Wirtschaftsweise gegen Schuldenbremse: "An Biederkeit ist das nicht zu übertreffen"

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger kritisiert das geplante Verbot neuer Schulden. Er hat vor kurzem eine Unterschriftensammlung gegen die so genannte Schuldenbremse gestartet.

Für Investitionen in die Zukunft ist es vernünftig, sich zu verschulden, meint Bofinger. Bild: dpa

taz: Herr Bofinger, der Staat soll künftig kaum noch Schulden machen dürfen. Sie haben eine Unterschriftenkampagne gegen diese Schuldenbremse initiiert. Warum?

Peter Bofinger: Das Anliegen der sparsamen, nachhaltigen Finanzpolitik ist durchaus richtig. Aber man darf die Zukunftsvorsorge nicht eindimensional betrachten und sich nur auf die passive Vorsorge beschränken. Es ist genauso wichtig, aktiv zu handeln, also in die Bildung, die Infrastruktur und den Umweltschutz zu investieren. Sonst gefährdet man die Zukunft unserer Kinder. Wer sich so etwas ausdenkt, hat von Volkswirtschaft keine Ahnung.

SPD-Fraktionschef Peter Struck, sein CDU-Kollege Volker Kauder und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger haben von Wirtschaft keine Ahnung?

Die Idee der Schuldenbremse ist an ökonomischer Biederkeit nicht zu übertreffen. Sie fällt hinter das Denken der klassischen Ökonomie zurück, die es für völlig vernünftig hielt, dass der Staat Zukunftsinvestitionen über Kredite finanziert.

Auch mit der Schuldenbremse dürfte der Bund noch mindestens neun Milliarden Euro neue Schulden pro Jahr machen. Reicht das nicht aus?

Nein, gerade für die Bildung sind die Bundesländer verantwortlich. Und denen will man jegliche Neuverschuldung verbieten.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck plädiert dafür, das Schuldenverbot der Länder zu lockern.

Platzeck schlägt vor, dass Länder und Gemeinden pro Jahr knapp vier Milliarden Euro Kredite aufnehmen dürfen. Aber auch das ist viel zu wenig. Wir brauchen in den nächsten Jahren eine große Bildungs- und Qualifizierungsoffensive, damit Hunderttausende Jugendliche einen besseren Bildungsabschluss machen. Tun sie das nicht, werden sie in den kommenden Jahren zu den Arbeitslosen gehören. Mit einer Schuldenbremse wäre eine solche Initiative jedoch nicht zu finanzieren.

Die Koalition will in Ausnahmefällen eine höhere Verschuldung ermöglichen. Wo ist dann das Problem?

Die Befürworter der Schuldenbremse sind auf die irrwitzige Idee gekommen, die in einer besonderen Krise entstandenen zusätzlichen Schulden innerhalb einer überschaubaren Frist zurückzubezahlen. Nach dem Fall der Mauer hätte Deutschland also die Kosten der Wiedervereinigung innerhalb dieses Jahrzehnts abstottern müssen. Höhere Abgaben oder deutlich niedrigere Staatsausgaben hätten Deutschland in den Ruin getrieben.

Bundesfinanzminister Steinbrück gibt dieses Jahr etwa 44 Milliarden Euro für Zinsen und Tilgung aus. Dieses Geld fehlt für die Investitionen, die Sie fordern.

Das stimmt. Jeder wird sagen: Weniger Schulden sind besser als mehr Schulden. In der praktischen Politik kommt es aber nicht auf solche Plattitüden an, sondern auf die realistische Balance zwischen den zwei Zielen der nachhaltigen Staatsfinanzen und der Investitionen in die Zukunft.

INTERVIEW: HANNES KOCH

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