Krise bei den Sozialdemokraten: Beck auf Heilmittel angewiesen

SPD-Generalsekretär Heil schließt Rücktritt von Parteichef Beck kategorisch aus, trotz massiver Kritik aus den Reihen koservativer SPDler. Hessische Abgeordnete Metzger beklagt "Spießrutenlaufen"

Sichtlich gezeichnet von Grippe und verschnupfter Stimmung in seiner Partei: SPD-Chef Beck auf dem Weg zur Präsidiumgssitzung im Willy-Brandt-Haus. Bild: dpa

BERLIN/FRANKFURT dpa/rtr Vor der Präsidiumssitzung am Montag vormittag, an der nach seiner Erkrankung erstmals auch wieder Parteichef Kurt Beck teilnimmt, ist der Streit bei den SPD um Kurs und Führung der Partei weiter in vollem Gange. Weshalb sich SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Montag morgen dazu genötigt sah, im ZDF-"Morgenmagazin" mit Vehemenz einen Rücktritt von Beck nach dem Desaster bei der Regierungsbildung in Hessen auszuschließen. Es werde keinen Rücktritt geben, "soviel ist klar", sagte Heil. Die SPD habe eine klare Führung mit Beck an der Spitze und den Stellvertretern Andrea Nahles, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. "Wir sind da personell gut aufgestellt und können auch mal Zeiten, in denen der Wind von vorne kommt, gut in dieser personellen Konstellation überstehen." Heil sagte weiter, "Spökenkiekereien" um einen Rücktritt von Beck seien absurd.

Zur Situation in Hessen, wo die SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti eine von der Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung nicht ausgeschlossen hat, sagte Heil, es bleibe beim Beschluss der SPD- Spitze, dass die Landesverbände eigenverantwortlich über eine Zusammenarbeit entscheiden können. "Es wird kein Machtwort aus Berlin geben." Es gebe aber auch eine Verantwortung der hessischen SPD für die Gesamtpartei. "Man muss eine verlässliche parlamentarische Basis haben, um regieren zu können." Eine Zusammenarbeit mit der Linken wollte Heil aber trotz mehrerer Nachfragen nicht ausschließen.

Zugleich kritisierte Heil den Druck der hessischen SPD-Spitze auf die Abgeordnete Dagmar Metzger, die mit ihrem Nein zu einer Zusammenarbeit mit der Linken zunächst eine Minderheitsregierung verhindert hat. "Es ist nicht richtig, Druck auf eine frei gewählte Abgeordnete zu machen."

Am weitesten mit der Kritik an Beck hatte sich der Bundestagsabgeordnete Gerd Andres, der Vorsitzende des Seeheimer Kreises, vorgewagt. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung forderte er den Verzicht Becks auf die SPD-Kanzlerkandidatur. Der Sprecher des Zusammenschlusses konservativer Sozialdemokraten, Johannes Kahrs, wollte sich der Forderung von Andres nicht anschließen, äußerte aber am Montag im Deutschlandfunk ebenfalls seinen Unmut an der Haltung Becks. Nach Ansicht von Kahrs müsse Beck nach seiner umstrittenen Öffnung zur Linkspartei nun um das Vertrauen der Wähler kämpfen. Beck könne seine Glaubwürdigkeit nur mit viel harter Arbeit wieder erlangen, so Kahrs. Man könne nicht vor der Wahl etwas versprechen und es dann ohne Not nicht einhalten, sagte Kahrs mit Blick auf den Parteivorsitzenden, der sechs Tage vor der Hamburg-Wahl erstmals die Wahl einer SPD-Minderheitsregierung in Hessen mit Hilfe der Linkspartei nicht mehr ausgeschlossen hatte. Es müsse jetzt erklärt werden, dass es keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Westen und im Bund geben werde, forderte Kahrs. Kahrs warf Andrea Ypsilanti "Dummheit" vor. "Ich halte das alles für ein Stück aus dem Tollhaus."

Scharf grenzte sich Kahrs von SPD-Politikern ab, die davor warnen, grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit der Linken auszuschließen. "Das ist der größte Unsinn aller Zeiten, den ich je in meinem Leben gelesen habe", sagte Kahrs mit Blick auf ein Thesenpapier von Detlev Albers, Wolfgang Thierse, Ralf Stegner und Johanno Strasser. In dem in der SZ abgedruckten Papier heißt es, man müsse darauf achten, dass die SPD sich nicht durch eine "dogmatische Kooperationsverweigerung" von ihrer eigenen Zielsetzung entferne. Mit Kommunisten könne man nicht zusammenarbeiten, sagte Kahrs. Es gehe darum, linke Volkspartei zu bleiben und nicht linke Traktate abzufassen.

Das SPD-Präsidium berät am Montag über die anhaltende Unruhe in der Partei. An der Sitzung nimmt nach zweiwöchiger Abwesenheit wegen einer schweren Virusgrippe erstmals auch Beck wieder teil. Hessens SPD- Chefin Andrea Ypsilanti hat ebenfalls ihr Erscheinen angekündigt.

Die hessische SPD-Abgeordnete Metzger beklagte in der Bild-Zeitung den starken Druck ihrer Partei, ihr Mandat aufzugeben oder für eine Zusammenarbeit mit den Linken zu stimmen. Die 49-Jährige sagte: "Es war eine sehr hohe persönliche Belastung, teilweise ein Spießrutenlaufen." Die Abgeordnete war aus der SPD heftig kritisiert worden, nachdem sie sich geweigert hatte, Ypsilanti mit Unterstützung der Linken zur Ministerpräsidentin zu wählen. "Besonders dieser moralische Druck war schlimm. Es fielen Ausdrücke wie "Sauerei" und so weiter." Ob sie eine Entscheidung über ihr künftiges Verhalten wie angekündigt bis Dienstag treffen werde, sei noch ungewiss.

Insbesondere Hermann Scheer, SPD-Vorstandsmitglied und Anwärter auf das hessische Ministerium für Wirtschaft und Umwelt unter einer Ministerpräsidentin Ypsilanti, hatte Dagmar Metzger schon in der vergangenen Woche einen Verzicht auf ihr Landtagsmandat nahegelegt und zur Frage eines Parteiausschlusses gesagt: "Es wird mit Sicherheit solche Bemühungen geben. Ich weiß nicht, welche Begründung dem widersprechen könnte."

Scheer will auch weiter nicht auf eine rot-rot-grüne Regierungsperspektive in Hessen verzichten. Dem Rundfunksender hr-info sagte er: "Die SPD ist angetreten mit einem politischen Projekt, mit politischen Schwerpunktaussagen, die die Menschen begeistert haben, und sie erwarten jetzt die möglichst weitgehende Umsetzung dieser politischen Positionen". Jetzt sei zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen das umgesetzt werden könne, sagte Scheer.

Falls Metzger ihr Mandat aufgäbe, würde der 31-jährige Assistenzarzt Aron Krist nachrücken, der allerdings ebenfalls Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit den Linken hat. Metzger sagte zur Haltung Krists gegenüber Bild: "Wir haben zusammen Wahlkampf gemacht und den Wählern in die Hand versprochen, dass wir nicht mit den Linken zusammenarbeiten. So ein Versprechen bricht man nicht so einfach."

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