Bündnis-Debatte nach Europawahl: Grüne sehen schwarz

Die schwarz-grüne Mehrheit bei der Europawahl trifft die Parteispitze unvorbereitet. Eine Debatte über neue Bündnisse auf Bundesebene will sie vermeiden.

Vorbild für den Bund: Schwarz-grünes Regierungsduo in Hamburg. Bild: dpa

BERLIN taz | Zwei Tage nach der Europawahl war die Berliner Grünen-Spitze am Dienstag darum bemüht, die neu aufgeflammte Diskussion um eine Koalition mit der CDU/CSU nach der Bundestagswahl möglichst rasch wieder zu beenden. "Wir werten Wahlverlierer nicht durch Koalitionsdebatten auf", sagte Spitzenkandidat Jürgen Trittin der taz. "Bei der Bundestagswahl wird keine Zweierkonstellation jenseits der großen Koalition eine Mehrheit haben."

Aus der Europawahl am Sonntag waren die Grünen, die in Meinungsumfragen lange Zeit hinter der FDP rangierten, als drittstärkste politische Kraft hervorgegangen. Gemeinsam mit der Union kamen sie auf eine rechnerische Mehrheit von 50,0 Prozent, während Union und FDP bei 48,9 Prozent verharrten. Damit ist für die Bundestagswahl im Herbst ein Wahlergebnis wie jüngst im Stadtstaat Hamburg zumindest in den Bereich des Denkbaren gerückt - dass die Union von Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Wunschpartner FDP keine Mehrheit erhält, wohl aber in einer Koalition mit den Grünen.

Vertreter der baden-württembergischen Grünen, die schon immer mit einer chronisch schwachen SPD leben mussten, bekundeten prompt ihre Offenheit für schwarz-grüne Bündnisse. "Wir müssen stärker werden als die FDP, um uns für die Union zur einzigen Alternative zur großen Koalition zu machen", sagte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. "Die Union wird uns dann ein Angebot machen, das wir annehmen können."

Palmer hatte schon in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass er das Festhalten am Atomausstieg in einem solchen Bündnis für durchsetzbar hält. Daneben nannte er als Bedingungen jetzt den Ausbau umweltfreundlicher Energien und eine zumindest vorläufige Absage an neue Kohlekraftwerke. Die Union könne mit einem Koalitionspartner mit "ähnlicher Orientierung in Wertefragen" rechnen. Auch der Fraktionschef der Grünen im baden-württembergischen Landtag, Winfried Kretschmann, warnte vor einer "Ausschließeritis" in Bezug auf mögliche Koalitionsoptionen. Zuletzt hatte sich die sächsische Landesvorsitzende Antje Hermenau für neue Bündnisoptionen nach der Landtagswahl am 30. August offen gezeigt.

Für die Berliner Parteispitze kommt die Debatte auch deshalb zur Unzeit, weil sich die Bundespartei gerade nach einer quälenden Koalitionsdebatte auf die Sprachregelung eines eigenständigen Kurses verständigt hat. Zuvor waren Trittin und Ko-Kandidatin Renate Künast mit dem Vorhaben gescheitert, eine Wahlaussage zugunsten einer Ampelkoalition zu treffen. Ausgeschlossen wird im Wahlaufruf nur ein Jamaika-Bündnis mit der FDP. Die schwarz-grünen Spekulationen seien "eine Diskussion, die weder uns noch irgendjemandem weiterhilft", sagte Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt der taz.

Gleichzeitig wandte sich Göring-Eckardt allerdings gegen Hinweise, das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Grünen in Hamburg sei auf die dortige Koalition mit der CDU zurückzuführen. "Gerade die Grünen-Anhänger treffen ihre Entscheidung sehr bewusst für die jeweilige Wahl", sagte die Politikerin. Am Sonntag sei über das Europaparlament abgestimmt worden, nicht über die hamburgische Landespolitik.

Argumentativ stecken die Grünen derzeit in der Zwickmühle, dass sie einerseits den Status der drittstärksten politischen Kraft anstreben, andererseits die daraus folgenden Bündnisoptionen im Wahlkampf nicht diskutieren möchten. Fast möchte man glauben, zumindest die beiden Spitzenkandidaten hätten mit dem demoskopischen Höhenflug der FDP in den vergangenen Monaten nicht unbequem gelebt. RALPH BOLLMANN

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