Armut in Köln: "Die Türken stabilisieren das Viertel"

MigrantInnen können mit schlechten Lebensbedingungen besser umgehen als Deutsche, urteilt Soziologe Jürgen Friedrichs, der beide Gruppen in Köln untersucht hat.

Deutsche Sozialhilfeempfänger haben es schwer - kann man auch sehen an Olli Dittrichs Kunstfigur "Dittsche". Bild: wdr/mathias bothor

taz: Herr Friedrichs, Sie haben die Lebensbedingungen im Kölner Brennpunkt Vingst-Höhenberg untersucht - und sagen jetzt, MigrantInnen aus der Türkei könnten mit Armut besser umgehen als Deutsche. Wie kommen Sie darauf?

Jürgen Friedrichs: Wir haben den Alltag deutscher und türkischer BewohnerInnen beobachtet. Das Ergebnis ist eindeutig: Besonders schlecht geht es deutschen Sozialhilfeempfängern. Sie sind isolierter, ernähren sich ungesünder, bekommen weniger Besuch, leben in weniger sauberen Wohnungen als ihre türkischen Nachbarn - selbst wenn auch die auf Transferzahlungen angewiesen sind.

Wozu die Unterscheidung zwischen Deutschen und MigrantInnen aus der Türkei?

Wir hatten in anderen sozialen Brennpunkten bemerkt, dass Türken Vandalismus, das Schlagen der eigenen Kinder, Teenager-Schwangerschaften, Ladendiebstahl stärker verurteilen - deshalb erstmalig die Unterscheidung in Deutsche und Türken. Unser Ergebnis ist eindeutig: Köln-Vingst wird durch seine türkischen Bewohner stabilisiert. In vielen Problemstadtteilen etwa im Ruhrgebiet dürfte das nicht anders sein.

Warum? Geht es den MigrantInnen materiell besser?

Eben nicht. Von den befragten deutschen Haushalten hatten 56 Prozent ein Pro-Kopf-Einkommen von über 1.000 Euro. Bei den türkischen Familien waren es nur 20 Prozent.

Deutsche resignieren dennoch eher?

Ja. Wer als Deutscher in einem Brennpunkt lebt, hat oft einen sozialen Abstieg hinter sich, ist schlimmstenfalls über das Arbeitslosengeld I auf Sozialhilfeniveau abgerutscht. Der Bekanntenkreis schrumpft - schließlich will niemand als Verlierer dastehen. Die Deutschen spüren eine soziale Isolation, von der sie vermuten, dass sie ihr nie mehr entkommen werden, sie sehen keine Chance mehr.

Und die MigrantInnen aus der Türkei?

Die vergleichen sich nicht mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft, sondern betrachten die arme Osttürkei, aus der viele von ihnen oder zumindest ihre Vorfahren stammen. Im Vergleich mit den Lebensbedingungen dort ist nicht nur ihre Wohnungssituation zufriedenstellend. Selbst als Sozialhilfeempfänger sind sie materiell besser gestellt als ihre Verwandten in der Türkei - und nicht viel schlechter als andere Migranten in mies bezahlten Jobs.

Sie glauben, der Frust der Deutschen ist größer?

Eindeutig ja. Wie wir aus unserer, aber auch aus anderen Studien wissen, neigen Sozialhifeempfänger eher dazu, ihre eigene Weiterbildung zu vernachlässigen und das Schulschwänzen ihrer Kinder zu tolerieren.

Trotzdem nennt ihre Studie Deutsche wie Migranten in Vingst-Höhenberg "doppelt benachteiligt". Wieso?

Die Menschen haben niedrige Einkommen, selbst wenn sie nicht von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe abhängig sind. Ein Umzug kommt deshalb für viele nicht in Frage. Von der Mehrheitsgesellschaft werden sie zusätzlich diskriminiert - eben weil sie in einem Stadtteil leben, in dem es mehr Drogenhandel, mehr Kriminalität gibt.

Was tun?

Das Wichtigste sind Arbeitsplätze. Damit meine ich nicht die zynische Ausbeutung durch Ein-Euro-Jobs.

Neue, gut bezahlte Jobs für Geringqualifizierte? Wo sollen die herkommen?

Zumindest den Kindern droht nicht zwangsläufig die Arbeitslosigkeit. Die deutsche Unterschicht braucht bessere Bildungschancen, aber auch ein Ende der häuslichen Gewalt. Und in den Migrantenfamilien muss Deutsch gesprochen werden - sonst sinkt die Lesekompetenz der Kinder dramatisch. Dazu muss in die deutschen wie türkischen Familien eingegriffen werden. Doch das ist in der Bundesrepublik ein Tabu.

INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA

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