Die FDP in der Krise: Die Vorhut am Rhein

Die Liberalen stecken in der Sackgasse. Aber warum? Eine Öffnung hin zu SPD und Grünen ist für die Parteibasis in Köln kein Tabu. Und Christian Lindner könnte die Partei zu neuen Ufern führen.

Beflügelt seit Monaten die Fantasien der Liberalen: FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Bild: dpa

Diese Rede, die hat was. Da steht dieser blonde Mann im taillierten schwarzen Anzug am Pult, vor sich den Schriftzug "Arbeit muss sich lohnen", und redet ohne Manuskript, 46 Minuten lang. Er redet davon, dass alle anderen Parteien aus "stolzen Menschen" bloße "Bittsteller" machen wollten. Statt von "spätrömischer Dekadenz" erzählt er, man dürfe "junge Leute" nicht "entwöhnen" vom frühen Aufstehen, damit sie ihr "Leben selbst bestimmen" können. Die FDP sei Hort eines "mitfühlenden Liberalismus". Am Ende hat der Mann die Delegierten schwindlig geredet, sie applaudieren stehend, mehrere Minuten lang. Sie sind sich einig: Der kann die Partei zu neuen Ufern führen, dieser Christian Lindner.

Der junge FDP-Generalsekretär, nicht Parteichef Guido Westerwelle, beflügelt seit Monaten die Fantasie der Freidemokraten. Auf dem 31-Jährigen aus Wuppertal liegen die Hoffnungen der Partei, die sich in der Sackgasse weiß. Das zentrale Vorhaben dieser Legislatur, massive Steuersenkungen, hat sie aufgeben müssen. Die Gesundheitsreform des so hoffnungsvoll gestarteten Philipp Rösler bleibt im Koalitionsstreit stecken. Der einstige Wunschpartner Union blockiert die FDP bei fast jedem Vorhaben. Und selbst bei der Frage, welchen Präsidentschaftskandidaten es zu wählen gilt, rumort es. Erstmals stellen FDP-Landesfürsten wie der Hesse Jörg-Uwe Hahn und Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein die Macht von Guido Westerwelle infrage.

Klar ist: Die Partei muss sich ändern. Doch noch spricht sie davon nur in Andeutungen. An der Basis werden sie deutlicher. Da reden die FDPler offen von ihrer Unzufriedenheit mit Westerwelle und von der Notwendigkeit, sich gegenüber der SPD und vor allem den Grünen zu öffnen. Zum Beispiel in Köln.

Ulrich Breite schüttelt den Kopf, als wolle er ein ungezogenes, aber eigentlich liebes Kind schelten. "Eigentlich", sagt er, "ist es ein Irrwitz, dass zwei Parteien, die sich Toleranz auf die Fahnen geschrieben haben, sich derart hassen." Dort, im unscheinbaren Rathaus nahe dem Rhein, scheint die taktische Zurückhaltung in Berlin weit weg. Eine Öffnung gegenüber SPD und Grünen erscheint hier, in der FDP-Fraktion der Stadt, nicht als Tabubruch. Es ist der logische nächste Schritt. "Natürlich gibt es Unterschiede", sagt Breite. "Sie träumen vom Fahrrad, ich träume vom Porsche." Und dann lacht der Fraktionsgeschäftsführer der Kölner FDP. So viel Selbstironie muss schon sein, wenn es gilt, die Gräben zwischen den beiden Parteien zu überbrücken.

Hinter Breites Ledersessel prangt ein Foto, er mit Werner Hoyer, Westerwelles rechter Hand im Auswärtigen Amt, und Silvana Koch-Mehrin. Alle drei stammen aus Köln, dem größten FDP-Kreisverband Deutschlands im größten FDP-Landesverband mit 16.000 Mitgliedern. Guido Westerwelle stammt aus Bonn, Christian Lindner aus dem nahen Wuppertal. Wenn das Ruhrgebiet einst die "Herzkammer der Sozialdemokratie" war, dann ist das Rheinland bis heute die Herzkammer der FDP.

Was hält der FDP-Funktionär von den Gerüchten, die Partei wolle sich gegenüber SPD und Grünen öffnen? "Ich bin jetzt nicht der Liebling der Ampel im Bund", sagt er und lehnt sich zurück. "Aber wir müssen einfach über unseren Schatten springen. Das sind ja keine Menschenfresser da drüben."

Da scheinen sich manche seiner Parteifreunde nicht so sicher zu sein. Vor zwei Wochen führten SPD, Grüne und FDP in Düsseldorf Sondierungsgespräche für ein Landesbündnis. Auf den Hotelfluren spotteten Grünen-Verhandler über "Taliban" in den Reihen der FDP. Zuvor hatte ein Grünen-Abgeordneter über die "verfassungsfeindliche" FDP geschimpft. Deren Landtagsfraktionschef wiederum pflegte bei den Verhandlungen seinen Ruf als "Grünen-Fresser". Die Gespräche platzten. Die Öffnung der FDP geht weiter, sie hat keine Alternative.

Vorsichtig formulierte dies - noch während der Verhandlungen - Christian Lindner: "Egal wie es in NRW ausgeht: Danach muss es einen Gesprächsfaden zwischen FDP und SPD/Grünen geben." Eine "Atmosphäre des Austauschs von Argumenten" solle entstehen. Lindners Wort hat Gewicht in der Domstadt. Für viele hier ist der Mann, den Jürgen Möllemann einst "Bambi" nannte, ein Hoffnungsträger. Seine furiose Rede hielt Lindner Ende April nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt auf der anderen Rheinseite.

