Ex-FDP-Innenminister Baum: Bewegung für Bürgerrechte gefordert

Der neue Grundrechte-Report liegt vor. Krasser Einzelfall: Wegen angeblich eingebildeter Krankheit wurde einer Frau ihr Kind weggenommen

Eine Bewährungsprobe werde die Regierung bei der Vorratsdatenspeicherung zu meistern haben, so Gerhart Baum. Bild: dpa

KARLSRUHE taz | Gerhart Baum, Bürgerrechtler und ehemaliger FDP-Innenminister, fordert den Aufbau einer Demokratiebewegung in Deutschland. Es gebe zwar erste Ansätze mit kollektiven Petitionen, Verfassungsbeschwerden und Demonstrationen, aber noch überwiege die Gleichgültigkeit der Bürger. "Auch in einer gefestigten Demokratie sind die Grundrechte nicht vor offener und schleichender Aushöhlung sicher", warnte der Altliberale.

Baum stellte gestern in Karlsruhe den neuen Grundrechtereport vor. Das Taschenbuch wird jährlich durch neun Bürgerrechtsorganisationen - von der Humanistischen Union bis zu Pro Asyl - erarbeitet. In mehr als 50 kleinen Fallstudien werden dabei Verletzungen der Grundrechte durch Verwaltung, Gerichte und Parlamente angeprangert. Grundthese des "alternativen Verfassungsschutzberichts": Nicht linke und rechte Extremisten gefährden die Freiheit in unserer Gesellschaft, sondern der Staat.

Die Arbeit der neuen Bundesregierung bewertete Baum bisher als positiv. Eine erste große Bewährungsprobe werde es aber beim Umgang mit der Vorratsdatenspeicherung geben. Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang März Nachbesserungen bei der sechsmonatigen Speicherung der Telefon- und Internet-Verbindungsdaten gefordert. "Hier sollte der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers voll genutzt werden", fordert Baum. So dürfe die Übermittlung der Daten an die Polizei nur bei wenigen schweren Delikten zugelassen werden. Und bei den Daten von Journalisten, Ärzten und Anwälten hält Baum sogar ein generelles Übermittlungsverbot für notwendig.

Vorgestellt wurde gestern in Karlsruhe auch ein besonders verstörender Fall, der im neuen Report dokumentiert ist. Der Bamberger Konzertsängerin Petra Heller wurde 2004 vom örtlichen Jugendamt der Sohn weggenommen, weil sie das Kind angeblich unnötig mit Antibiotika behandele. Dabei waren die Medikamente ärztlich angeordnet, weil der Junge - wie die Mutter - unter Borreliose litt, also unter einer Entzündung nach einem Zeckenbiss. Die Kinderschützer gingen jedoch davon aus, dass sich die Mutter ihre eigene Krankheit ebenso einbilde wie die des Kindes. Dieser Vorwurf konnte zwar widerlegt werden - es handelte sich eher um einen Medizinerstreit -, doch bis heute hat die Mutter das Sorgerecht nicht zurückbekommen und der Junge lebt noch im Heim.

Für Ulrich Engelfried von der Neuen Richtervereinigung ist das zwar ein "einzigartiger Fall", der aber ein "systemisches Problem" aufzeige: "Wenn Jugendamt und Gerichte eine Familie einmal als gefährlich für das Kindeswohl identifiziert haben, dann wird nicht mehr mit der Familie, sondern gegen die Familie gearbeitet.

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