Chinesen boykottieren französische Supermärkte: "Frankreich, halts Maul!"

Dass in Paris der Fackellauf unterbrochen wurde, erzürnt selbstbewusste Mittelschichts-Chinesen. Sie wollen sich von Frankreich nichts vorschreiben lassen und boykottieren Carrefour-Filialen.

Wollen auch demonstrieren: Stolze Chinesen vor französischem Supermarkt in Tsingtao. Bild: dpa

PEKING taz Sie trugen die Trikolore mit der Aufschrift "Free Corsica". Sie riefen "Frankreich, halts Maul!" und "Tibet ist ein Teil Chinas". Zehntausende junge Chinesen demonstrierten am Wochenende in zahlreichen Städten der Volksrepublik für die Olympischen Spiele in Peking und gegen die Unabhängigkeit Tibets.

Ihr Protest richtete sich in erster Linie gegen Frankreich - aus Empörung über die Unterbrechung des olympischen Fackellaufs in Paris und die Olympia-Boykottdrohung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Sarkozy hatte einen Boykott der Eröffnungsfeier der Spiele erwogen, falls Peking nach den Unruhen in den tibetischen Gebieten in China keine Gespräche mit dem Dalai Lama und seiner Exilregierung aufnehmen würde. Es waren die größten Demonstrationen in der Volksrepublik seit vielen Jahren. Bis auf drei Festnahmen in Schanghai wurden keine Zwischenfälle gemeldet.

Zugleich ergriffen die kommunistischen Behörden Maßnahmen zur Beilegung der Demonstrationen. Die KP-zensierten Medien stellten ihre Berichterstattung über die Protestbewegung nahezu ein. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua forderte zur Ruhe und Vernunft auf. Demonstrationen in den südchinesischen Großstädten Guangzhou und Shenzhen wurden untersagt, während an anderen Protestorten ein großes Polizeiaufgebot im Einsatz war. "Natürlich müssen wir unseren Ärger und unser Bedauern ausdrücken, aber mit vernünftigen Mitteln", zitierte Xinhua den Pekinger Universitätsprofessor Zhang Shengjun.

Zielscheibe der Proteste war die französische Supermarktkette Carrefour mit ihren über hundert Filialen in China. Annähernd 10.000 Demonstranten versammelten sich allein in Hefei, Hauptstadt der Provinz Anhui, vor einem Carrefour-Markt.

Zuvor hatten sich über mehrere Tage hinweg die Boykottgerüchte auf chinesischen Internetseiten überschlagen. Von einem kompletten Olympiaboykott aller europäischen Sportler war an vielen Stellen die Rede. Dass Inhaber von Carrefour den Dalai Lama finanziell unterstützten, meldeten sogar staatliche Medien - obwohl Carrefour umgehend dementierte.

Die Behörden, gewöhnt, das Internet zu zensieren, ließen Gerüchten und Beschimpfungen diesmal freien Lauf. Bei vielen Chinesen entstand dabei der Eindruck, ein Olympiaboykott Europas - obwohl von der Europäischen Union ausdrücklich abgelehnt - stehe unmittelbar bevor. Zumal sich auch Prominente wie der Gründer und CEO des Internetportals sohu.com, Charles Zhang, den zahlreichen Boykottaufrufen gegen französische Waren anschloss.

"Die angeblich vorsätzliche Störung des Fackellaufs wurde in China unnötig überbewertet, in Wirklichkeit haben die Polizisten in Paris ihre Pflicht getan", erklärt Shang Dewen, emeritierter Professor der Peking-Universität, gegenüber der taz die Proteste. Er sieht die Demonstrationen als Ausdruck eines "engstirnigen Nationalismus, der nur weitere Missverständnisse erzeugt".

Doch brachten die Protestveranstaltungen erstmals eine neue Generation relativ wohlhabender Mittelschichtschinesen auf die Straße. Einige von ihnen demonstrierten im Autocorso vor der französischen Botschaft in Peking - wohl die erste Autofahrerdemo, die China je erlebte. Dabei war das wichtigste Anliegen der meisten Demonstranten, ihren nationalen Stolz auf die Olympischen Spiele auszudrücken samt ihrem Ärger über die europäische Boykottdebatte. Viele trugen die olympische Fackel - ein Zeichen, wie hoch die Identifikation mit den Spielen ist. Entsprechend richteten sich die Proteste nicht gegen die USA, für die Präsident Bush seine Teilnahme an der Eröffnungsfeier bestätigt hat. Die KP-Behörden aber wird das kaum beruhigen. Weitere Demonstrationsaufrufe für den 1. Mai zirkulieren bereits im Internet.

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