Journalistikprofessorin über die erste Kanzlerin: "Es kommt zur Irritation"

Die Medien akzeptieren, dass eine Frau Bundeskanzlerin ist, sagt die Journalistikprofessorin Margreth Lünenborg von der FU Berlin.

Sie war die erste Kanzlerin und hatte damit auch alle Freiheiten die Maßstäbe zu setzen. Bild: dpa

taz: Frau Lünenborg, vier Jahre haben wir nun schon eine Kanzlerin. Was hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung von Frauen und Macht verbessert?

Margreth Lünenborg: Die Medien akzeptieren, dass eine Frau Chefin des Landes ist. Merkel ist omnipräsent, niemand leugnet ihre Macht. Das heißt, der Kanzlerbonus wirkt auch als Kanzlerinnenbonus. So weit, so gut. Aber: Merkel vermeidet alle Attribute, die sie explizit als Frau kennzeichnen würden. Sie hält die Differenz zu ihren männlichen Kollegen so klein wie möglich und vermeidet jede Identifikation mit Geschlechterthemen. Sie versucht, weitestgehend neutral, also geschlechtslos, zu erscheinen.

Warum ist diese Geschlechtslosigkeit für Merkel so wichtig?

In den Medien wird Weiblichkeit nach wie vor oftmals negativ konnotiert. Der Abwertungsdiskurs über Frauen und Weiblichkeit ist noch immer enorm, insbesondere wenn Weiblichkeit neben fachliche Kompetenz tritt. Insofern ist Merkels Strategie, möglichst neutral aufzutreten, unter Machtaspekten sinnvoll. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich will hier kein Gütesiegel für Weiblichkeitsvermeidungsstrategien abgeben. Geschlechterpolitisch ist das eine vertane Chance.

Heißt das: Merkel war und ist gezwungen, sich als unweibliche Frau zu inszenieren?

Nein. Ihr Gestaltungsspielraum war erst einmal gigantisch. Denn Merkel hatte alle Vorteile, die ein Debüt mit sich bringt: Sie ist die Erste. Und damit kann sie Maßstäbe setzen.

Trotzdem sprechen Sie von einer strukturellen und reflexhaften Abwertung von Weiblichkeit. Da scheint mir das Auftrittsfeld für mächtige Frauen doch eher vermint zu sein?

Langsam. Natürlich haben wir das Doublebind, das mächtigen Frauen erst mal Weiblichkeit abspricht und offensichtlich weiblich auftretenden Frauen keine Sachkompetenz zugesteht. Das zeigt auch die langjährige Forschung zum Thema. Trotzdem: Wer ein so hohes Amt antritt, der und die hat Spielräume. Aber Merkel hat sich unter kühler Abwägung von Risiko und Nutzen dazu entschlossen, diese nicht auszuloten. Anders etwa als Ségolène Royal in Frankreich.

Wird es für Nachfolgerinnen nach Merkel schwerer, Macht offener mit Körperpräsenz oder Leidenschaft zu verbinden?

Das ist mir zu deterministisch. Es gibt ja auch nicht nur einen Männlichkeitstypus. Insofern kann nach Merkel eine andere Kanzlerin, sollte es die irgendwann geben, auch einen anderen machtvollen Typus von Frau verkörpern.

In Ihrer Studie "Politik auf dem Boulevard" stellen Sie fest, dass die Gesellschaft nach wie vor das Private mit dem Weiblichen assoziiert und die Öffentlichkeit mit dem Männlichen. Eine Frau an der Macht bringt diesen Gegensatz ins Wanken. Mit welchen Folgen?

Es kommt zur Irritation. Jahrhundertelange Interpretationsmuster, Kommunikationsmuster und Entscheidungsmuster gelten nicht mehr automatisch. Wir sehen das auch an einer Merkel jeden Tag aufs Neue. Mit der Faust auf den Tisch zu hauen, diese symbolische Geste kann eine Kanzlerin nicht wählen.

Ihr steht nur der Zeigefinger zu?

Zum Beispiel. Auch strickjackenmäßig Männerfreundschaft unter Staatsmännern zu demonstrieren gehört nicht zum symbolischen Repertoire einer Angela Merkel. Gleichzeitig wirkt es ein wenig lächerlich oder zumindest ironisch, wenn sie als Frau eine Militärparade abnimmt. Allein die Tatsache, dass Merkel kein Mann ist, stellt überlieferte Machtrituale als solche bloß. Das ist schon mal gut. Es bedeutet zumindest die Möglichkeit von Öffnung.

Also hat die erste Bundeskanzlerin neue Freiräume in der öffentlichen Wahrnehmung geschaffen?

