Plan der Landesregierung: Bayern bald demofreie Zone

Die bayerische Landesregierung bereitet eine starke Einschränkung des Demonstrationsrechts vor. Es wird erwartet, dass weitere unionsgeführte Länder nachziehen.

Bald eine Seltenheit in Bayern? Ostermarsch in München

MÜNCHEN taz Es war einmal mehr die Präsentation bayerischer Stärke: Eine halbe Hundertschaft Polizisten fuhr auf, um Ende April eine Demonstration in München-Haidhausen zu begleiten. Aber selbst für Münchner Verhältnisse war das Polizeiaufgebot übermäßig groß. Schließlich waren es nicht mehr als 50, 60 Protestierer, die sich an einer Straßenecke zusammengefunden. Und die hatten auf den ersten Blick nicht einmal etwas mitzuteilen: Ihre Transparente waren ohne jede Beschriftung. Brisant war ihre Botschaft trotzdem: Die leeren Transparente richteten sich gegen das neue bayerische Versammlungsgesetz und sollten vor den weitreichenden Einschränkungen warnen, denen sich künftig alle bayerischen Versammlungen und Demonstrationen unterwerfen müssen, sofern das Gesetz wie geplant beschlossen wird.

Ver.di, die Grünen, die SPD, der Kreisjugendring, die Gewerkschaft der Polizei, Juraprofessoren, Strafverteidiger - viele halten für Giftzeug, was in der Landtagsdrucksache 15/10181 aufgeschrieben ist: Bildaufzeichungen, die unbegrenzt gespeichert werden können, umfangreiche Voranmeldepflichten und namentliche Auflistung sowie Polizei-Check aller eingesetzten Ordner gehören zu den Bestandteilen des Gesetzentwurfs. Weiterhin soll es in Bayern künftig verboten sein, "nichtöffentliche Versammlungen" zu stören. Bei Zuwiderhandlung sollen drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis - nicht nur die bayerischen Grünen mutmaßen, dass damit jeder Protest gegen die Nato-Sicherheitskonferenz unterbunden werden soll.

Damit nicht genug, sollen künftig Demonstrationen ganz verboten werden können, sofern die "Rechte Dritter unzumutbar beeinträchtigt werden". Damit könnte theoretisch jeder Anwohner oder Geschäftsbesitzer eine Demonstration verhindern. Untersagen will man zudem die Teilnahme an Versammlungen, die mindestens zum Teil "eine einschüchternde Wirkung" haben. Und schließlich sollen diese Regelungen auch für geschlossenen Räume gelten.

Im Juli will die CSU-Fraktion mit ihrer absoluten Mehrheit das Gesetz beschließen. Doch nicht nur in Bayern wird über eine Verschärfung des Versammlungsrechts debattiert. Seit der Föderalismusreform sind hierfür die Bundesländer zuständig, und es ist zu erwarten, dass zumindest die unionsgeführten Länder sich Bayern als Vorbild nehmen werden.

Der Würzburger Professor für öffentliches Recht, Helmuth Schulze-Fielitz, hält das für Wahnsinn. Gemeinsam mit Kollegen aus Berlin und Passau und Verwaltungsfachleuten wird er an diesem Donnerstag zu einer Expertenanhörung in den Landtag kommen, die die Grünen veranlasst haben. "Der Bürger bekommt mit dem Gesetz allerlei Obliegenheiten und Pflichten auferlegt, die eigentlich das Modell des Grundgesetzartikels 8 umdrehen", sagte Helmuth Schulze-Fielitz im Gespräch mit der taz. "Aus dem genehmigungsfreien Versammlungsrecht des kleinen Mannes wird in der Generaltendenz eine Versammlungsfreiheit nach Maßgabe staatlicher Wünsche."

Der derzeit oberste bayerische Datenschützer, Ministerialrat Anton Stammel, kritisiert die im Gesetz verankerten "Übersichtsaufnahmen". Es stelle sich die Frage, was genau eine "Übersichtsaufnahme" sei, vor allem aber seien teilweise keine Löschfristen vorgesehen. Zudem könnten mittels Zoom-Funktion heutzutage aus Übersichtsaufnahmen einfach Details herausgegriffen werden, sagte er der taz. "Hier besteht die große Gefahr, dass personenbezogene Daten erstellt werden." Diese Bedenken schöpfe er "aus der bereits bestehenden Praxis".

Das bayerische Innenministerium hält die Neuregelungen dagegen für unverzichtbar. Innenminister Joachim Herrmann verweist darauf, dass das Gesetz sich gegen extremistische Veranstaltungen richte, allen voran gegen die regelmäßigen Demonstrationen von Neonazis in Wunsiedel und Gräfenberg.

Doch nicht nur die Gräfenberger Bürger haben in den vergangenen Wochen wiederholt darauf hingewiesen, dass sie die allgemeine Versammlungsfreiheit höher schätzen als ein Demonstrationsverbot. Auch Helmuth Schulze-Fielitz warnt vor dieser Begründung: "Wir haben zum Glück Demonstrationsfreiheit." Es gebe zwar natürlich auch eine "Kehrseite", aber mit der müsse sich die Gesellschaft auseinandersetzen. MAX HÄGLER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.