Neue grüne Bundestagsfraktion: Sozial-Ökologisch mit Linksdrall

Die Grünen setzen auf mehr Mandate, viele Neuzugänge werden Sozialthemen betonen. Spitzenkandidat Jürgen Trittin dürfte Fraktionschef Fritz Kuhn verdrängen.

Der grüne Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn dürfte nach der Wahl von Jürgen Trittin verdrängt werden. Bild: sebibrux

BERLIN taz | Da macht einer keinen Hehl aus seinen Berechnungen. "Wenn die Grünen in Niedersachsen über neun Prozent erzielen", schreibt Sven-Christian Kindler auf seiner Internet-Seite, sei er "ab Herbst Abgeordneter in Berlin". Der Junggrüne hat Listenplatz sechs in Niedersachsen. Er könnte also der eine zusätzliche Abgeordnete sein, den die niedersächsischen Grünen nach Berlin schicken dürfen, wenn die Grünen am kommenden Sonntag ihr Ergebnis von 2005 ein bisschen verbessern.

Im Bund kamen die Grünen damals auf 8,1 Prozent. Die letzten Umfragen vor der Wahl sahen sie bei zehn oder elf Prozent. Grüne Wahlkämpfer sagen: "Zweistellig wäre schon super." Soll heißen: Auch ein einstelliges Ergebnis soll nachher noch als Erfolg gelten.

Kindler, der mit seinen 24 Jahren bereits als Controller bei Bosch arbeitet, ist nicht der einzige Grüne, der an möglichen Wahlergebnissen herumknobelt. Fast jeder Landesverband geht davon aus, mindestens einen weiteren Abgeordneten nach Berlin zu schicken - die Nordrhein-Westfalen setzen gar auf 14 statt wie bisher zehn Mandate.

Mit dabei wäre dann auch Hermann Ott, Jurist und Klimaexperte vom Wuppertal Institut. Ott ist Quereinsteiger - eigentlich Wissenschaftler, der zuletzt das Berlinbüro des Wuppertal Instituts aufbaute und sich nun fröhlich zum Karrierewechsel in den besten Jahren bekennt. Er geht davon aus, "das umwelt- und klimapolitische Profil der Grünenfraktion künftig mit gestalten zu können".

Dass hier mit Bärbel Höhn und Hans-Josef Fell schon andere unterwegs sind, die ihre Ämter sicherlich verteidigen werden, hält er für kein Problem. "Eigentlich rechne ich mich keinem Flügel zu", sagt Ott. Das behaupten allerdings die meisten, bevor sie im Bundestag lernen müssen, wie wichtig Flügel bei der Postenvergabe sind.

Insgesamt steht zu vermuten, dass die Fraktion eher nach links rücken wird. Spitzenkandidat Jürgen Trittin, Repräsentant des linken Flügels, wird wahrscheinlich den Realo Fritz Kuhn vom Fraktionsvorsitz verdrängen. Die linken Sozialpolitiker erhalten Verstärkung. Berlin schickt die Ökonomin Lisa Paus statt ins Abgeordnetenhaus lieber in den Reichstag. Aus Baden-Württemberg kommt die Grundeinkommens-Befürworterin Beate Müller-Gemmeke.

Das auch innerhalb der Flügel strittige Thema Grundeinkommen hatten Parteispitze und Fraktion bislang so gerade noch abgebügelt - unterstützt von der Konjunktur. Doch jetzt steigen die Arbeitslosenzahlen wieder. Müller-Gemmeke sagt: "Ich will unbedingt beim Arbeitskreis 1 - Wirtschaft und Soziales - mitarbeiten." Zur Frage, ob sie einen Sprecherposten anstrebt, hält sie sich bedeckt.

Zuallererst werden Fraktion wie Partei jedoch ihren nächsten grünen Afghanistan-Konflikt austragen. Eine Gruppe um den Gelsenkirchener Robert Zion hat für den Parteitag Ende Oktober eine Kampfansage gemacht. Niemand wird bei dieser Auseinandersetzung so sehr fehlen wie der Afghanistan-Experte Winfried Nachtwei, der aus dem Bundestag ausscheidet.

Mit Tom Koenigs, Joschka-Fischer-Weggefährte und UN-Beauftragter für Afghanistan von 2006 bis 2007, kommt einer in die Fraktion, der sogar noch mehr Zeit am Hindukusch zugebracht hat als Nachtwei. Ob Koenigs, der noch 2007 die US-Vorgehensweise verteidigte, die gleiche Integrationskraft entfaltet wie Nachtwei, ist fraglich. Vielleicht aber ist Integration bald nicht mehr nötig - und die Grünen wenden sich unter dem Druck der Ereignisse in Afghanistan gemeinsam gegen den Einsatz.

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