Na ja. Wir reden hier ja nur über Symbolpolitik. Die hat ihre Relevanz, klar. Junge Mädchen, die in der Ära Merkel aufwachsen, erleben es als normal, dass eine Frau den Laden führt, dass bis dahin als unveränderbar geltende Machtkonstellationen verändert werden können. Es ist nun denkbar, dass eine Frau Kollegen an ihrer Seite ziemlich blass und alt aussehen lässt. Was aber manifeste Politik anbelangt, kann ich keinen emanzipatorischen Fortschritt erkennen.

So schlimm?

Ich kann mich an keinen Wahlkampf erinnern, in dem neue Gesellschaftsentwürfe so gar keine Rolle gespielt haben wie in diesem. Nach vier Jahren Kanzlerin spricht man nicht mal darüber, welche anderen Lebens- oder Familienentwürfe möglich sind. Geschlechterpolitik spielt gar keine Rolle, Familienpolitik musste den "harten" Finanzfragen weichen.

Parallel zur Merkels Kanzlerschaft hat sich der Frauenanteil im Journalismus deutlich erhöht. Der Kollege Schirrmacher befürchtete noch 2003, dass "Frauen die Bewusstseinsindustrie übernehmen" würden. War etwas dran an seiner Angst?

Ach Quatsch. Das ist Paranoia. Man muss ja sehen, dass sich die Journalismusbranche in den letzten fünfzehn Jahren insgesamt verändert hat. Mit einem stark ausgeweiteten Programmangebot ist auch der exklusive Status des Journalisten verschwunden. In Berlin haben wir mit der "Meute" zu tun - nicht mehr mit einem exklusiven Zirkel. Anders gesagt: Es hat eine Popularisierung des Journalistenberufs stattgefunden, und entsprechend wurde der Zutritt für Frauen deutlich erleichtert. Der klassische Nachrichtenjournalist ist nur noch ein relativ schmales Segment, flankiert von vielen andern Sparten.

Weswegen böse Zungen behaupten, die Frauen hätten die Boulevardisierung der Berichterstattung zu verantworten.

Diese Kausalkette ist natürlich ebenso unsinnig. Andersherum wird ein Schuh daraus: Die inhaltliche Öffnung des Journalismus hat zugleich qualifizierten Frauen den Zugang erleichtert. Und wenn man sich die Hierarchien ansieht, dann muss man einfach sagen: Männer, ihr könnt euch entspannen: Die Entscheidungsmacht im Journalismus liegt noch immer maßgeblich in den Händen von Männern. Richtig ist, dass die Personalisierung von Politik zu einem viel stärkeren Interesse am Privatleben der Politiker geführt hat - bei Männern wie bei Frauen.

Warum braucht Merkel keine Inszenierung als geliebte Lebenspartnerin, um sich als emotional und menschlich zuverlässig darzustellen?

Schwer zu sagen. Merkels Biografie und Karriere sind ja so jenseits der üblichen Kaderschmieden, dass sie es selbstverständlich auch für sich in Anspruch nimmt, tradierte Interpretationsmuster außer Kraft zu setzen. Und zu ihrer Geschlechtsneutralität gehört auch, dass sie klassische Frauenrollen wie die Mutter, die Ehefrau, die Verführerin nicht bedient.

Mit einer Ausnahme: Bei der Operneröffnung in Oslo gewährte Merkel Einblicke in ihr Dekolleté. Während die Boulevardmedien ihren Auftritt feierten, witterten die seriösen Medien einen Verlust an politischer Souveränität. Warum?

Die Boulevardmedien waren beruhigt über die Wiederherstellung der Zweigeschlechtlichkeit: Eine Frau ist eben doch eine Frau. Aufseiten der Qualitätsmedien hingegen wurde schon nahezu paranoid nach den strategischen, innenpolitisch motivierten Beweggründen gesucht.

Zufällig wird sie dieses Kleid nicht getragen haben, oder?

Natürlich nicht. Aber erstens wurde das Bild so angeschnitten, bis der Betrachter nichts anderes mehr sehen konnte als den Ausschnitt. Die mediale Zurichtung des Fotos ließ den Kontext des Ereignisses verschwinden zugunsten einer starken Sexualisierung. Sobald Merkel den Hosenanzug als schützenden Panzer ablegt, wird wieder der ungezügelt sexualisierte Blick auf sie gerichtet.

Also doch keine Emanzipation der Blickregime. Hat sich denn in der Bewertung von Männern in Führungsrollen etwas verändert, weil es eine Kanzlerin gibt?

Auch Führungsmänner müssen sich viel stärker als Marke inszenieren, werden damit auch in ihrer Körperlichkeit und Privatheit sichtbar. Das aber hängt vor allem mit dem Aufstieg des Infotainment zusammen und weniger mit der Kanzlerin. Gleichzeitig zeigt der Fall Kurt Beck, wie im Zuge der Personalisierung von Politik auch Männerkörper massiv abgewertet werden, wenn sie nicht den Normen entsprechen.

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