US-Armee im Irak: 10.000 fahnenflüchtige GIs

Seit Beginn des Irakkrieges sollen rund Zehntausend GIs desertiert sein, berichten Friedensaktivisten. Die US-Armee wirbt im Gegenzug immer aggressiver um neue Rekruten.

Weg aus dem Irak: Trotz massiver Militärpropaganda gibt es in der US-Armee immer mehr Deserteure Bild: dpa

FRANKFURT taz Mehr als 10.000 GIs sollen seit dem Beginn des Irakkrieges desertiert haben. Das jedenfalls berichten Friedensaktivisten aus den USA, die zum Auftakt einer Veranstaltungsreihe der Menschenrechtsorganisation Connection e.V und der DFG-VK mit dem Titel "USA - Stimmen gegen den Krieg" nach Frankfurt gekommen sind.

Chris Capps aus New Jersey USA ist einer dieser Deserteure. "Mit viel Glück" sei er nach einem einjährigen Einsatz im "Bagdad Victory Camp" unversehrt nach Deutschland zurückgekehrt - zurück an seine alte Basis im hessischen Darmstadt. Doch dann sollten er und seine abgekämpfte Einheit umgehend wieder an eine Front ausgeflogen werden. Diesmal nach Afghanistan nahe der Grenze zu Pakistan.

Capps allerdings wartete den Marschbefehl erst gar nicht ab, sondern tauchte schon vorher in Deutschland unter - und Anfang März 2007 in einem Militärcamp in den Staaten wieder auf. Er stellte sich freiwillig. Und er hatte Glück. Wohl weil er die Sache mit seiner Fahnenflucht nicht an die große Glocke gehängt hatte, ließ ihn die Army ziehen. Nach nur drei Tagen wurde Capps unehrenhaft aus der US-Armee entlassen.

Jetzt aber will Capps auch andere wachrütteln. Der schmale junge Mann mit der polierten Glatze ist inzwischen Mitglied der US-Organisation Iraq Veterans against the War (IVAW). Und er ist seit dieser Woche zusammen mit anderen US-Staatsbürgern in Deutschland, um in einer ganzen Serie von Veranstaltungen quer durch die Republik darauf aufmerksam zu machen, dass die Widerstandsbewegung gegen den Krieg im Irak in den USA immer stärker werde. Und dass sich die Fälle von Desertionen häufen.

Auch wenn Deutschland nicht unmittelbar am Krieg dort beteiligt sei, trage die Bundesrepublik doch mit Verantwortung für das tägliche Morden und Sterben dort, sagt Aimee Allison aus Oakland USA. US-Army und US-Airforce nutzten schließlich die "Ramstein Air Base" für ihre Waffen- und Truppentransporte. Und die meisten der im Irak verwundeten GIs würden zunächst im US-Hospital in Landstuhl behandelt. Germany sei für die US-Administration deshalb "ein ganz wichtiger Verbündeter".

Allison versucht schon seit Jahren, der Militärpropaganda der USA etwas entgegen zu setzen. Etwa den Anwerbefeldzügen in den Junior Highschools, in den Highschools und inzwischen auch schon in den Grundschulen. Ein Videospiel über den Dienst in der "glorreichen US-Armee" wird nach Angaben von Kriegsgegnern von den Anwerbern des Pentagon schon an Zehnjährige verteilt. Aimee Allison setzt Friedensworkshops "etwas Sinnvolles" dagegen: spezielle friedenspädagogische Bildungsprogramme. Immer mehr Schulen öffneten ihr die Tore - und ließen die Vertreter der Armee draußen stehen, berichtet sie. So sei es etwa schon länger im Großraum San Francisco.

Allison selbst ist Autorin und Sanitäterin. Als Kriegsdienstverweigerin betreut sie nun ehemalige Soldatinnen der US-Armee und hilft ihnen bei der Verarbeitung ihrer Kriegserlebnisse. Allison und Lori Hurlebaus von der US-Friedensorganisation "Courage to Resist" berichten, dass seit Beginn des Irakkrieges mindestens 10.000 US-Soldaten desertiert seien oder Anträge auf vorzeitige Entlassung aus der Armee gestellt und bewilligt bekommen hätten. Die beiden Friedensaktivisten glauben allerdings, dass nicht wenige Fahnenfluchten verschwiegen und deshalb statistisch nicht erfasst worden seien. Sie gehen von "mehr als 14.000 Fällen" aus.

Ex-GI Capp berichtet, wie er selbst "auf die Propaganda der Armee hereingefallen" sei. "Naiv" sei er damals - 2004 - mit 20 Jahren gewesen. Ein Pizzafahrer ohne Berufausbildung in einem Kaff in New Jersey. Er habe unterschrieben, um dem Kleinstadtleben zu entkommen. Und von einem Kriegseinsatz sei nie die Rede gewesen.

Jetzt lebt er wieder in einem Kaff, in Hanau nämlich. Ganz friedlich und in Frieden, ohne Angst vor Sprengfallen und Granatwerfern. Und als der lebende Beweis dafür, dass man aus der US-Army herauskommen kann, wenn man es nur wirklich will - ohne dafür ins Gefängnis gehen zu müssen. Man dürfe nur vorher "nicht groß auffallen und muss den Mund halten". Danach könne man ihn ja umso weiter aufmachen. Capps "Stimme gegen den Krieg" und die der anderen US-Friedensaktivisten sind unter anderem am 29.10. in Köln und am 31.10. in Frankfurt zu hören.http://www.connection-ev.de/usa

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