Verfassungsreform in Venezuela: Sozialismus mit Diskussionsbedarf

Anders als bei vorangegangenen Wahlen und Referenden könnte es diesmal knapp für Hugo Chávez werden. Denn auch von links kommt Kritik.

Plant er einen "Sozialismus light"? Chávez im Olympiastadion von Mérida. Bild: dpa

MÉRIDA taz Es ist halb acht Uhr abends, als Hugo Chávez das nagelneue Olympiastadion von Mérida betritt. Dort empfängt ihn ein ohrenbetäubender Jubel. In einer für seine Verhältnisse eher verhaltenen Rede sagt der Präsident: "Der kommende Sonntag wird einer der wichtigsten Tage seit dem Beginn der bolivarischen Revolution." Die Reform sei "unverzichtbar", damit die Revolution nicht ins Stocken gerate oder gar untergehe.

Noch die bolivarische Verfassung aus dem Jahr 1999 erlege dem Land den Staatskapitalismus auf, meint Chávez. Die neue Verfassung soll darüber hinaus gehen: "Jetzt müssen wir Kurs auf den Sozialismus nehmen, bei dem das Volk die Hauptrolle spielt."

"Der Präsident hat es eilig", sagt der Basisaktivist Simón Rodríguez. "Er will das politische System umkrempeln, um die ungeliebten oder korrupten Bürokraten zu umgehen." Rodriguez glaubt, dass Chávez einen "Sozialismus light" anstrebe, in dem der Staat eine zentrale Rolle einnehmen solle, ohne die Repression des sowjetischen Systems nachzuahmen.

Längst nicht alle Venezolaner sind so zuversichtlich. Anders als bei den drei Präsidentenwahlen und zwei Referenden seit dem Jahr 1998, die Chávez allesamt deutlich für sich entschied, könnte es dieses Mal knapp werden. Die chronisch zerstrittene Opposition sieht eine Chance. Gegen die Befürworter eines Boykotts entschied sich der größte Teil der Opposition dafür, pragmatisch an die Sache heranzugehen. Nun werben sie dafür, sich am Referendum zu beteiligen und es abzulehnen.

"Mit der sozialistischen Orientierung schließt Chávez große Teile der Bevölkerung aus", meint die konservative Anwältin Mireya Zambrano, die ihre Nachbarinnen in einem Villenviertel von Mérida aufklärt. "Alle Macht wird dem Präsidenten zugeschanzt", sagt sie und liest die geplante Neufassung des Artikels 136 vor: "Die Souveränität liegt beim Volk, das sie direkt über die Volksmacht ausübt. Diese geht nicht aus Wahlen hervor." Die Reform sei ein Freibrief für die Aufhebung der Gewaltenteilung. "Deswegen wäre die unendliche Wiederwahl von Chávez so schlimm", sagt sie. Sie glaubt, dass willkürliche Enteignungen die Wirtschaft gefährden könnten, und die Beförderung der Offiziere will sie auch nicht allein dem Präsidenten überlassen. Ihr Fazit: "Chávez würde die Institutionen kidnappen."

Gefährlicher für Chávez ist die Kritik von links, auch wenn die meist unter vorgehaltener Hand geäußert wird. "Basisgruppen könnte es künftig noch schwerer fallen, sich gegen die Funktionäre des Staatsapparats durchzusetzen", befürchtet die Historikerin Dorothea Melcher aus Mérida. Für tiefgreifende Reformen zugunsten der Armen sei die derzeitige Verfassung völlig ausreichend, meint sie: "Das Problem ist doch, dass in den letzten acht Jahren viele gute Gesetze einfach noch nicht in die Tat umgesetzt worden sind, etwa das zur Neuregelung der Sozialversicherung." Daran werde auch eine sozialistische Verfassung nichts ändern.

Ihre Kollegin Margarita López Maya weist auf den großen Diskussionsbedarf über den viel beschworenen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" hin. "Natürlich gibt es gute Einzelmaßnahmen, aber im Grunde geht es um einen Regimewechsel", sagt sie. "Je mehr Leuten das klar wird, desto schwächer wird die Reform. Wenn man solche Prozesse ohne Überzeugungsarbeit voranbringen will, fordert man die Unregierbarkeit heraus."

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