Chinesisch-japanische Beziehungen: Kirschblüten statt Massaker

China ändert seinen Blick auf Japan: Am 70. Jahrestag des Nanking-Massakers wiederholt man die alten Vorwürfe nicht mehr. Grund: Japan hat einen neuen Premierminister.

Erstaunlich wie viel manchmal an einzelnen Personen hängt: japanischer China-Kenner Yasuo Fukuda. Bild: reuters

PEKING taz Welche Dinge fallen Chinesen zuerst ein, wenn sie an Japan denken? Natürlich Krieg, Völkermord und das Nanking-Massaker, dachten die Meinungsforscher der Peking-Universität, als sie im August einen Auftrag der japanischen Nichtregierungsorganisation Genron annahmen. Doch dann brachte ihre Umfrage ganz andere Ergebnisse: Die meisten Chinesen denken bei Japan zuerst an Elektronik-Produkte (52 Prozent), vielen fallen zuallererst Kirschblüten (45 Prozent) ein und nur relativ wenige (20 Prozent) denken gleich an die Invasion der Japanischen Armee in China mit ihren schrecklichen Folgen.

Am 13. Dezember 1937 begann die japanische Eroberung der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanking, deren Verteidiger bereits kapituliert hatten. Japans Truppen gingen über Wochen mit großer Brutalität gegen die schutzlose Zivilbevölkerung vor. Reihenweise wurden Chinesen am Ufer des Jangtse erschossen, tausende Frauen vergewaltigt, Männer wahllos abgeschlachtet oder um die Wette geköpft. Der deutsche Siemens-Vertreter, das NSDAP-Mitglied John Rabe, richtete mit anderen Ausländern eine Schutzzone ein, in die 250.000 Menschen flohen. In seinen erst 1996 veröffentlichten Tagebüchern dokumentierte Rabe, der mit Oskar Schindler verglichen wird, die Gräuel. SVEN HANSEN

Die guten Nachrichten der Meinungsforscher aber passen perfekt zum gedämpften Ton der Pekinger Japan-Kritik, die das chinesische Gedenken zum 70. Jahrestag des Nanking-Massakers am 13. Dezember begleitet. Bloß kein neues Öl aufs Feuer gießen, scheint die Devise des kommunistischen Propagandaamts, das in China die Medien überwacht. Statt der üblichen Anschuldigungen, dass Japan seine Kriegsschuld und vor allen das Nanking-Massaker nicht aufgearbeitet habe, erklingen plötzlich moderate Töne. Da wird von der "Veränderung der japanischen Geschichtshaltung" berichtet und wie in Japan "große Mainstream-Zeitungen im Ton der Rückbesinnung über den Invasionskrieg gegen China berichten". Wo man früher Japans nationalistische Politiker für ihre revisionistischen Äußerungen aufs Korn nahm, besinnt man sich nun auf die liberalen Stimmen aus dem Nachbarland.

Grund dafür ist die Wiederannäherung beider Länder, seit der China-Kenner Yasuo Fukuda den China-Hasser Shinzo Abe als Premierminister in Tokio abgelöst hat. Schon will Hu Jintao als erster chinesischer Partei- und Staatschefs seit zehn Jahren im nächsten Frühjahr Japan besuchen. Die Chemie zwischen Hu und Fukuda gilt nach dem ersten Treffen der beiden als ausgezeichnet. Also will Peking bei den Gedenkfeiern zum Nanking-Massaker nicht mehr die alten Vorwürfe hochkochen.

Das verschafft in China denjenigen Gehör, die die Geschichte schon immer etwas differenzierter als die KP sahen, aber nie zu Wort kamen. "Unsere Forschung über das Nanking-Massaker befindet sich noch in der Anfangsphase. Sie sollte von der Stufe der Emotionalität auf die Stufe der Vernunft steigen", fordert etwa der Historiker Zhang Xianwen, Herausgeber einer neuen 55-bändigen Dokumentation über das Nanking- Massaker, deren letzten Bände vergangene Woche erschienen.

Zhang vergleicht seine Arbeit mit der Erforschung der Judenvernichtung in Europa. In Europa sei man weiter, sagt er, weil sich die Nanking-Forschung bislang nur mit dem konkreten Ereignis, und das meistens in Form der Leidensgeschichten des chinesischen Volkes beschäftige. Aber nur über den Fehler der anderen zu klagen, reiche nicht, fordert Zhang. Natürlich habe der andere den Fehler begangen, aber es sei wichtig, fachübergreifende historische Erklärungen zu finden: "Die fachübergreifende Forschung ist noch sehr schwach in unserem Land".

Als Chinas führender Nanking-Historiker geht Zhang damit sehr weit in der indirekten Kritik der bisherigen, propagandagefärbten Darstellung des Massakers. Auch wenn er an dem Fakt der Katastrophe und der in China stets genannten Opferzahl von 300.000 Menschen nicht rüttelt, ist seine Auslegung ein Angebot zur Zusammenarbeit mit japanischen Historikern. Diese haben - entgegen manchem Vorurteil - das Massaker von Nanking in der Regel nicht geleugnet, bestreiten aber auch bei einem sehr japankritischen Forschungsansatz die Opferzahl, die sie zwischen 100. 000 und 200.000 Menschen verbuchen.

Der Streit um die Opferzahlen ist zynisch, aber Teil der chinesisch-japanischen Wiederannäherung. Und die kommt derzeit voran. An was denken die Japaner in Bezug auf China zuerst? An chinesisches Essen (62 Prozent) und die Große Mauer (46 Prozent), die anti-japanische Stimmung in China fällt nur 25 Prozent ein.

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