Krieg in Afghanistan: Luftangriff am Fluss

Ein Bundeswehroffizier fordert nach einer Lkw-Entführung in Kundus US-Luftunterstützung an. Die Folgen scheinen fatal zu sein. Es werden dutzende Tote befürchtet.

Die Bundeswehr ist mit Panzern unterwegs, jetzt braucht sie Luftunterstützung. Bild: reuters

Afghanen kennen das: Ihr Fahrzeug wird an einem Ceckpoint gestoppt - doch sind sie nicht sicher, von wem. Polizei oder Armee? Oder von Taliban? In der Nacht zum Freitag waren es auf der Straße von Kundus nach Kabul die Taliban.

Gegen 1.50 Uhr Ortszeit stoppten sie sechs Kilometer vom deutschen Wiederaufbauteam (PRT) entfernt einen Konvoi und kaperten zwei Lkws eines privaten afghanischen Unternehmens mit Kerosin für die Isaf-Truppen. Der deutsche PRT-Kommandeur in Kundus forderte einen Luftangriff an, der 40 Minuten später erfolgte. Dabei wurden nach Angaben der Bundeswehr "mehr als 50" Aufständische getötet.

Nach Aussagen von Zeugen brachten die Taliban die Fahrer um und steuerten in Richtung eines Dorfes. Sie blieben jedoch auf einer Sandbank im Kundus-Fluss stecken und begannen, Treibstoff abzulassen.

Dort schoss laut einem afghanischen Sender ein US-Flugzeug die Lkws in Brand, da solche Tanker oft für Selbstmordanschläge benutzt würden. Mit Hilfe einer Drohne habe die Bundeswehr zuvor die Lkws verfolgt und dabei 67 Taliban gezählt, verlautete es aus Bundeswehrkreisen in Kundus.

Die Gesamtzahl und Herkunft der Toten nach dem Luftangriff ist noch unklar. Der Gouverneur von Kundus, Muhammad Omar, sprach anfangs von 90 Toten, darunter 45 Taliban, einschließlich eines Kommandeurs namens Mulla Abdul Rahman, sowie vier Tschetschenen. Später korrigierte er sich auf 50 bis 60 Tote, "die meisten davon bewaffnete Taliban".

Augenzeugen sagten, dass sich bis zu 500 Anwohner am Kerosin bedient hätten. Rund 30 Menschen seien verletzt worden. Der Leiter des Kunduser Krankenhauses erklärte auf taz-Nachfrage, dort seien 15 Schwerverletzte eingeliefert worden, darunter drei Kinder.

Warum sich überhaupt nachts so viele Zivilisten dort aufhielten, lässt sich erklären: Im Fastenmonat Ramadan wird weit vor Sonnenaufgang gekocht und gegessen. Brennstoff ist teuer und eine Lkw-Entführung ein Ereignis.

"Ich gehe davon aus, dass fast alles gegnerische Kämpfer und Beteiligte gewesen sind", sagte hingegen der Sprecher des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) am Freitag in Berlin.

Er bestätigte, dass es ein deutscher Kommandeur gewesen sei, der das Flugzeug angefordert und den Feuerbefehl gegeben hatte. Es sei dies das erste Mal, dass ein Bundeswehroffizier einen Angriff mit derartig vielen Opfern befohlen hat. "Diese Dimension habe es so im Norden Afghanistans noch nicht gegeben."

Die Bundeswehr müsse davon ausgegangen sein, dass "keine unbeteiligten Zivilpersonen zu Schaden kommen würden". Denn sonst "darf ein Angriff nicht angeordnet werden", bestätigte der Sprecher die Nato-Order. Sollte sich erweisen, dass die Aufklärung mangelhaft war, könnte der Bundesregierung im Wahlkampf eine ähnliche Diskussion um zivile Opfer bevorstehen, wie sie die US-Regierung schon kennt. Seit einigen Monaten gibt es eine Direktive, die solche Vorfälle minimieren sollen.

US-Militärs haben solche Angriffe bereits als "Rekrutierungshilfe" für die Taliban bezeichnet. Nato-Generalsekretär Rasmussen spricht bereits von der "Möglichkeit ziviler Opfer". EU-Chefdiplomat Solana sprach den Angehörigen seine Anteilnahme aus. Präsident Karsai setzte eine Kommission ein. Auch eine deutsche Untersuchung wird es geben.

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