In Köln fällt Lindners Plädoyer für eine "Atmosphäre des Austauschs" auf fruchtbaren Boden. Zwar würden manche FDPler und Grüne in diesem Leben keine Freunde mehr, urteilt Breite. Etwa Westerwelle, Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. "Da reicht eine Flasche Wein nicht, da braucht es eher Gruppentherapie." Aber auch Westerwelle, der mit Schwarz-Gelb im Bund gar eine "geistig-politische Wende" anbrechen sah, werde sich einem Ampelbündnis nicht verschließen, urteilt er. Breites Parteifreunde sehen das ähnlich.

Eva-Marie Fiedler beispielsweise. Die 64-Jährige ist in den grau-braunen Rathausbau gekommen, um an der Sitzung der FDP-Ratsfraktion teilzunehmen. Die ehemalige Lehrerin ist "Sachkundige Einwohnerin", wie das in Köln heißt, im Ausschuss für Schule und Weiterbildung. "Manchmal habe ich den Eindruck, ich habe wieder einen Vollzeitjob", sagt sie. Ihr scheint das zu gefallen. Mit ihren langen graublonden Haaren und der kräftigen Statur ähnelt sie der einstigen SPD-Familienministerin Renate Schmidt. Aber das sollte man ihr nicht sagen.

Sie sei "aus Überzeugung" in der FDP, sagt Fiedler, und nicht in der angeblichen Lieblingspartei der Lehrer, den Grünen. Diese hätten das Public Viewing zur Fußball-WM in Köln verboten. Dabei sei doch auch die Weltmeisterschaft in Deutschland vor vier Jahren "friedlich und freudvoll" abgelaufen. Doch Kompromisse mit den Grünen hält auch Fiedler für möglich, und das sogar beim Lieblingsthema ihres Parteichefs.

"Wenn die Welt untergeht, kann ich auch keine Steuersenkungen bringen", sagt sie lakonisch. Angesichts der massiven Haushaltskrise hält sie sogar Steuererhöhungen für Reiche für richtig. Das Sparpaket der Bundesregierung, das Einsparungen bei Sozialleistungen vorsieht, aber kaum zusätzliche Lasten für Gutverdiener, sei zu einseitig geraten. Auch die Steuererleichterung für Hoteliers sei falsch gewesen.

Nur bei einem Konfliktfeld sieht die Exgymnasiallehrerin - "Friedrich-Wilhelm-Gymnasium von 1825, sehr liberal, trotz SPD-Direktorin!" - kaum Chancen auf Annäherung. Bei der Frage, ob Gemeinschaftsschulen auch die Gymnasien ersetzen sollen. Die FDP will die Gymnasien erhalten, die Grünen wollen sie größtenteils in Gemeinschaftsschulen aufgehen lassen. Bildungskämpfe sind Glaubenskämpfe, sie werden unerbittlich geführt. "Eine Partei müsste bei dem Thema umfallen", urteilt Fiedler. "Ich hoffe, das sind nicht wir." Doch so muss es nicht kommen. Zwar scheiterten die Düsseldorfer Sondierungsgespräche auch an diesem Thema. Doch zeigten sich dabei die Grünen zu weitreichenden Kompromissen bereit. Und auch Fiedler hofft auf den Eigennutz der gut verdienenden bürgerlichen Grünen-Anhänger: Diese wünschten doch gar nicht die Abschaffung der Gymnasien. Ihre Kinder gingen ja dorthin.

Nur, wer soll die Öffnung der FDP für neue Bündnisse durchsetzen? "Vielleicht muss man die Ämterhäufung überdenken", sagt Fiedler vorsichtig. "Aber das ist nur meine Meinung." Mittlerweile ist die Unzufriedenheit mit Westerwelle so groß, dass die Gefolgschaft bröckelt.

Seit Christian Lindners furioser Parteitagsrede erwächst dem mächtigen Parteichef erstmals ein möglicher Nachfolger. Zwar wissen Westerwelles Parteifreunde, dass sie ohne ihn nicht in 15 von 16 Länderparlamenten und in der Bundesregierung säßen. Doch so wie in den ersten sieben Monaten der Bundesregierung geht es nicht weiter, das ist ihnen klar.

Das weiß auch Maximilian Klefenz. Äußerlich unterscheidet Klefenz wenig von anderen 21-Jährigen: Jeans, darüber ein legeres Hemd, im kurzen braunen Haar nur ein bisschen Gel. Die Kämpfe und Verletzungen der Altvorderen, die Unterscheidung in "linke Zecken" und "rechte Spießer" kennt er nur aus Erzählungen. Klefenz ist mit Leib und Seele in der FDP, seit er ihr mit 17 Jahren beitrat. Der Jurastudent rattert die Abkürzungen partei-naher Organisationen herunter, in denen er mitarbeitet. In manchem erscheinen ihm die Grünen als Vorbild.

Sie hätten das Kunststück vollbracht, sich neue Koalitionen zu eröffnen, ohne sich den Ruf der Umfallerpartei einzufangen. Letztlich gelte doch: "Wo der Kompromiss am kleinsten ist, da sollte man koalieren können." Dann sagt er einen Satz, dem immer mehr von der Bundesregierung frustrierte FDPler zustimmen: "Womöglich wäre die frühere Agenda-SPD gar besser zur Zusammenarbeit geeignet als die derzeitige CDU."

Die Grünen als Vorbild? So weit will die resolute Exlehrerin Fiedler bei aller Offenheit nicht gehen. Zwischen denen und der FDP gebe es bei aller Annäherung etwas, das sie auch künftig unterscheide. "Was den Grünen manchmal abgeht", sagt sie, "das ist der Spaß an der Freude".

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