CSU verliert an Wählergunst: Becksteins Sauhaufen

Die CSU stürzt bei Umfragen zur kommenden Landtagswahl ab. Damit kündigt sich eine politische Wende an: Vielleicht kommt ja Jamaika jetzt nach Bayern.

Minister Thomas Goppel ist zuversichtlich: "Diese Konstellation muss sich erstmal einraufen". Bild: ap

MÜNCHEN taz Schnellen Schrittes, als sei der Leibhaftige hinter ihr her, eilt die Frau über den Markt. Nur weg! Christian Magerl zuckt mit den Schultern, ein kleines Grinsen kann er sich nicht verkneifen. "Irgendwie verständlich, dass die grad ned reden will." Schließlich ist Maria Lintl eine Verliererin und der Magerl ein Gewinner. Lintl war bei den vergangenen Stadtratswahlen im oberbayerischen Freising, dem "Herzen Altbayerns", Spitzenkandidatin der CSU. Der CSU, die in der Domstadt 5 von 16 Stadtratssitzen verloren hat. Der gut gelaunte Christian Magerl, gewandet in eine rote Windjacke und ein buntes Stirnband, ist dagegen der Shootingstar. Ein Grüner ist er, und seine Partei hat kräftig zugelegt. Im Freisinger Stadtrat ist sie inzwischen zweitstärkste Kraft, und Magerl selbst hat beste Chancen, am kommenden Sonntag zum ersten grünen Landrat Bayerns gewählt zu werden. Eine Entscheidung, bei der die örtliche CSU gar nicht mehr mitmischt. Denn die Stichwahl wird ausgetragen zwischen Michael Schwaiger von den Freien Wählern und dem promovierten Vogelkundler Christian Magerl - und der ist von den Grünen.

Stichwahlen gibt es in 7 Städten, 15 Landkreisen, 50 Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern - insgesamt 72 Stichwahlen.

In Würzburg, Regensburg und Passau wurden die amtierenden CSU-Oberbürgermeister von SPD-Kontrahenten in den zweiten Wahlgang gezwungen, weil kein CSUler die absolute Mehrheit erreicht hatte.

Gute Aussichten hat SPD-Kandidat Jürgen Dupper in Passau, der in der ersten Abstimmung am 2. März den CSU-Amtsinhaber Albert Zankl überholte.

In Augsburg muss dagegen der sozialdemokratische Oberbürgermeister Paul Wengert in eine Stichwahl gegen Kurt Gribl von der CSU, der ihn bei der ersten Abstimmung überrundet hatte.

In Burgkirchen a. d. Alz und in Obergrasbach muss komplett neu gewählt werden. In Obergrasbach kann der amtierende SPD-Bürgermeister nicht mehr antreten. Sein Arzt befand: Der Kandidat ist zu krank für eine Stichwahl.

Der CSU-Bürgermeisterkandidat Franz Wallner aus Burgkirchen hat sich mit 30,5 Prozent zwar zunächst für die Stichwahl qualifiziert, sich dann aber mit einem mutmaßlich zu Unrecht getragenen akademischen Titel ("Diplom") selbst gleich wieder disqualifiziert. Beide Bürgermeisterwahlen werden wiederholt.

Für die CSU sind es die Nachwehen der bayernweiten Kommunalwahlen vom 2. März - für die Menschen könnte ein Sieg Magerls ein weiteres Anzeichen für eine Art Zeitenwende in Bayern sein. Mehr als 5 Prozentpunkte hat die CSU vor zwei Wochen im Landesdurchschnitt verloren - das schlechteste Ergebnis bei Gemeinderatswahlen seit 1966. Und es könnte sein, dass die scheinbar gottgegebene Identität von Land und Partei, die seit Jahrzehnten den politischen Alltag im Süden Deutschlands beschrieben hat, langsam ihr Ende findet.

Denn auch bei den Prognosen für die Landtagswahl im September ist die CSU abgestürzt. Bei nur noch knapp über 50 Prozent sieht Emnid die Christsozialen. Franz Josef Strauß, Gott hab ihn selig, schützte seine Spezln großzügig vor der Steuer - aber er machte Bayern eben auch vom Agrarland zum Dienstleistungs- und Hightechstandort, war etwa entscheidender Begründer des Airbus-Konsortiums, dessen Zulieferfirmen auch in Bayern ansässig sind. Später machte sein Zögling Edmund Stoiber weiter. Die Politikmaschine rief eine Hightechoffensive nach der andern aus, ließ im Quartalstakt Rankings verschicken, in denen Bayern immer weiter nach oben kletterte. So laut riefen Stoiber und sein Apparat in die Welt hinaus, dass die Bürger ihre kleinen Probleme vergaßen und voll Ehrfurcht diesen strahlenden Politiker vergötterten. 60,7 Prozent der Bayern stimmten bei der Landtagswahl 2003 für ihn und seine Partei.

