Krieg im Swat-Tal: Pakistan zerbricht an sich selbst

Zehntausende sind in Pakistan auf der Flucht. Ganze Provinzen sind unregierbar. Die Demokratie hat in diesem für den Weltfrieden so wichtigen Land wenig Chancen.

Flucht vor der Gewalt: Zivilisten in Pakistan. Bild: dpa

DELHI taz | Kampfhubschrauber kreisten am Mittwoch über Mingora, der größten Stadt im Swat-Tal nördlich von Islamabad. Artillerieeinheiten beschossen aus großer Entfernung Stellungen islamistischer Fanatiker, während Bodentruppen vorrückten: Wenige Stunden vor einem geplanten Treffen von Pakistans Präsident Asif Ali Zardari mit seinem Amtskollegen Hamid Karsai und US-Präsident Barack Obama in Washington eskalierte die militärische Auseinandersetzung zwischen dem pakistanischen Staat und den militanten Islamisten.

Allein am Mittwoch seien bei den Kämpfen in Swat und der benachbarten Region Buner 77 Islamisten und drei Soldaten getötet worden, teilte die pakistanische Armee mit. Insgesamt seien bei der Offensive, die vor anderthalb Wochen begann, 350 Menschen getötet worden, berichteten pakistanische Medien.

Unterdessen verlassen immer mehr Flüchtlinge die Region. Hunderttausende von Menschen, von denen die meisten nur einige Habseligkeiten bei sich tragen, werden aus dem Kampfgebiet kommen und Zuflucht in Auffanglagern suchen, die das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Behörden für die Menschen eingerichtet haben.

Offenbar wollte Pakistans Regierung vor dem Treffen mit US-Präsident Obama zeigen, dass sie es ernst meint mit ihrem Kampf gegen die Fanatiker. Denn erst kürzlich hagelte es Schelte aus Washington: Hochrangige US-Politiker verurteilten ein Abkommen, das Islamabad und die Regierung der Nordwestgrenzprovinz mit den Islamisten schlossen.

Sie boten ihnen die Einführung der Scharia in einem Teil der Region an, wenn die Fanatiker im Gegenzug die Waffen niederlegen. Ein Vormarsch der Islamistenkämpfer war die Folge, die Ende vorvergangener Woche bis auf 100 Kilometer an Islamabad heranrückten.

Analysten zeigten sich in letzter Zeit äußerst besorgt über die Zukunft des Landes. David Kilcullen, der unter anderen General David Patraeus, den Leiter des US-Zentralkommandos für den Nahen Osten und Zentralasien, berät, erklärte kürzlich in einem Interview mit der Washington Post, Pakistan könnte innerhalb der kommenden sechs Monate zusammenbrechen. Droht Pakistan möglicherweise wirklich der Staatszerfall?

In der 20-Millionen-Einwohner-Metropole Karatschi patrouillierte vergangene Woche die Armee tagelang durch die Straßen. Anhänger verfeindeter Volksgruppen waren aufeinander losgegangen, mindestens 32 Menschen kamen bei den Straßenschlachten ums Leben.

Es war nicht der erste Vorfall dieser Art. In Karatschi leben alle Ethnien des Vielvölkerstaats Pakistan auf engstem Raum nebeneinander. Die beinahe regelmäßigen blutigen Zusammenstöße zeigen, wie sehr der Gedanke eines übergeordneten, einigenden pakistanischen Staates mittlerweile infrage steht.

In Pakistans größter Provinz Belutschistan im Westen des Landes, die rund 40 Prozent des Staatsgebiets ausmacht, herrscht ein brüchiger Frieden. In der kargen Region, die nur aus Bergen und Wüsten besteht, leben gerade einmal 10 Millionen der insgesamt etwa 170 Millionen Einwohner des Landes.

Die Region ist jedoch mit ihren Erdgasvorkommen das Rohstoffreservoir Pakistans. Pipelines pumpen das Gas zu den Industriezentren im Osten des Landes. Belutschistans Einwohner bekommen aber kaum etwas von dem Wohlstand ab. Daher kommt es seit den Sechzigerjahren in Belutschistan immer wieder zu Aufständen gegen Islamabad, auf die Pakistans Armee jedes Mal mit großer Härte reagiert.

Auch in der benachbarten Provinz Sindh, in der Karatschi liegt, schwelt seit Jahrzehnten ein latenter Kampf um Unabhängigkeit. Sindh ist die Machtbasis der Bhuttos und ihrer Pakistanischen Volkspartei. Nach dem Mord an Benazir Bhutto Ende 2007 kam es in der gesamten Provinz zu schweren Ausschreitungen. Die Demonstranten verdächtigten den damaligen Präsidenten Pervez Musharraf, für den Mord an der charismatischen Politikerin verantwortlich zu sein. Viele von ihnen forderten damals offen die Loslösung der Provinz von Pakistan.

Die Armee ist auf 550.000 Soldaten angewachsen und stützt eine mit allen Privilegien ausgestattete Führung. Sie hält heute den Teil des Staatsverbandes zusammen, der seit der Loslösung Bangladeschs im Jahr 1971 übrig geblieben ist. Kontrolliert wird die Armee überwiegend von der Volksgruppe der Punjabis.

Dort, im Punjab, Pakistans wichtigster und bevölkerungsreichster Provinz, liegen auch die Hauptstadt Islamabad, das Hauptquartier der Armee in Rawalpindi und die Kulturmetropole Lahore. Die dortige Elite des Landes hält wie mittelalterliche Fürsten Pakistans Landbevölkerung bis heute unter Kontrolle.

Ende der Siebzigerjahre rüstete der islamisierte Militärdiktator Zia-ul Haq fanatische Geistliche in Kaschmir und an der Grenze zu Afghanistan auf. Die militanten Gruppen in Kaschmir begannen einen blutigen Krieg gegen Sicherheitskräfte im indischen Teil Kaschmirs.

Die Fanatiker im Nordwesten zogen, vom US-Geheimdienst CIA unterstützt, als Mudschaheddin in den heiligen Krieg gegen die Sowjets in Afghanistan. Die Supermacht unterlag, Afghanistan versank im Bürgerkrieg. Daraufhin brachte Pakistan die Taliban an die Macht in Afghanistan. Sie sollten Islamabads Einfluss auf Kabul wiederherstellen.

Vor seinem Treffen mit US-Präsident Obama spielt nun Pakistans Präsident Zardari den Krieg gegen die Fanatiker herunter. Es sei lediglich "ein weiteres Kapitel der langwierigen Stammes- und ethnischen Konflikte des Landes".

Die pakistanische Armee mit ihren 550.000 Mann hält heute einen Großteil des Staatsverbands zusammen.

Obama versprach Pakistan und Afghanistan beim Treffen entschlossene Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus. Zugleich räumt er ein, dass der Kampf gegen Taliban und El Kaida langwierig und gefährlich ist. "Der Weg, der vor uns liegt, ist schwierig. Es wird mehr Gewalt geben und es wird Rückschläge geben", sagte Obama nach einem Dreiergipfel mit den Staatschefs aus Afghanistan und Pakistan, Asif Ali Zardari und Hamid Karsai, am Mittwoch in Washington. Nach Zwischenfällen mit über 100 toten Zivilisten in Afghanistan sagte Obama mehr Schutz für die Bevölkerung zu. "Die USA sind eine dauerhafte Verpflichtung eingegangen, El Kaida zu besiegen sowie die demokratisch gewählten und souveränen Regierungen in Pakistan und Afghanistan zu unterstützen", sagte Obama. "Die Sicherheit der USA, Afghanistans und Pakistans sind miteinander verbunden."

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