Zwischenfall in Afghanistan: Bundeswehr erschießt Zivilisten

Weil ein Kleinlaster trotz Warnschüssen nicht anhielt, schossen deutsche Soldaten scharf – und töteten dabei einen Jugendlichen. Im Kleinlaster fanden sich keinerlei Waffen.

Bundeswehrpatrouille in der Provinz Kundus (Archivbild). Bild: ap

BERLIN taz Die Bundeswehr hat in Nordafghanistan erneut Zivilisten getötet und verletzt. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte am Montag, in dem schon länger umkämpften Bezirk Char Dara der Provinz Kundus hätten am Sonntag beträchtliche Feuergefechte stattgefunden. Auf eine Stellung der Bundeswehr, die wegen der "anormalen Situation" dort errichtet worden sei, sei ein "Pickup"-Kleinlaster zugefahren, der auch durch Warnschüsse nicht zu stoppen gewesen sei. Daraufhin hätten die Bundeswehrsoldaten "gezielt auf den Motorblock" geschossen. Doch seien Menschen getroffen worden.

Ein Jugendlicher sei sofort tot gewesen, zwei Schwerverletzte seien in die Klinik des deutschen Lagers in Masar-i-Scharif verfrachtet worden. Ein weiterer Mann sei unverletzt geblieben, ein fünfter weggelaufen. Es sei unklar, warum das Fahrzeug auf die "Auffangstellung" der Bundeswehr zugefahren sei und ob die Besatzung irgendeine Rolle in den Kämpfen zwischen Aufständischen und afghanischen sowie internationalen Truppen gespielt habe. Es gebe "keine Erkenntnisse, dass auf dem Fahrzeug wahrnehmbare Waffen oder wahrnehmbarer Sprengstoff" gewesen sei. Die Angehörigen des Jugendlichen hätten aber bereits erklärt, "ihrer Meinung nach seien die Terroristen zuständig" für seinen Tod, betonte der Ministeriumssprecher.

Über die Zahl der Toten herrschte bis Montagmittag noch Unsicherheit. Die Bundeswehr hatte zunächst von zwei, der afghanische Provinzgouverneur Mohammad Omar sogar von drei toten Zivilisten gesprochen. Die afghanischen Behörden bestätigten dann aber die deutschen Erkenntnisse.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam erklärte, sie prüfe nun anhand der von der Bundeswehr bereitgestellten Informationen, ob sie ein Ermittlungsverfahren gegen die Bundeswehrsoldaten einleiten müsse. Ein dafür ausreichender Anfangsverdacht bestünde "zum Beispiel dann, wenn es sich nicht um Notwehr gehandelt hätte", erklärte Oberstaatsanwalt Christoph Lange am Montag. Doch seien die Unterlagen der Bundeswehr gerade erst eingetroffen.

Es ist dies der zweite bekannt gewordene Fall, in dem die Bundeswehr Zivilisten getötet hat. Im August 2008 hatten Soldaten an einem Checkpoint versehentlich eine Frau und zwei Kinder erschossen, die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) stellte ihre Ermittlungen erst im Mai dieses Jahres ein. Um Erkenntnisse und Kompetenzen zu Auslandseinsätzen zu bündeln, will das Verteidigungsministerium noch vor der Wahl eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Brandenburg errichten. Das Justizministerium ist aber dagegen.

Die Angehörigen des toten Jugendlichen werden vermutlich eine Art Schmerzensgeld bekommen.

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