Bei Pakistans Geheimdienst gelandet: Irrfahrt eines Dschihadisten

Wollte der Deutschsyrer Rami M. die deutsche Botschaft in Pakistan in die Luft jagen? Oder wollte er zu Frau und Kind nach Hamburg zurück? Die deutschen Behörden sind uneins.

Miranshah, die Hauptstadt von Nord-Waziristan. Bild: reuters

Wollte er sich am Montag, den 21. Juni in der deutschen Botschaft in Islamabad den Behörden stellen und aus dem Dschihad aussteigen? Oder wollte er an jenem Tag die Botschaft in die Luft sprengen? Der Fall des in Frankfurt geborenen 25-jährigen Rami M. steckt voller Fragezeichen.

Fest steht nur: Der Mann mit der deutschen und der syrischen Staatsbürgerschaft hat die pakistanische Hauptstadt an jenem Tag nie erreicht. Das pakistanische Militär hat ihn, verkleidet in eine Burka, bei Bannu an der Grenze zu Nordwaziristan festgenommen. Seitdem soll er in einer Zelle des berüchtigten Geheimdienstes ISI einsitzen.

Entweder wurde wirklich ein Attentat auf die deutsche Botschaft verhindert, oder es wurde eine große Chance vertan, einem deutschen Dschihadisten den Ausstieg aus dem Heiligen Krieg in Waziristan zu ermöglichen - was möglicherweise ein Vorbild hätte sein können für Dutzende junger Islamisten aus Deutschland, die sich in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion aufhalten. Allein im vergangenen Jahren haben sich mehr als 30 Männer und Frauen dorthin aufgemacht - zum Teil mit ihren Kindern.

Terrorcamps: 2009 haben sich nach Angaben der Sicherheitsbehörden mehr als 30 Islamisten aus Deutschland in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet aufgemacht. Der Verfassungsschutz vermutet, dass seit 1990 insgesamt 215 Personen mit Deutschlandbezug in die Region gereist sind, um sich paramilitärisch ausbilden zu lassen.

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Deutsche Kolonien: Islamisten aus Deutschland schließen sich unterschiedlichen Gruppen an. So wurde die Sauerlandgruppe in einem Camp der Islamischen Dschihad Union (IJU) ausgebildet. Die Bonner Brüder Jassin und Muonir C. treten für die Islamische Bewegung Usbekistan (IBU) auf. Relativ neu ist eine Kolonie in Waziristan mit rund einem Dutzend Männern und Frauen, die sich Deutsche Taliban Mudschahedin nennen.

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Tote Dschihadisten: Ende April haben mindestens drei Dschihadisten aus Deutschland in Pakistan den Tod gefunden: Der Saarländer Eric Breininger, Ahmet M. aus Niedersachsen und Danny R. aus Berlin. (wos)

Aber von vorn. Am 15. Juni ruft Rami M. in der deutschen Botschaft in Islamabad an. Wie aus Sicherheitskreisen zu erfahren ist, sagte er, dass er aussteigen und zurück nach Deutschland kommen wolle. Ihm seien aber bei der Einreise über den Iran die Papiere abhandengekommen. Er sagt auch von sich aus, dass er gesucht werde. Ein Botschaftsmitarbeiter gibt ihm einen Termin für Montag, 21. Juni, 9.30 Uhr.

Einige Tage zuvor hatte Rami M. mit einer von seiner Familie vermittelten Anwältin in Deutschland gesprochen, die ihn beriet. Ihren Angaben zufolge sei M. bewusst gewesen, dass er wohl verhaftet werden würde - er hatte nur gehofft, dass er in die Hände deutscher Behörden komme und nicht in die der Pakistaner.

Die ganze Brisanz fällt der deutschen Botschaft erst nach M.s Anruf auf. Rami M. hatte sich im März 2009 mit weiteren Islamisten aus dem Umfeld der Hamburger Moschee, in der sich einst die Attentäter des 11. September 2001 trafen, nach Nordwaziristan aufgemacht. Er gilt als Kopf der Gruppe, die Bundesanwaltschaft führt gegen den "Gefährder" ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung: der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU). M. wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Was tun? Die deutsche Botschaft bittet das Auswärtige Amt um Weisung. Doch in der Bundesregierung ist man sich uneins. Das CDU-geführte Innenministerium und das Kanzleramt halten es für zu gefährlich, Rami M. in die Botschaft zu lassen. Das FDP-geführte Justizministerium und das FDP-geführte Auswärtige Amt sind anderer Meinung. Dort wird erwogen, Rami M. Rückkehrpapiere zu geben und ihn dann in Deutschland festnehmen zu lassen.

