Wie aus rot-grünen Politikern Lobbyisten wurden: Ab in die Wirtschaft

Der Angriff auf die hessischen Spitzenkandidatin seiner Partei kurz vor der Wahl mag ein Einzelfall sein. Der Werdegang von Clement ist dagegen typisch für die rot-grüne Ex-Regierungsriege.

Von der Tretmühle Bundestag zu den Schornsteinen der Energiekonzerne: Clement legte einen beispielhaften Wechsel hin. Bild: dpa

Als Wolfgang Clement in die Fahrschule ging, verlor er die Nerven. Während einer Fahrstunde stieg er wutentbrannt aus und ließ das Auto mit laufendem Motor zurück. Bis heute hat Clement keinen Führerschein.

Gerhard Schröder (SPD), Exbundeskanzler: nun Aufsichtsratsvorsitzender des Ölpipeline-Konsortiums Nord-Stream AG, das zu 51 Prozent Gazprom gehört; Berater beim Ringier Verlag; Mitglied im europäischen Beirat der Rothschild-Investmentbank.

Otto Schily (SPD), Exinnenminister, Bundestagsabgeordneter: nach seiner Ministerzeit Aufsichtsratsmitglied bei Byometric Systems AG (bis Mai 2007); Aufsichtsratsmitglied und Anteilseigner bei Safe ID Solutions AG - beide Unternehmen stellen biometrische Anwendungen her, Schily hatte als Minister die Einführung biometrischer Pässe durchgesetzt; Berater für Siemens; Anteilseigner der Beraterfirma German Consult GmbH. Wolfgang Clement (SPD), Exwirtschaftsminister: nach seiner Ministerzeit im Aufsichtsrat der Zeitarbeitsfirma DIS AG; seit dem Aufkauf der DIS AG durch die Zeitarbeitsfirma Adecco Vorsitzender von deren Forschungsinstituts; Aufsichtsratsmitglied beim Dienstleistungskonzern Dussman, bei RWE Power, beim DuMont Schauberg Verlag und bei der Landau Media AG; Beiratsvorsitzender des Wissens- und Informationsdienstleisters Wolter Kluwer; Beiratsmitglied bei der US-Bank Citigroup. Caio Koch-Weser (parteilos), Exstaatssekretär im Finanzministerium: Vice Chairman bei der Deutschen Bank. Matthias Berninger (Bündnis90/Die Grünen), Exstaatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Abteilungsleiter in der Europazentrale des US-Nahrungsmittel- und Süßwarenkonzerns Mars, zuständig für Ernährungs- und Gesundheitsfragen. Rezzo Schlauch (Bündnis 90/Die Grünen), Exstaatssekretär im Wirtschaftsministerium: Beiratsmitglied von EnBW (Energie Baden-Württemberg); Aufsichtsratsvorsitzender der Textilfirma Spredshirt AG; Berater eines Entsorgungsunternehmens. Volker Halsch (SPD), Exstaatssekretär im Finanzministerium: Mitglied der Geschäftsleitung bei der Telekom-Tochter Vivento. Als Staatssekretär hatte er bereits für das Finanzministerium im Aufsichtsrat der Telekom gesessen. Simone Probst (Bündnis 90/Die Grünen), Exstaatssekretärin im Umweltministerium: heute Aufsichtsratsmitglied beim Energiedienstleister Techem.

Der Mann ist unbeherrscht und von sich selbst überzeugt. Er weiß vieles gern besser als andere. Darin liegt schon ein Teil der Erklärung für Clements jüngsten Wutanfall. Der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister und heutige Lobbyist des Energiekonzerns RWE hat eine Parteifreundin, Andrea Ypsilanti, beleidigt, und das eine Woche vor der Landtagswahl in Hessen. Clement warnte in einer Kolumne für die Welt am Sonntag davor, das Schicksal des Landes in die Hände der SPD-Spitzenkandidatin Ypsilanti zu legen. Der Grund: ihre angeblich industriefeindliche Energiepolitik. "Deswegen wäge und wähle genau, wer Verantwortung für das Land zu vergeben hat, wem er sie anvertrauen kann - und wem nicht", schrieb Clement.

Die schlichte Lesart sei hier ausnahmsweise erlaubt: Clement, ein herausragender Vertreter der SPD-Machofraktion, konnte Frau Ypsilanti noch nie leiden, er hält sie für politisch naiv. Dieses Zeugnis hat er ihr jetzt schriftlich ausgestellt, Sozialdemokratin hin oder her. Abgesehen davon, dass dieses Verhalten selbst unter parteipolitischem Aspekt außergewöhnlich ist, es zeugt von einer ausgeprägten Charakterschwäche Clements.