Doch heute, fünf Jahre nach diesem Triumph, ist es anders. Drei Männer führen inzwischen Bayern und die CSU, und sie bringen die ehemals eherne Einheit von Land und Partei zum Zerbröseln. Viel bürgernäher als Stoiber sind die beiden selbst ernannten Tandemfahrer Parteichef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein. Und auch der Fraktionschef Georg "Fluppenschorsch" Schmid sucht die Debatte. Das Problem aber: Allzu viel Gesprächsbereitschaft signalisiert Führungsschwäche. Und in Bayern wird das gerade mit drei multipliziert. "Diese Konstellation muss sich erst mal einraufen", erklärte Kabinettsmitglied Thomas Goppel in dieser Woche. Das Nicht-eingerauft-Sein führt dazu, dass die Probleme, die Stoiber unbearbeitet ließ, offen daliegen und von keiner Strahlkraft mehr kaschiert werden. Die Eltern regen sich über ihre völlig überforderten Kinder auf, die im dreigliedrigen Schulsystem feststecken oder am achtstufigen Gymnasium (G8) den Stoff eingeprügelt bekommen. Erst der Druck der Kommunalwahlen brachte die Staatsregierung zu der Erklärung, man werde den Lehrplan entschlacken. Parteichef Huber muss sich im April einem Untersuchungsausschuss stellen, weil er wochenlang die Milliardenverluste der Landesbank verleugnet hatte. Die bayerischen Hausärzte meutern zu tausenden auf der Straße gegen den kassenärztlichen Verband, für den das Sozialministerium zuständig ist. Welches dieser Probleme in welcher Reihenfolge angegangen werden soll, ist unklar. Die CSU hat sich in den letzten zwei Wochen lieber am Rauchverbot aufgerieben, das Ursache der bayernweiten Wahlverluste sein soll. Als am Mittwoch die CSU-Fraktion die von Beckstein und Huber gewünschte Liberalisierung abnicken sollte, wurde hinter verschlossenen Türen geschrien und gebrüllt. Beckstein ließ das Wort "Sauhaufen" fallen. Vor der Tür eine Stimmung wie beim Stoiber-Sturz in Kreuth. Stellvertretend für viele CSUler grantelte der Abgeordnete Walter Eykmann, Chef das Ausschusses für den öffentlichen Dienst, den Regierungschef an. "Wenn Beckstein frech wird, kriegt er eine drüber."

Nicht eingerechnet in die miese weiß-blaue Grundstimmung sind die zwei eher lokalen Streitthemen Transrapid und Flughafenausbau. Die Magnetbahn soll durch den Landkreis Freising fahren, und die Flugzeuge der geplanten dritte Startbahn für den Münchner Großflughafen - der passenderweise Franz Josef Strauß heißt - werden vor allem über den Köpfen der Freisinger donnern. Es ist diese Melange, die am Sonntag zu einer Sensation führen könnte in Freising. Der erste grüne Landrat in einem bayerischen Landkreis.

Und diese Wahl könnte auch das echte Ende von der "Premiumopposition" sein. So haben sich die bayerischen Grünen einst genannt, als Seitenhieb auf die ehemals äußerst ruhig schlafende Bayern-SPD. Doch die weiß-blauen Grünen drängen zunehmend auf Mitentscheidung. Stark geworden durch ein landesweites Plus von knapp 9 Prozentpunkten bei den Kommunalwahlen, ließ sich Fraktionschef Sepp Dürr in einem Interview vor einer Woche zu schwarz-grünen Planspielen hinreißen. Der wortgewandte Doktor der Germanistik ließ sich mit folgenden Worten zitieren: "Unter der Voraussetzung, dass sich die CSU modernisiert, wäre eine Zusammenarbeit denkbar." Noch ist die Angst vor der eigenen Courage groß. Vor Erscheinen des Interviews dementierte Dürrs Pressestelle die Vorabmeldungen. Die bayerischen Grünen würden Spekulationen über eine schwarz-grüne Zusammenarbeit nach der Landtagswahl im Herbst eine "klare Absage" erteilen, hieß es. Dabei ist ein weiß-blaues schwarz-grünes Bündnis von beiden Beteiligten in den letzten Jahren bereits einige Male angesprochen worden. Der ehemalige bayerische Regierungschef Edmund Stoiber hatte etwa in der Nach der Bundestagswahl 2005 von einer Jamaika-Koalition geredet, dann aber doch einen Rückzieher gemacht. Und die grüne Parteiführung in Bayern hatte vor zwei Jahren ein Positionspapier vorgelegt, in dem es heißt: "Wir sind mit den wichtigen Akteuren bündnisfähig."

Und mittlerweile ist es auch nicht mehr völlig abwegig, dass die CSU trotz aller gegenteiligen Beteuerungen nach der Landtagswahl im September auf solche Bündnisangebote eingehen muss. Jüngst erklärte ein besorgter Wissenschaftsminister Thomas Goppel - Sohn des legendären Ministerpräsidenten Alfons Goppel -, dass die Truppe der CSU-Stammwähler von Jahr zu Jahr kleiner werde. "In den Zeiten der Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Franz Josef Strauß wusste vor einer Wahl mindestens jeder zweite Wähler ganz genau, dass und wen er wählt." Die Erhebungen würden zeigen, dass heutzutage nur noch jeder dritter Wähler auf Linie sei.

Letzten Samstag konnte man das in Freising beobachten. Gerade erklärt Kandidat Magerl einem Familienvater die Probleme der Fungizidbeimischungen in Kerosin, da kommt eine kleine, runzlige Dame vorbei. Das Alter hat ihren Rücken krumm werden lassen, doch ein spitzbübisches Grinsen kann sie sich nicht verkneifen. "Ganz was Neues" sei, was gerade passiere in der bayerischen Politik und besonders hier in Freising. "Jetzt habens des denen gezeigt", sagt die alte Frau. Um dann mit einem meckernden Lachen weiterzugehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.