für manche ist es die erste Demonstration ihres Lebens. Und es geht vielen um etwas so Diffuses wie "American values" - amerikanische Werte. Was das ist? "Dass ich Ihnen helfe, wenn jemand Sie angreift", sagt ein Feuerwehrmann aus North Carolina. Er ist gegen den Sozialismus, sagt Alan auch. Was er tun würde, wenn er die Macht hätte? "Ich würde Unterkünfte für Obdachlose schaffen. Ich würde allen eine Gesundheitsversorgung geben. Und ich würde das Defizit abzahlen."

Während sich die erste Versammlung auflöst, erreicht die Spitze der zweiten politischen Großveranstaltung dieses letzten Augustsamstags die Mall. Auch in ihren Reihen sind US-Fähnchen und religiöse Würdenträger zahlreich vertreten. Aufgerufen hat Reverend Al Sharpton, der Martin Luther King noch persönlich gekannt hat. Es ist eine Protestveranstaltung gegen Glenn Beck und gegen die Vereinnahmung der Bürgerrechtsbewegung. Diese Versammlung ist mehrheitlich schwarz und sehr politisch. Und sie handelt weniger von den Gründervätern der USA als von der Gegenwart und der Zukunft.

"Wir sind der Traum" steht auf manchen Transparenten. Andere zeigen Fotos von Martin Luther King und Barack Obama. "Vom Träumer zum Traum" steht darunter. Eine Gruppe von Studenten, die im Bus aus Pennsylvania angereist sind, lassen das afrikanische, asiatische, hispanische und weiße Amerika hochleben. "Sie haben Obama keine Chance gegeben, sondern sind sofort zur Attacke übergegangen", sagt die 44-jährige Britt. Die Managerin gehört zur schwarzen Mittelschicht. Eine gleichaltrige Frau aus der Vorstadt von Washington, die kaum noch Zähne im Mund hat, nennt Sarah Palin ein "Arschloch". Und Maureen, 75, die sich noch gut an das "wunderbare Gefühl" erinnern kann, als "Doktor Martin Luther King" in Washington gesprochen hat, spricht von ihrer "Pflicht", an diesem Tag auf die Straße zu gehen. "Der Rassismus heute ist anders", sagt der 17-jährige Daniel, der mit Klassenkameraden aus Ohio angereist ist: "Es ist ein Undercover-Rassismus".

Die 19-jährige Studentin Ashley Reese ist von Los Angeles nach Washington gezogen, um an der schwarzen Howard-Universität Journalistin zu werden. Sie trägt Haare wie Angela Davis, verschiedenfarbige Strümpfe und hat zuletzt gegen Homophobie und für die Gesundheitsreform von Barack Obama demonstriert. Sie erlebt "versteckten Rassismus" unter anderem, wenn sich im Kaufhaus ein Detektiv an ihre Fersen heftet. Über den Fernsehmoderator und messianischen Redner Glenn Beck sagt sie: "Er macht und denkt das Gegenteil von Martin Luther King. Er repräsentiert nicht Amerika."

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