Seine bodenlose Kritik beweist aber auch, wie vergiftet die politische Kultur der Sozialdemokraten immer noch ist. Für die Schröders, Lafontaines, Scharpings und Clements waren Intrigen, Machtspiele und persönliche Beleidigungen noch stets Teil des politischen Geschäfts. Auf diese Weise haben sie sich gegenseitig, aber auch ihrer Partei schwere Verletzungen zugefügt. Die SPD zahlte das auf ihre Weise heim: Sie entzog jedem der Spitzengenossen früher oder später ihre Liebe. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen über die Agenda 2010 bekam Clement bei der Wahl zum stellvertretenden SPD-Chef auf dem Bochumer Parteitag 2003 nur noch 56,7 Prozent der Stimmen.

Versöhnung? Ausgeschlossen! Schröder als Gazprom-Agent, Lafontaine als Linkspartei-Chef, Scharping mit seiner Gräfin Pilati im Schlepptau, Clement als RWE- und Zeitarbeit-Lobbyist, Schily als Aufsichtsrat zweier Firmen für biometrische Sicherheitstechnik - sie alle zahlen der SPD den Liebesentzug heim. Rücksicht auf die Partei, der sie ihre Karriere zum Teil zu verdanken haben, nehmen sie dabei nicht. Daran ändert auch der ein oder andere Wahlkampfauftritt des Exkanzlers nichts. Die Unterstützung Schröders für seinen Freund Michael Naumann in Hamburg täuscht nicht darüber hinweg, dass der Kanzler a. D. als moralisch-politische Instanz - vergleichbar etwa mit dem Elder Statesman Helmut Schmidt - ausfällt. Sein bedenkenloser Wechsel von der Politik in die Wirtschaft diskreditiert ihn.

Clement und Schröder stehen hier stellvertretend für die rot-grüne Regierung. Wie wohl keine andere Bundesregierung vor ihr zeichnet sie sich dadurch aus, dass ihre Protagonisten einen fliegenden Wechsel von der Politik in die Lobbywirtschaft vollzogen haben. In der Wissenschaft wird das als "Drehtüreffekt" bezeichnet: raus aus der Politik, rein in die Wirtschaft und umgekehrt - zum Vorteil beider Seiten, zum Nachteil der Demokratie.

Die Organisation LobbyControl hat das zweite Schröder-Kabinett (2002-2005) unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ihrer Studie vom November 2007 ist bezeichnend: "Ehemalige Regierungsmitglieder und Führungspersonen der Ministerialbürokratie wechseln in großem Umfang direkt nach Beendigung ihrer politischen Tätigkeit (oder parallel zur Fortführung ihres Bundestagsmandates) in Lobbytätigkeiten im engeren und weiten Sinn", schreiben die Autoren. "In den meisten Fällen sind die Lobbytätigkeiten eng mit den vorherigen politischen Aufgabenfeldern verbunden." Von 63 Ministern und Staatssekretären haben 12 klare Lobbytätigkeiten übernommen. "Hier liegt der Verdacht auf der Hand", heißt es in der Studie, "dass bei politischen Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Jobchancen zu einem bedeutenden Faktor wird."

Die rot-grünen Politiker sind fast ausschließlich für Unternehmen, Unternehmensverbände und unternehmensnahe Denkfabriken tätig. Der Wechsel zu einem Umweltverband ist die Ausnahme. Außerdem problematisch: Viele ehemalige Politiker zeigen sich nicht gerade auskunftsfreudig, was ihre neue Tätigkeit betrifft. Als zwei Tagesspiegel-Redakteure Joschka Fischer neulich im Interview fragten, was sich hinter seiner "Joschka Fischer Consulting" verberge und wie viel Geld man für eine vernünftige Beratung mitbringen müsse, antwortete der ehemalige Außenminister: "Rechenschaft schuldig bin ich nur noch dem Finanzamt. Schauen Sie, das ist der große Gewinn meiner letzten Transformation."

Nun ist eine Lobbytätigkeit allein noch kein Grund, Parteifreunde zu beschimpfen. Sie verführt aber dazu, die Politik für die Verfolgung privater wirtschaftlicher Interessen zu vereinnahmen. Dazu charakterliche Schwächen und der Frust über die eigene Partei - das macht einen klassischen Clement.

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