Protestcamp von Polizei geräumt: Dann rollten die Bulldozer an

Die Besetzung des geplanten neuen Boehringer-Impfstoff-Labors endet nach sechs Wochen gewaltsam. Die Polizei nimmt einige Besetzer in Gewahrsam.

Mit Kanonen auf Spatzen geschossen: Polizei räumt Protestcamp auf dem Boehringer-Gelände. Bild: dpa

HANNOVER taz | Gegen 5.30 Uhr schlug die Nachtwache der Besetzer Alarm, aber da war es schon zu spät. Aus einer nicht enden wollenden Kolonne quoll das Räumkommando auf die grüne Wiese, wo Deutschlands zweitgrößter Chemiekonzern in Kooperation mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover ein "Tierversuchszentrum in europäischem Maßstab" plant. Die Arbeit war schnell getan.

Zwei Mädchen, die sich an Betonsockel gekettet hatten, mussten weggeschafft werden, eine junge Frau wich erst nach der Drohung, ihr "den Arm zu brechen". Des Weiteren wurde ein Mann von Spezialkommandos unsanft aus dem Wipfel einer Eiche gepflückt, drei weitere zerrte man aus einem Gartenhaus, wobei sie sich leicht verletzten. Der Rest trottete freiwillig vom Gelände. Sechs Besetzer wurden laut Polizeibericht in Gewahrsam genommen, alle anderen erhielten Platzverbote. Dann rollten Boehringers Bulldozer an.

Die jungen Tierversuchsgegner hatten sechs Wochen lang auf dem Areal campiert. Boehringer nahm es hin, denn das bunthaarige Trüppchen weiß sich einig mit den Anwohnern im Akademiker-Stadtteil Kirchrode. Zu beängstigend ist die Vorstellung, demnächst in unmittelbarer Nachbarschaft von mehr als 1.000 Schweinen leben zu müssen, die täglich mit unbekannten Krankheitserregern traktiert werden. Direkt um die Ecke liegen ein Therapiezentrum für autistische Kinder, ein soziales Wohnprojekt, ein Krankenhaus und ein Altersheim.

Boehringer, dessen Abgesandte stets die Unbedenklichkeit der Experimente betonten, hatte den Massenprotest selber heraufbeschworen. Zum einen musste der Konzern einräumen, dass man entgegen anderslautenden Versicherungen eben doch Tierversuche plant, die ein "mäßiges Risiko" für Mensch und Umwelt bedeuten. Zum anderen ließ Boehringers Entsorgungskonzept für die tonnenweise anfallenden Tierkadaver allen die Haare zu Berge stehen. Es sah vor, die Leichen in Lauge zu zersetzen, um den Sud dann einfach in die Kanalisation zu kippen. Erst ein Veto der Stadtentwässerung stoppte das.

Dennoch war allen Beteiligten klar, dass irgendwann geräumt werden würde. Für den Ernstfall hatten die Konzernleitung und das Büro von Oberbürgermeister Stephan Weil seit Tagen abgestimmte Erklärungen in der Schublade. Tenor: Das Tierversuchszentrum ist "unverzichtbar" und eine tolle Sache. Die Statements waren am Mittwoch schon um sieben Uhr auf der Boehringer-Website nachzulesen. Da war die Polizei schon seit zwei Stunden auf den Beinen. Mit einem bürgerkriegstauglichen Aufgebot sperrten die Beamten den halben Stadtteil und gingen in die Offensive. Was sie vorfanden, ließ manchen Beamten den Kopf schütteln. Man hatte mit schweren Kanonen auf Spatzen geschossen.

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