Am 18. Juni meldet sich M. nochmals in der Botschaft. Ob der Termin noch stehe? Noch am selben Tag schickt die Botschaft M. per E-Mail eine Bestätigung des Termins, gleichzeitig werden in dem Schreiben "alle Behörden" um Unterstützung gebeten. Eine Art Geleitbrief? Kurz darauf soll Rami M. seinen Vater in Frankfurt angerufen haben: "Ich komme zurück, Papa."

Am Samstag, den 19. Juni wird dem Innenministerium die Sache zu heiß. Die Behörden bezweifeln die Geschichte des reuigen Aussteigers. Rami M. soll eine Sprengstoffausbildung erhalten haben, auch an Kämpfen soll er teilgenommen haben, es gibt Hinweise, dass ein Anschlag auf die Botschaft geplant war. Und hatte es nicht erst Ende 2009 in Afghanistan ein Attentat auf ein CIA-Gebäude gegeben, bei dem sich ein angeblicher Informant in die Luft sprengte?

Noch am 19. Juni meldet das Bundeskriminalamt der pakistanischen Polizei den geplanten Trip von Rami M. nach Islamabad. Als der am 21. Juni, schon mit etwas Verspätung, mit Begleitung in Richtung Bannu fährt, wird er verhaftet. Bei der Festnahme sollen in dem Fahrzeug zwei AK-47-Sturmgewehre "Kalaschnikow" und eine Pistole gefunden worden sein - von Sprengstoff war aber auch in pakistanischen Presseberichten keine Rede.

Man habe eine Gefährdung der Botschaft und der Mitarbeiter verhindern müssen, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) diese Woche in der Bundespressekonferenz. Im Innenausschuss verteidigte der parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder (CDU) mit ähnlichen Worten das Vorgehen. Und CDU-Mann Clemens Binninger polterte dort: "Wo kommen wir denn hin, wenn sich so jemand das Land aussuchen kann, in dem er verhaftet wird?"

Doch der Plan des Innenministeriums sah eigentlich anders aus: Rami M. sollte vor der deutschen Botschaft in Islamabad verhaftet werden - von der pakistanischen Polizei - und danach so schnell wie möglich nach Deutschland ausgeliefert werden. Stattdessen wurde er 300 Kilometer entfernt vom Militär festgenommen und sitzt jetzt offenbar schon fast drei Wochen in einer Zelle des Geheimdienstes ISI. Der ist bekannt dafür, bei Verhören auch zu foltern. "In pakistanischen Gefängnissen wird routinemäßig gefoltert", sagt der Terrorexperte Guido Steinberg. "Dies gilt insbesondere für Terrorverdächtige."

In Berlin macht man seit der Festnahme Druck auf die pakistanischen Behörden. Doch trotz Nachhakens bestätigten sie erst am Freitag, dass sie den deutschen Staatsbürger Rami M. festgenommen haben. Konsularischen Zugang gab es bisher nicht.

Hat der deutsche Hinweis dazu geführt, dass Rami M. in die Fänge des Geheimdiensts geriet? War das womöglich einkalkuliert? Oder kam M. durch einen Zufall in die Kontrolle? Und hätte man nicht doch einen Weg finden können, Rami M. in der deutschen Botschaft auf Sprengstoff zu untersuchen? Und ihn dann - ohne Zwischenstopp in einer Verhörzelle - nach Deutschland auszuliefern?

Denn dass Rami M. aussteigen wollte, ist durchaus denkbar. In den vergangenen Wochen häuften sich für Islamisten die schlechten Nachrichten aus Pakistan, mindestens drei Dschihadisten aus Deutschland starben Ende April in Waziristan. Rami M. soll von Schlangen und Skorpionen berichtet haben, während sein Kind und seine Ehefrau in Hamburg saßen. "Beim Anblick der ersten Leiche lässt bei manchen die Ideologie nach", sagt ein ranghoher Sicherheitsbeamter.

Er habe nach wie vor Aufklärungsbedarf, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele nach der Sitzung des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums, das sich am Mittwoch mit dem Fall befasste. Das Auswärtige Amt müsse nun alles tun, um Zugang zu Rami M. zu bekommen, sagt Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. "Die Gefahr besteht, dass der pakistanische Geheimdienst ihn misshandelt, foltert und Aussagen mit Gewalt erpresst." Unterdessen hofft die Regierung darauf, dass Pakistan sich nicht mehr zu viel Zeit lässt mit der Auslieferung von Rami M. Erfahrungsgemäß kann das aber noch Wochen dauern.

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