Frauensituation in Afghanistan: Wandel ohne Gerechtigkeit

In der westafghanischen Stadt Herat verbessert sich die Situation der Frauen sehr langsam. Gelder von westlichen Hilfsorganisationen gibt es nur für diejenigen, die Anträge auf englisch stellen können.

Alltag in Afghanistan: Eine vermummte Frau in Herat trägt einen Sack auf dem Kopf. Bild: ap

HERAT taz Nadja Anjuman ist eine der wenigen afghanischen Lyrikerinnen, die einen Eintrag im Internet-Lexikon Wikipedia haben. Sogar in mehreren Sprachen. Doch 2005 starb Nadia Anjuman 25-jährig in ihrer westafghanischen Heimatstadt Herat. Nach einer Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann hatte sie das Bewusstsein verloren. Kurz darauf starb sie im Krankenhaus. Ihr Mann gestand, sie geschlagen zu haben.

Er kam in Haft. Da es keine Zeugen für die Tat gibt, ist eine juristische Beweisführung, gerade in Afghanistan, schwierig. Seit Kurzem ist Nadja Anjumans Mann wieder frei. Viel Geld soll dabei geflossen sein, bestätigen Bekannte. "Nicht nur das", sagt Maria Baschir, "er heiratet in Kürze auch eine neue Frau", schüttelt sie den Kopf. Baschir ist Herats einzige Staatsanwältin. Als einzige Frau in der oberen Hierarchie der lokalen Justiz kämpft sie gegen Korruption und mafiöse Strukturen. Gelegentlich hat sie Erfolg. "In 60 Fällen ist es gelungen Opfern von Gewalt zu helfen", sagt sie. Die Widerstände sind zäh. Kein Projekt westlicher Länder zur Stärkung der afghanischen Justiz vermag das schnell zu ändern. Die Kräfte, die hier wirken, sind Generationen alt.

Keine Hoffnung also für Frauen in Herat? Mittlerweile gibt es ein halbes Dutzend Frauenorganisationen. Sie wetteifern um internationale Hilfsgelder. Wer von ihren Geschäftsführerinnen fließend Englisch spricht, hat die Nase vorn. Die Angebote orientieren sich an den Grundbedürfnissen einer Gesellschaft mit einem hohen Anteil von AnalphabetInnen: Schreib-, Rechen- und Computerkurse sowie Marketing, bei dem erläutert wird, wie selbst gewebte Teppiche überhaupt in den Handel gelangen. Als Teile einer noch zerbrechlichen Zivilgesellschaft ringen die Frauenorganisationen um Anerkennung durch die Behörden. Bis zum vergangenen Jahr fanden Studentinnen der Universität Herat kein Internetcafé, das Frauen betreten durften. Nur ein winziger Teil der Familien hat einen privaten Anschluss. "Das hat sich geändert", erklärt Manizha Urwa, "mittlerweile gibt es einige Internetcafés für Frauen. Auch solche, bei denen Männer wie Frauen anzutreffen sind." Grund sei eine gewachsene Offenheit: Eltern, Betreiber und Behörden hätten verstanden, dass am Drang von Frauen nach Bildung kein Weg vorbeiführe.

Urwa fährt mehrgleisig. Als Rückkehrerin aus dem Exil in Pakistan arbeitet die Erziehungswissenschaftlerin bei einer internationalen Hilfsorganisation und betreibt ein Bildungszentrum mit ihrem Mann. Auch träumt sie vom Verkauf heimischer Textilien ins Ausland. Aber vier- bis fünfstellige Fördersummen gibt es nur bei einem Projektantrag in ordentlichem Englisch. "Die Vergabe von Hilfsgeldern ist für jemanden wie mich eine fremde Welt," sagt Manizah. Sie bekomme mit, wie Gelder in privaten Taschen verschwinden.

Manizahs Einrichtung bietet Kurse in Englisch, Computer und Management an. Der Frauenanteil liegt bei über 50 Prozent. Ist der Unterricht zu Ende, hüllen sich die Schülerinnen bevor sie auf die Straße treten in den iranischen Tschador, der Füße und Gesicht freilässt, oder in die Burka. Anders als in Kabul traut sich in Herat allein kaum eine Frau mit Kopftuch oder geschminkt auf die Straße. Mit geschätzten 700.000 Einwohnern bleibt Afghanistans drittgrößte Stadt religiös geprägt und deutlich konservativ.

Traurige Berühmtheit erlangte die Provinz Herat wegen der vielen Frauen, die sich in ihrer Not selbst anzünden. Gründe sind Zwangsheirat, eheliche Gewalt, Drangsalierung durch Angehörige oder Freiheitsentzug - viele Frauen können aus eigenem Willen nicht auf die Straße. Vor ein paar Jahren gingen die Selbstverbrennung in die Hunderte. Dieses Jahr seien bisher rund 90 Fälle registriert worden, sagt ein Arzt in der Spezialklinik für die Opfer.

Mit Mitteln der EU und einer französischen Organisation wurde ein Notstation errichtet. "Die Frauen entzünden eine Gasflasche oder schütten sich Benzin über den Körper. Eine Reihe hat Verbrennungen dritten Grades. Diese Frauen können wir oft nicht mehr retten. Anderen können wir durch bessere Versorgung und Medikamente europäischen Standards helfen", sagt ein Arzt. Auf der Station der Verbrennungsopfer herrschten wie in den anderen Herater Krankenhäusern überwiegend korrupte Verhältnisse, erklären Befragte unisono. Frauen würden manchmal nur operiert, wenn sie Essen und Medikamente selbst zahlen könnten. Einer der Stationsärzte leugnet das auf Anfrage.

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