Nahrungsmittelkrise im Irak: Wenn Bauer Osman der Weizen fehlt

Vor allem der kurdische Norden im Irak leidet unter den Folgen einer schlimmen Dürre. Gegen schlechtes Wetter ist die Regierung machtlos - gegen falsche Agrarpolitik nicht.

Versuchen sich ihre Existenz zu sichern: Arme Iraker auf einer Müllhalde. Bild: ap

Die ärgsten Feinde von Ahmed Osman sind nicht mehr Extremisten und Sprengsätze. Der kurdische Bauer im Nordirak erntet normalerweise rund eine Tonne Weizen auf seinen Feldern - dieses Jahr war es weniger als ein Drittel, klagt er. "Das meiste davon musste ich als Tierfutter verkaufen, weil die Qualität so schlecht war." Nur der Gemüse- und Obstbau habe ihn vor der totalen Pleite gerettet.

Rund sechs Jahre nach der US-geführten Invasion im Irak wird Großbritannien nach Informationen mehrerer Medien bis Juni 2009 seine Soldaten aus dem Land weitgehend abziehen. Sofern die Wah- len im Irak im Januar friedlich verlaufen, soll der Rückzug der Briten im März beginnen und drei Monate später abgeschlossen sein, berichten britische Medien einhellig am Mittwoch unter Berufung auf Quellen im Verteidigungsministerium in London.

Die Briten würden durch US-Truppen ersetzt. Derzeit sind 4100 Soldaten des Königreichs vor allem auf einem Stützpunkt außerhalb der Stadt Basra stationiert. 300 Briten sollen dort als Ausbilder bleiben. Seit Beginn des Einsatzes 2003 waren 177 britische Soldaten getötet worden. London hatte mehrfach einen Rückzug aus dem Irak im kommenden Jahr angedeutet, aber den Zeitplan offen gelassen. Es wird damit gerechnet, dass Premier Brown Anfang 2009 das weitere Vorgehen bekanntgeben wird.

Wie dem Kurden aus der Nähe von Erbil erging es in diesem Jahr den meisten irakischen Bauern. Der Irak hat in diesem Jahr eine der schlimmsten Dürreperioden der letzten Dekade erlebt. Extreme Hitze und Sandstürme bestimmten den Sommer, viele Flüsse verkamen zu kleinen Rinnsalen. Weil es im Winter und Frühjahr zuvor kaum geschneit und geregnet hatte, ging die Saat vieler Bauern gar nicht erst auf. Das US-Landwirtschaftsministerium schätzt Iraks Getreideeinbußen für dieses Jahr auf 45 Prozent. Besonders hart traf es Kurdistan, wo die Ernte von Weizen und Gerste, den beiden wichtigsten Anbauprodukten, nach Behördenangaben um über 80 Prozent geringer ausgefallen ist als in den vergangenen Jahren.

"Es ist ein Desaster", sagt Anwar Omer Kadir, Generaldirektor im regionalen kurdischen Landwirtschaftsministerium. Nur die staatlichen Lebensmittelrationen, die der Irak auch seit dem Ende der UN-Sanktionen vor fünf Jahren beibehalten hat, haben laut Kadir eine Preisexplosion verhindert.

Die irakische Regierung kommen diese Subventionen teuer zu stehen. Im laufenden Jahr musste sie bereits fünf Milliarden Dollar für Lebensmittelimporte bereitstellen. Im Handelsministerium in Bagdad geht man davon aus, dass der Betrag angesichts erhöhter Weltmarktpreise weiter steigen wird. Die Lebensmittelhilfen konnten freilich nur den Preisanstieg für Mehl verhindern: davon erhalten Familien so reichlich, dass sie meist einen Überschuss auf dem Markt verkaufen können. Die Preise für Gemüse und Obst hingegen sind in den vergangenen Monaten in Erbil um rund ein Drittel gestiegen, auch der Fleischpreis schnellte in die Höhe, weil viele Bauern ihre Schaf- und Ziegenherde aufgrund des Futtermangels in die Nachbarländer verkauften.

Neben der Ölindustrie ist die Landwirtschaft der zweitwichtigste Wirtschaftszweig im Irak. Laut der Weltbank schlägt sie im Bruttosozialprodukt zwar nur mit knapp 9 Prozent zu Buche - dennoch hat die Nahrungsmittelkrise die Politiker in Bagdad und Erbil aufgeschreckt. Nun hat die Regierung ein Sonderprogramm für die Landwirtschaft in Höhe von 200 Millionen Dollar aufgelegt. Um die Folgen der Dürre auszugleichen, will sie Saatgut und Düngemittel bereitstellen und den Bau von Gewächshäusern finanzieren. Die kurdische Regionalregierung hat nach Auskunft von Generaldirektor Kadir 26 Millionen Dollar für Nothilfe und 55 Millionen für Tierfutter bereitgestellt. Zudem seien für 2009 Sprengprogramme geplant, die Quellen und maroden Kanäle sollen gereinigt und das Bewässerungssystem ausgebaut werden, sagt Kadir.

Zum Wassermangel tragen Staudämme in den Nachbarländern bei. Seit langem klagen irakische Regierungsvertreter, dass die Türkei, Iran und Syrien mit ihren Staudämmen dem Euphrat und Tigris das Wasser abgraben würden. Dennoch hat auch die irakisch-kurdische Regierung mit dem Bau eines großen Staudamms begonnen. Weitere kleinere sind geplant.

Bis in fünf Jahren wolle die kurdische Regierung die Landwirtschaft so weit auf Vordermann bringen, dass sich die Region selbst versorgen kann, sagt Kadir. Angesichts der Fakten scheint dieses Ziel ziemlich ehrgeizig. Von einigen Obstsorten sowie weißen Bohnen und Gurken abgesehen, ist die Region von Importen abhängig. Das gilt auch für Weizen oder die viel gerühmten kurdischen Granatäpfel. In Kurdistan gebe es mehr als 200.000 Bauern, von denen jedoch nur ein Zehntel in der Landwirtschaft tätig sei, rechnet Kadir vor. Man müsse Anreize schaffen, dann werde sich das ändern. Zudem plane die Regierung eine Verbesserung der Lagerhaltung und den Bau von kleinen Konservenfabriken.

Kritiker bezweifeln, dass sich die Misere dadurch beheben lässt. Sie werfen der Regierung vor, dass sie mit der Anstellung von Zehntausenden von Dörflern in den Sicherheitskräften selbst dazu beigetragen habe. Ökonomen haben vorgerechnet, dass heute mehr als 80 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in Kurdistan beim Staat oder einer der beiden großen Parteien beschäftigt sind. Wer will schon die schwere Feldarbeit auf sich nehmen, wenn er sein Geld viel leichter sitzend verdienen kann?

Für ihn lohne sich die Landwirtschaft kaum noch, sagt Mohammed Tahir Abdulla. Um seine Tomaten nach Erbil zu bringen, muss der Bauer aus Sidekan an der Grenze zur Türkei einen Fahrer für 100 Dollar mieten. "Das deckt gerade einmal meine Unkosten", sagt Abdulla. "Am Ende habe ich umsonst gearbeitet." Keiner seiner Söhne ist bereit, das auf sich zu nehmen.

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